Demokratische Institutionen im Visier der AfD
Die politische und publizistische Auseinandersetzung mit der autoritären Rechten und insbesondere der AfD hat weiterhin Konjunktur. Das ist nicht nur angesichts der aktuellen Höchststände der Rechtsextremen in Umfragen nachvollziehbar, sondern auch angesichts der anhaltenden Unterschätzung autoritärer Strategien gesellschaftlicher Destabilisierung.
Vor Kurzem publizierte das gemeinnützige Wissenschaftsjournal Verfassungsblog mit dem von Friedrich Zillessen herausgebenen Sammelband »Die vorbereitete Demokratie. Resilienz durch Antizipation im Thüringen-Projekt« [hier rezensiert] 35 ausgewählte Beiträge aus seinem Thüringen-Projekt. Ein Jahr vor den ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern aber auch rechtzeitig vor den Urnengängen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stehen damit weiterhin relevante Analysen zur Verfügung, mit denen es möglich ist, institutionelle Schwachstellen aufzuspüren, demokratiegefährdende Szenarien zu antizipieren und resilienzsteigernde Gegenstrategien umzusetzen.
Der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg und der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer verfolgen mit dem im Campus Verlag herausgegebenen Sammelband »Autoritäre Treiber eines Systemwechsels. Zur Destabilisierung von Institutionen durch die AfD« ein vergleichbares Programm. Er versteht sich als Frühwarnsystem, das aufzeigt, wo Institutionen besonders anfällig für autoritäre Unterwanderung sind, und wo Gegenkräfte gestärkt werden müssen.
Die Herausgeber des Bandes setzen bewusst beim Begriff der Institutionen an, weil sie diese als Kernbestandteile der Stabilität einer pluralistischen Demokratie begreifen. Institutionen sind für sie nicht bloß abstrakte Organisationen, sondern strukturierte Ordnungen, die durch Regeln, Verfahren und Handlungspraktiken Erwartungen stabilisieren und Vertrauen erzeugen. Sie verkörpern jene „verlässliche Praxis“, die demokratische Gesellschaften handlungsfähig hält.
Mit Institutionen gemeint sind sowohl staatliche Einrichtungen – Parlamente, Justiz, Polizei, Schule, Verwaltung – als auch gesellschaftliche Institutionen, die eine zentrale Rolle für das Funktionieren der Demokratie spielen. Indem Frankenberg/Heitmeyer bedeutsame Organisationen wie Gewerkschaften oder Bauernverbände in dem Sammelband in den Blick nehmen lassen, erweitern sie den Diskursrahmen bedeutsam über das vom Verfassungsblog bestellte Feld hinaus. Das ist eine wichtige Ergänzung. Hinzu treten Medien, Kultureinrichtungen, Bildungs- und Erinnerungseinrichtungen. All diese Strukturen sind Träger einer öffentlichen Ordnung, weil sie Erwartungen an Verlässlichkeit und Kontinuität bündeln und zugleich Räume für Auseinandersetzung und Kritik eröffnen. Gerade weil Institutionen Vertrauen und Stabilität garantieren, sind sie als Infrastrukturen der Demokratie Zielscheiben der AfD. Delegitimierung (z. B. Medien als „Lügenpresse“) und Destabilisierung (z. B. Umdeutung parlamentarischer Verfahren) setzen an diesem Vertrauensverhältnis an und wollen es systematisch untergraben. Denn vereinfacht wird dadurch ein „Marsch durch die Institutionen von rechts“, bei dem Parlamente, Gerichte, Schulen, Gewerkschaften oder Medien von innen heraus umgeformt und auf autoritäre Deutungen ausgerichtet werden sollen.
An diese Problemstellung knüpfen die drei Beiträge des Abschnitts „Analytische Rahmung“ an. Wilhelm Heitmeyer ordnet in Autoritärer Nationalradikalismus als Systembedrohung die AfD in das rechte Spektrum ein und entwickelt die Kategorie des „Autoritären Nationalradikalismus“. Er grenzt die AfD sowohl vom konturlosen Rechtspopulismus als auch vom klassischen Rechtsextremismus ab und beschreibt sie als Partei mit einem klaren autoritären Gesellschaftsmodell, das ohne offen ausgesprochene Gewaltbereitschaft dennoch durch Feindbildproduktion und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Gewalt legitimiert. Ihre Gefährlichkeit liege gerade darin, anschlussfähig für unterschiedliche Milieus zu sein – bis hinein in eine „rohe Bürgerlichkeit“. Damit werde die AfD zu einem Akteur, der die Delegitimierung und Destabilisierung von Institutionen strategisch vorantreibt, um den Systemwechsel parlamentarisch abzusichern.
Günter Frankenberg, vierzig Jahre Mitherausgeber der Zeitschrift Kritische Justiz, beleuchtet in seinem Beitrag Delegitimierung und Destabilisierung von Institutionen. Zum Verhältnis von Stabilität, Vertrauen und Kritik die institutionstheoretische Dimension. Er zeigt, dass Institutionen einer Demokratie auf verlässlicher, regelgebundener Praxis beruhen, die Vertrauen erzeugt. Gerade dieses Vertrauen ist jedoch ein fragiles Gut: Es lässt sich durch autoritäre Strategien gezielt untergraben, etwa durch Desinformationskampagnen, Diffamierungen oder den Vorwurf mangelnder Neutralität. Frankenberg unterscheidet analytisch zwischen Delegitimierung, die auf die Existenz einer Institution zielt, und Destabilisierung, die auf eine autoritäre Umdeutung von Regeln und Verfahren hinausläuft. In beiden Fällen entsteht „Erwartungsunsicherheit“, die demokratische Stabilität gefährdet. Zugleich betont er, dass Institutionen nicht frei von Kritik sein dürfen – denn wo notwendiger Wandel blockiert werde, können Starre und Abwehrhaltungen selbst Vertrauensverluste hervorrufen, die autoritären Angriffen in die Hände spielen.
Den Rahmen komplettiert der Rechtsprofessor an der Universität Frankfurt am Main, Klaus Günther, mit dem Beitrag Wer missbraucht Recht, Macht und Institutionen – and what does it all mean?. Er nimmt die Verschiebung im politischen Diskurs in den Blick: Während ursprünglich der Missbrauch von Macht, Institutionen oder Recht den autoritären Kräften zugeschrieben wurde, kehrt sich der Vorwurf um. Heute seien es gerade die Gerichte und andere rechtsstaatliche Akteure, die von der AfD als „missbrauchend“ denunziert werden, um ihre Kontrollfunktion zu diskreditieren. Günther analysiert diese strategische Umkehrung als Teil einer umfassenden Rhetorik der Delegitimierung, die das Ziel verfolgt, die Rolle zentraler Institutionen als Kontrollinstanzen der Demokratie auszuhöhlen.
Staatliche Institutionen
Der zweite Abschnitt des Sammelbandes widmet sich der „Durchmusterung von staatlichen Institutionen“ und fragt nach deren Anfälligkeit für die Strategien der AfD. Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog zeigt am Beispiel der konstituierenden Sitzung des 8. Thüringer Landtags, wie die Partei parlamentarische Verfahren für ihre Selbstermächtigung instrumentalisiert. Hierfür lohnt es sich wiederum in den Sammelband des Verfassungsblogs zu schauen, da dort die gezielte Obstruktion parlamentarischer Verfahren als Strategie in mehreren interessanten Beiträgen offengelegt und mit Verfahrensvorschlägen zum Entgegenwirken verbunden wird.
Welche Rolle Polizei, Justiz und Schule bei einem autoritären Systemwechsel spielen würden, beleuchten die drei weiteren Beiträge dieses Abschnittes.
Der ebenfalls an der Goethe-Universität in Frankfurt lehrende Professor für Kriminalistik, Tobias Singelnstein, beschreibt die Polizei als unverzichtbare Ordnungskraft, zugleich aber als Institution, die in Teilen empfänglich für autoritäre Positionen ist. Die AfD inszeniere sich gezielt als „Partei der Polizei“ und nutze vorhandene Unzufriedenheiten, während rechtsextreme Vorfälle das Vertrauen in die Neutralität zusätzlich schwächten. Ob die Polizei zum Werkzeug oder zur Widersacherin autoritärer Politik werde, sei entscheidend für die Stabilität der Demokratie.
Joachim Wagner publizierte bereits 2021 das Buch »Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?«, wobei das Fragezeichen im Titel wohl nur dem Marketing geschuldet war, denn Wagner ist davon überzeugt, dass bereits wenige AfD-nahe Richter:innen, Staatsanwält:innen oder Schöffen das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz nachhaltig erschüttern könnten – und damit den Rechtsstaat selbst in Frage stellen. Die Warnungen von Wagner sind ebenso berechtigt, wie bedauerlicherweise ungehört verhallt. Selbst in die Verfassungsgerichte einzelner Bundesländer sind inzwischen AfD-nahe Richter:innen eingezogen und es ist belegt, dass AfD-nahe und rechtsextrem orientierte Personen als im Justizwesen aktiv sind und vereinzelt Rechtsmissbrauch betrieben haben. Die Anzahl „AfD-naher Schöffen“ ist nicht offiziell erfasst, aber das Problem wird öffentlich und politisch diskutiert; mindestens ein Dutzend einschlägiger Fälle ist dokumentiert, und es gibt eine anhaltende Tendenz zur Mobilisierung solcher Personen für Schöffenämter.
Besonders unmittelbar setzt die AfD an der Schule an, wie Wolfgang Kühnel, auch er inzwischen emeritierter Professor, herausarbeitet. um einen versucht die AfD, über parlamentarische Initiativen und bildungspolitische Debatten Einfluss auf Lehrpläne und Unterrichtsinhalte zu nehmen. Zum anderen zielt sie darauf, Schulen als Orte demokratischer Sozialisation zu delegitimieren – etwa durch Kampagnen gegen „linke Indoktrination“, durch Meldeportale für Lehrkräfte oder durch die Forderung nach stärker national geprägter Geschichts- und Kulturvermittlung. Kühnel macht deutlich, dass es der AfD dabei nicht nur um punktuelle Eingriffe geht, sondern um eine grundlegende „Rückentwicklung“ der Schule als Institution. Statt Offenheit, Pluralität und kritisches Denken zu fördern, will sie autoritäre Disziplinierung und eine nationalkonservative Werteordnung durchsetzen. Die Schule, die für die Demokratie zentrale Sozialisationsleistungen erbringt, gerät so ins Zentrum einer autoritären Umformungsstrategie.
Hegemoniekonzeption
Kühnels Darlegungen öffnen bereits den Blick für die Beiträge im dritten Abschnitt zur Durchmusterung von gesellschaftlichen Institutionen, die für Meinungsbildung, kulturelle Selbstverständigung und politische Sozialisation prägend sind. Die Beiträge zu Schule, Medien, Kultur und politischer Bildung verdeutlichen, dass die AfD hier mit bemerkenswerter strategischer Stringenz agiert – ein Vorgehen, das sich kaum anders deuten lässt, als dass die Partei an Antonio Gramscis Hegemoniekonzeption und deren neurechter Adaption anknüpft. Für Gramsci war klar: Eine gesellschaftliche Veränderung erfordert mehr als die Eroberung staatlicher Macht. Sie verlangt, eine kulturelle Hegemonie aufzubauen – durch Bildung, Kulturarbeit, Medien, aber auch durch die Herausbildung organischer Intellektueller, die neue Werte und Weltbilder verbreiten und verankern.
In diesem Licht erklärt sich, warum heutige autoritäre Bewegungen, darunter auch die AfD, ein so starkes Interesse an Schulen, Kulturinstitutionen und Medien haben: Sie sind die zentralen Schauplätze, auf denen kulturelle Hegemonie verhandelt wird.
Tanjev Schultz, Jornalismus-Professor an der Universität Mainz und Autor von Büchern über Rechtsextremismus und den Terror des sogenannten NSU, beschreibt in seinem Beitrag die mediale Dimension dieser Strategie. Die AfD attackiert etablierte Medien pauschal als „Lügenpresse“, diskreditiert journalistische Standards und setzt zugleich auf den Aufbau eigener Öffentlichkeiten über soziale Medien oder parteinahe Plattformen. Ziel ist es, die Rolle des professionellen Journalismus als vierte Gewalt zu schwächen und eigene Deutungen hegemonial zu verankern. Hier wird besonders deutlich, wie eng Delegitimierung und der Versuch kultureller Dominanz miteinander verflochten sind.
Dasselbe Muster zeigt sich in der Kulturpolitik. Günter Frankenberg, Wilhelm Heitmeyer und Marion Tiedtke, Professorin und Ausbildungsdirektorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main – eine von leider nur zwei (Co-)Autorinnen dieses Buches - analysieren, wie Kultur als „Kampfzone autoritärer Identitätsbildung“ besetzt wird. Förderstrukturen sollen umgedeutet, kritische Kunst als „volksfremd“ diskreditiert und nationale Mythen gestärkt werden. Damit greift die AfD eine zentrale Arena symbolischer Politik an – im Wissen, dass kulturelle Narrative entscheidend für die gesellschaftliche Hegemonie sind.
Auch an dieser Stelle empfiehlt sich das Crossover-Lesen des Buches »Die vorbereitete Demokratie«. Dort nimmt Justus Duhnkrack die Kunstfreiheit in den Blick. Unter dem Titel „Das ist Kunst, das kommt weg“ beleuchtet er, wie autoritär-populistische Regierungen Kunst und Kultur als Angriffspunkt wählen, sei es durch diffamierende Debatten oder durch gezielte Förderkürzungen.
Im Frankenberg/Heitmeyer-Sammelband wiederum verdeutlicht Thomas Krüger, vor Kurzem aus dem Amt des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung ausgeschieden, die AfD-Logiken im Hinblick auf die politische Bildung. Sie soll nicht mehr Demokratiefähigkeit stärken, sondern unter AfD-Einfluss umgedeutet werden: weg von pluralistischen Ansätzen, hin zu einer autoritär-nationalistischen Prägung. Auch hier zeigt sich der Versuch einer „Übernahmeschlacht“: Wer die Institutionen der politischen Bildung kontrolliert, kontrolliert die Voraussetzungen künftiger demokratischer Kultur.
Konkretes Anschauungsmaterial bietet Sachsen-Anhalt. Dort forderte die AfD im Landtag die komplette Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung. Doch auch ohne solche drastischen Maßnahmen gerät ihre Unabhängigkeit unter Druck. In meinem Blog NACHDENKEN IM HANDGEMENGE zeigte ich im Blogpost Hard Times – Politische Bildung unter Druck ich anhand von Beispielen aus NRW und Berlin, dass auch jenseits der AfD durch Kürzungen, Umstrukturierungen und direkte Einflussnahme die Überparteilichkeit politischer Bildung gefährdet wird.
Mit einer anderen Dimension von Destabilisierung beschäftigt sich Birgit Sauer, Mitherausgeberin der im Campus Verlag erscheinenden Reihe Politik der Geschlechterverhältnisse und vormalige Politikprofessorin an der Universität Wien. Ihr Beitrag Von der Krise weißer Männlichkeit zur maskulinistischen Identitätspolitik beschreibt, wie die AfD Geschlechter- und Sexualitätsthemen zur Mobilisierung nutzt: Frauen- und Gleichstellungspolitik werden als „Gender-Ideologie“ diffamiert, während eine Politik der Angst vor „Verlust männlicher Vorherrschaft“ betrieben wird. Diese „Geschlechter- und Sexualitätspanik“ zielt darauf, Errungenschaften demokratischer Citizenship zurückzudrängen und autoritäre Familien- und Geschlechterbilder zur gesellschaftlichen Norm zu erheben.
In »Die vorbereitete Demokratie« trägt ein Abschnitt die Überschrift: Wen es trifft und macht deutlich, warum demokratische Resilienz ohne den Schutz vulnerabler Gruppen unvollständig bleibt. Dem würde Birgit Sauer uneingeschränkt zustimmen.
Gewerkschaften & Bauernverbände
Im vergangenen Jahr bestimmten heftige Bauernproteste mit einer, in ihrer Wucht der Verachtung gegenüber dem herrschenden Politikbetrieb, mehr als nur die Feuilletons der Tageszeitungen. Die Bilder von der militanten Blockade der Fähre, die den damaligen Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck übersetzen sollte, ließen Erinnerungen an norddeutsche Bauernproteste in der Spätphase der Weimarer Republik wach werden.
In der Bonner Republik galten Gewerkschaften und Bauernverbände als Stützen demokratischer Integration. Dass da wie dort tektonische Verschiebungen messbar sind, thematisieren die beiden Soziologen Klaus Dörre und Rolf G. Heinze in ihren Beiträgen.
Klaus Dörre, bis vor Kurzem Professor an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena, forscht seit vielen Jahren zu rechtsradikalen Orientierungen in der Arbeitswelt sowie zu Gewerkschaften. Sein Beitrag „Volk“ versus Klasse. AfD, Arbeiterschaft und die Gewerkschaften erläutert, wie die AfD gezielt an Entfremdungserfahrungen von Teilen der Arbeiter:innenschaft anknüpft. Mit dem Verweis auf ein homogenes „Volk“ stellt sie ethnische Zugehörigkeit über soziale Interessen und unterläuft damit die Solidaritätslogik der Gewerkschaften. Diese haben sich bislang als widerstandsfähig erwiesen, doch Dörre weist auf wachsende Spannungen hin: dort, wo die AfD mit dem Versprechen auf „Anerkennung für kleine Leute“ auftritt, droht die Spaltung gewerkschaftlicher Milieus. Hinzu kommt, dass AfD-Listen bei Betriebsratswahlen gezielt gewerkschaftliche Listen der IG Metall oder anderer DGB-Gewerkschaften als „elitäre Mainstream-Organisationen“ denunzieren und sie damit versuchen als vermeintliche Kombattanten der Regierungsparteien zu markieren.
Rolf G. Heinze, ebenfalls emeritiert und seit 1988 an der Ruhr-Universität in Bochum tätig gewesen, analysiert in Destabilisierung der Bauernverbände durch Radikalisierung und Rechtspopulismus die Verschiebungen im ländlichen Raum. Angesichts ökonomischer Unsicherheiten und ökologischer Umbrüche gelingt es der AfD, Bauernproteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie bedient sich dabei einer Sprache, die bäuerliche Interessen als nationale und identitäre Anliegen auflädt. So geraten traditionelle Verbände wie der Deutsche Bauernverband unter Druck: Einerseits müssen sie sich mit radikalisierten Basisbewegungen auseinandersetzen, andererseits droht ihnen der Verlust politischer Steuerungsfähigkeit.
Demokratieschutz
Der Sammelband endet mit zwei programmatischen Texten von Günter Frankenberg und Wilhelm Heitmeyer. Sie nehmen die eingangs formulierte Diagnose noch einmal auf und richten den Blick zugleich nach vorn. Schon in der Einleitung hatten die Herausgeber betont, dass die AfD die Institutionen nicht von außen bekämpft, sondern von innen aushöhlt, um den Weg für einen autoritären Systemwechsel zu ebnen. Am Schluss geht es nun um die Frage, wie die Demokratie sich gegen diese Strategie wehren kann.
Im Beitrag Demokratieschutz – ein Dilemma. Zur Verbotsdiskussion nehmen Frankenberg/Heitmeyer die immer wieder aufflammende Debatte über ein AfD-Verbot auf. Einerseits erscheint das Parteiverbot als klassisches Instrument des „wehrhaften Rechtsstaats“, das zeigen könnte, dass die Demokratie ihre Feinde nicht einfach gewähren lässt. Andererseits birgt es erhebliche Risiken: Ein Verbot könnte der AfD Märtyrerstatus verleihen und ihre Opfererzählung stärken. Dieses Spannungsverhältnis beschreiben die Autoren als Dilemma – rechtliche Maßnahmen können notwendig sein, doch sie ersetzen nicht die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung. Eine Antwort darauf bleiben die beiden Autoren jedoch ebenfalls schuldig.
Im Beitrag Offensive Demokratiearbeit in Institutionen und Zivilgesellschaft setzen sie deshalb einen anderen Schwerpunkt. Demokratie verteidigt sich nicht nur durch juristische Instrumente, sondern vor allem durch alltägliche Praxis: durch Schulen, die kritisches Denken fördern, durch Medien, die an journalistischen Standards festhalten, durch eine Justiz, die ihre Unabhängigkeit behauptet, durch Kulturinstitutionen, die Vielfalt schützen, und durch eine Zivilgesellschaft, die solidarische Räume offenhält. „Offensiv“ heißt dabei: nicht nur reagieren, sondern selbstbewusst die demokratischen Grundlagen sichtbar machen und pflegen.
So eindringlich der Band die Gefahren beschreibt, so sehr fällt ins Auge, dass die Perspektive der Resilienz oft nur angedeutet bleibt. Viele Beiträge zeichnen detailliert nach, wie Institutionen delegitimiert und destabilisiert werden – weniger stark wird jedoch herausgearbeitet, welche konkreten Gegenkräfte bereits wirken oder wie Institutionen ihre eigene Widerstandsfähigkeit aktiv entwickeln können. Damit bleibt das Bild streckenweise abstrakter und düsterer als es sein müsste.
Hinzu kommt der wissenschaftliche Duktus vieler Texte, der stark von soziologischen und rechtswissenschaftlichen Begrifflichkeiten geprägt ist. Für Fachkreise mag dies den Reiz und die analytische Schärfe ausmachen. Für eine breitere demokratische Öffentlichkeit, die angesichts der autoritären Herausforderungen dringend erreicht werden müsste, erschwert es jedoch den Zugang. So dürfte der Band im Wesentlichen die klassische Leserschaft des Campus Verlags erreichen: Wissenschaftler:innen, politisch Interessierte mit hohem Vorwissen und Fachpraktiker:innen. Als Warnschrift erfüllt er innerhalb dieses Rahmens seine Aufgabe überzeugend – die Chance, über akademische Milieus hinaus in gesellschaftliche Debatten hineinzuwirken, bleibt jedoch ungenutzt.