01.10.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Rezension

Ziviler Verfassungsschutz im Praxistest

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sprach der US-Journalist Georg Packer vom Magazin The Atlantic am 1. Oktober 2025 über die autoritäre Transformation:

„Wir haben immer noch eine Verfassung, wir haben Gesetzgeber, wir haben eine Justiz, und ich hoffe, dass wir nächstes Jahr Wahlen haben. […] Wir haben also gewisse Freiheiten. Aber faktisch gibt es beinahe keine Kontrolle mehr über Trump. Niemand hindert ihn daran, immer mehr Macht und immer mehr Geld zu erlangen. Ich verstehe nicht, wie man das noch als Demokratie bezeichnen kann. Ich bezeichne es als ‚Zombie-Demokratie‘: Es sieht bloß noch aus wie eine Demokratie.“

Wie konnte es geschehen, dass Trump und die MAGA-Bewegung in ihrer zerstörerischen Verachtung gegenüber demokratischen Traditionen, rechtsstaatlichen Institutionen und einem gewaltfreien, zivilen Diskurs so unterschätzt wurden? Warum wurden keine Vorkehrungen gegen die autoritäre Umgestaltung der USA zu einer Zombie-Demokratie getroffen? Eine zufriedenstellende Antwort darauf gibt es nicht.

Weil autoritär-populistische Strategien weniger auf den offenen Rechtsbruch orientieren, sondern auf die systematische Instrumentalisierung demokratischer Verfahren, weil sie mit dem Anschein von Rechtmäßigkeit agieren, entfalten solche Prozesse ihre demokratiegefährdende Wirkung oft schleichend und werden zu spät erkannt. Dem wollte das im Jahr 2023 gestartete Thüringen-Projekt des gemeinnützigen Wissenschaftsjournals Verfassungsblog vorbeugen.

Eine von Friedrich Zillessen in der Reihe Verfassungsbook herausgegebene Publikation lässt das Thüringen-Projekt Revue passieren. »Die vorbereitete Demokratie« versammelt 35 von mehr als 100 veröffentlichten Blogposts des Thüringen-Projekts. Die Texte dokumentieren weiterhin aktuelle Analysen und Szenarien, indem sie über tagespolitische Debatten hinaus Relevanz behalten.

Maßgeblich für die Auswahl war, dass sie exemplarisch die zentralen Anliegen des Projekts verdeutlichen: institutionelle Schwachstellen aufzeigen, demokratiegefährdende Szenarien entwickeln und resilienzsteigernde Gegenstrategien diskutieren. Die Beiträge, die nicht aktualisiert, sondern in der ursprünglichen Fassung übernommen wurden, sind entlang der klassischen Gewaltenlehre strukturiert – Legislative, Exekutive, Judikative – und um Perspektiven der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit sowie besonders vulnerabler Gruppen ergänzt. Ein abschließender Beitrag des Projektteams reflektiert die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Arbeit und wagt einen Blick nach vorn.

Zivilcourage

Im bereits zitierten Interview mit der Süddeutschen Zeitung weist der Journalist George Packer auf einen Aspekt hin, der gar nicht hoch genug bewertet werden kann:

„Es stellt sich heraus, dass alles am Ende von einzelnen Personen abhängt. Die Kontrollmechanismen sind nicht nur abstrakt: Ausgeübt wird die Kontrolle von Individuen. Wenn Individuen im Kongress, im Obersten Gerichtshof oder in der Verwaltung einen Präsidenten, der immer mehr Macht erlangen will, nicht stoppen, wird ihn nichts aufhalten. Es gibt keinen magischen Gott, der heruntersteigt und sagt: ‚Das reicht, du hast gegen das Gesetz und die Verfassung verstoßen.‘ Es liegt an uns.“

Die Analyse von Jelena von Achenbach und Maximilian Steinbeis im ersten Legislativ-Beitrag setzt bei diesem oft übersehenen Punkt an: Machtausübung autoritärer Populisten beginnt nicht erst mit einer Regierungsbeteiligung, sondern kann bereits durch die Kontrolle parlamentarischer Schlüsselpositionen erfolgen. Am Beispiel des Amtes der Thüringer Landtagspräsidentin zeig Achenbach/Steinbeis, wie eine autoritär-populistische Partei über die Verfahrenshoheit in zentralen Sitzungen – etwa der Ministerpräsidentenwahl – weitreichende Macht entfalten könnte. Die Landtagspräsidentin entscheidet über die Auslegung unklarer Wahlvorschriften, kann die Verwaltung des Parlaments politisieren, die Außendarstellung des Landtags instrumentalisieren und so symbolisch wie praktisch demokratische Strukturen aushöhlen. Das macht deutlich, dass schon vor der Regierungsübernahme institutionelle Einfallstore existieren, die einer gezielten Strategie der Unterwanderung offenstehen.

Legislative

In direkter Linie schließt daran die Überlegung an, dass autoritäre Populisten das Parlament weniger als Ort demokratischer Aushandlung begreifen, sondern als Bühne zur Delegitimierung. Die Beiträge von Jaschinski, Zillessen, Talg und Brandau rekonstruieren die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags 2024 als exemplarische Inszenierung dieser Strategie durch den AfD-Alterspräsidenten: Geschäftsordnungsfragen werden zu Werkzeugen politischer Provokation, die institutionelle Ordnung wird bewusst infrage gestellt.

Sven Hölscheidt weitet den Blick auf die strukturelle Dimension solcher Verhaltensweisen und benennt Obstruktion als mögliches, aber demokratietheoretisch untragbares Muster. Michael Koß greift dieses Problem komparativ auf und zeigt, dass autoritär-populistische Akteure Obstruktion nicht zufällig, sondern systematisch und taktisch einsetzen, um den Gesetzgebungsprozess zu blockieren und politische Handlungsfähigkeit zu unterminieren. Sophie Schönberger schließlich schärft die Unterscheidung zwischen legitimer Nutzung von Minderheitenrechten und deren strategischem Missbrauch: Während Opposition ein notwendiges Korrektiv darstellt, verwandelt sich ihre Funktion unter autoritär-populistischen Vorzeichen in eine Obstruktionsstrategie, die auf den Stillstand demokratischer Verfahren zielt.

So ergibt sich eine gemeinsame Linie: Autoritäre Populisten nutzen die Regeln des Parlaments nicht zur Mitgestaltung, sondern zur Selbstinszenierung und Blockade. Sie degradieren die Legislative zu einer Bühne der Machtverachtung, noch bevor sie Exekutivmacht in den Händen halten – und verschieben so Schritt für Schritt die institutionelle Balance des demokratischen Systems.

Während die zuvor genannten Beiträge das systematische Missbrauchspotenzial parlamentarischer Verfahren durch autoritär-populistische Strategien in den Blick nehmen, richten Thomas Britz und Bijan Moini sowie Frank Decker den Fokus auf spezifische Schwachstellen der Legislative. Britz und Moini fragen nach der zeitgemäßen Legitimität der Abgeordnetenimmunität. Ihr Kernargument lautet, dass Immunität zwar historisch dem Schutz freier Mandatsausübung diente, in der Praxis aber von Abgeordneten als Schutzschild für strafbare Handlungen missbraucht werden könne. Gerade in einer Situation, in der autoritär-populistische Kräfte bereitstünden, parlamentarische Privilegien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, müsse über eine Reform dieses Instruments nachgedacht werden. Die Skepsis von Britz/Moini gegenüber der Immunität greift zwar ein reales Problem auf – die Möglichkeit des Missbrauchs –, stellt zugleich aber ein zentrales Schutzprinzip parlamentarischer Arbeit infrage. Die Gefahr bestünde, dass eine Abschwächung der Immunität nicht primär autoritäre Populisten trifft, sondern auch oppositionelle oder unliebsame Abgeordnete verwundbarer gegenüber staatlicher Repression macht.

Frank Decker nimmt die Ministerpräsidentenwahl ins Visier. Seine These: Das Prinzip der geheimen Abstimmung, das einer freiheitlichen Demokratie traditionell eingeschrieben ist, könne in der gegenwärtigen Konstellation Manipulationen und intransparente Stimmabsprachen erleichtern. Eine offene Abstimmung würde den politischen Prozess klarer machen und das Parlament zugleich gegen verdeckte Einflussnahmen robuster gestalten. Auch Decker liefert eine angreifbare These. Die Forderung nach einer offenen Ministerpräsidentenwahl im Landtag bricht mit einem Grundpfeiler demokratischer Wahlverfahren – der geheimen Stimmabgabe. Zwar würde sie Transparenz und Klarheit über die Mehrheitsverhältnisse schaffen, doch könnte sie Abgeordnete auch politischem und öffentlichem Druck aussetzen. Gerade in Zeiten starker Polarisierung und Bedrohungslagen wäre die Gefahr erheblich, dass individuelle Gewissensentscheidungen eingeschränkt werden.

Exekutive

Der Abschnitt zur Exekutive ruft die Frage auf, wie schnell und auf welchen Wegen zentrale Institutionen einer Regierung politisch vereinnahmt werden könnten. Tobias Mast und Lennart Laude zeigen am Beispiel der Medienpolitik, dass ein autoritär-populistisches Kabinett den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach polnischem Vorbild rasch gleichschalten könnte – über die Kontrolle von Gremien und Personalentscheidungen, die Vielfalt und Unabhängigkeit faktisch beseitigen.

Vivian Kube und Hannah Vos lenken den Blick auf das kaum beachtete Gnadenrecht. In den Händen eines Ministerpräsidenten könne es zum informellen Machtinstrument werden, um Loyalitäten zu belohnen und Netzwerke abzusichern – nahezu unkontrollierbar durch andere Institutionen. Hermann Heußner, Arne Pautsch und Maximilian Steinbeis diskutieren schließlich die Gefahr plebiszitärer Verfahren. Volksabstimmungen böten autoritären Populisten die Möglichkeit, den „Volkswillen“ gegen demokratische Institutionen und Minderheitenrechte auszuspielen und damit ihre Agenda mit hoher Symbolkraft zu legitimieren.

Auch der Sicherheitsapparat gerät in den Fokus: Jannik Jaschinski und Armin Steinbach verdeutlichen, wie Polizei und Verfassungsschutz ohne formale Gesetzesänderungen in kurzer Zeit auf Loyalitätsträger ausgerichtet und damit politisch instrumentalisiert werden könnten.

Ergänzend rückt Andreas Nitschke die Rolle der Beamtenschaft in den Blick. Er beschreibt die Konfliktlage von Staatsdiener:innen, die zwischen Gehorsamspflicht und Remonstrationsrecht geraten, wenn Weisungen von einer autoritär-populistischen Spitze ausgehen – und plädiert für stärkere Schutzmechanismen im Beamtenrecht. Franziska Görlitz ergänzt diese Perspektive um den Hinweisgeberschutz: Whistleblower:innen in Behörden könnten rechtsstaatliche Integrität sichern, seien jedoch durch das bestehende Gesetz nicht ausreichend geschützt und benötigten robustere rechtliche Rahmenbedingungen.

Schließlich analysieren Ali Ighreiz und Joschka Selinger das Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Sie zeigen, dass Landrät:innen als Wahlbeamt:innen auf ihre Verfassungstreue verpflichtet sind und dass Wahlanfechtungen in Thüringen eine Art „Quasi-Popularklage“ ermöglichen, mit der sich verfassungsfeindliche Amtsinhaber im Zweifel juristisch entfernen ließen.

Das Kapitel entfaltet ein Panorama möglicher Einfallstore autoritär-populistischer Regierungsführung – von Medien, Gnadenrecht und Volksabstimmungen über den Sicherheitsapparat bis hinein in die Verwaltungspraxis, das Beamtenethos und das kommunale Wahlrecht. Die Beiträge machen deutlich, dass autoritäre Vereinnahmung nicht allein über spektakuläre Machtakte erfolgt, sondern ebenso über vermeintlich technische Detailfragen und alltägliche Verwaltungsinstrumente.

Judikative

Anzunehmen ist, dass nur einem sehr kleinen Teil der Bürgerinnen und Bürger die Existenz von Richter- und Staatsanwälte-Wahlausschüssen bekannt ist. Daran dürfte auch das Drama um die Wahl von Richter:innen für das Bundesverfassungsgericht im Sommer dieses Jahres nur wenig geändert haben.

Der Richter- und Staatsanwälte-Wahlausschuss in Thüringen ist seit mehreren Jahren immer wieder und aktuell erneut blockiert. Bereits 2020 zu Beginn der damaligen Legislaturperiode hat die AfD über Monate die Konstituierung verhindert, indem sie ihre Kandidaten erst dann entsandte, als andere Parteien ihre Bedingungen akzeptierten. Nach der Landtagswahl im September 2024 kam es erneut zur Blockade — seitdem gibt es ein dauerhaftes Tauziehen um die Besetzung der Ausschüsse, das seit über einem Jahr andauert.

„Die bewusste Verhinderung der Neuwahl der Mitglieder des Richter- sowie des Staatsanwältwahlausschusses durch die AfD ist ein klarer Missbrauch der parlamentarischen Regeln und eine Gefährdung unserer demokratischen Ordnung. Es ist völlig inakzeptabel, dass die Sperrminorität instrumentalisiert wird und so in letzter Konsequenz die Justiz lahmgelegt wird.“

Die zutreffende Feststellung von Tanja Keller, Vorstandssprecherin der Neuen Richter:innenvereinigung verweist auf die Bedeutung von Sicherungsmöglichkeiten für die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Rechtssystems. Sieben Beiträge zeichnen ein Panorama institutioneller Resilienzstrategien: von der Reform der Richterwahl über die Sicherung der Handlungsfähigkeit von Verfassungsgerichten bis hin zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen. Gemeinsam machen sie deutlich, dass die Justiz nicht nur Bollwerk gegen autoritäre Tendenzen ist, sondern selbst institutionell geschützt und gestärkt werden muss, um ihre Rolle als Garantin des Rechtsstaats erfüllen zu können.

Juliana Talg und Fabian Wittreck zeigen zunächst, dass das Zweidrittelerfordernis bei Richterwahlen zwar Pluralismus schützt, zugleich aber Blockaden durch Sperrminoritäten ermöglicht. Ihr Modell einer Kombination aus Vorschlagsrecht des Verfassungsgerichts und abgesenktem Parlamentsquorum will Blockaden lösen, ohne den Schutz der Vielfalt preiszugeben. Lucas C. Gundling plädiert für eine Selbstergänzung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, wenn politische Blockaden seine Handlungsfähigkeit gefährden, kombiniert mit einem Korrekturrechts des Landtags, um die parlamentarische Legitimation zu wahren. Werner Reutter sieht in dieser Selbstergänzung zwar einen möglichen Rettungsanker, warnt aber vor erheblichen Risiken und Nebenwirkungen, insbesondere mit Blick auf Legitimation und politische Akzeptanz.

Zora Machura und Jakob Weickert erweitern den Blick auf das Bundesverfassungsgericht: Sie diskutieren, wie Karlsruhe im Notfall einspringen könnte, sollte eine Landesverfassungsgerichtsbarkeit funktionsunfähig werden. Ein solches Auffangmodell über den Bundeszwang würde die richterliche Unabhängigkeit wahren und zugleich die Grundlagen des Rechtsstaats sichern. In einem weiteren Beitrag zeigen Talg und Wittreck am Beispiel Thüringen, wie die Blockade des Richterwahlausschusses zu einem Ausfall lebenslanger Ernennungen führen kann. Sie schlagen als Notfallmechanismus eine exekutive Ernennung vor – eine verfassungsrechtlich heikle, aber praktikable Übergangslösung, die  keine Einflusswirkung zur Lösung des weiterhin virulenten Problems entfaltete.

Mit der Rechtsdurchsetzung befasst sich Philipp Koepsell, der aufzeigt, dass die Verwaltungsgerichtsordnung eine Vollstreckungslücke aufweist: Exekutiven könnten Gerichtsentscheidungen schlicht missachten. Die geplanten Reformen genügen ihm nicht; er fordert klarere und wirksamere Vollstreckungsinstrumente. Raven Kirchner schließlich betont, dass die Befolgung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nicht allein auf rechtlichen Pflichten beruht, sondern in hohem Maße auf öffentlicher Sichtbarkeit, Vertrauen und politischer Rückendeckung. Nur wenn Recht und Gesellschaft zusammenwirken, entfalte die Bindungswirkung von Urteilen ihre Kraft.

Öffentlichkeit & Zivilgesellschaft

Als nach der Landtagswahl im Februar 1924 eine bürgerlich-nationalkonservative Minderheitsregierung im damaligen Thüringen an die Macht kam, stützte sie sich auf die Stimmen des völkisch-nationalsozialistischen Blocks. Infolgedessen wurde die 1919 in Weimar gegründete Bauhaus-Kunstschule nach Dessau vertrieben.

Die Szenarien-Betrachtungen des Thüringen-Projekts diskutierten mit Blick auf die massiven Angriffe autoritärer Populisten gegen demokratische Diskurse und zivilgesellschaftliche Handlungsräume, geeignete Schutzmöglichkeiten.

Klaas Müller und Vivian Kube greifen dabei auf die Debatte How Democracies Survive zurück und argumentieren, dass Demokratien nicht allein durch institutionelle Reformen überleben, sondern durch die Förderung der Voraussetzungen für eine lebendige Öffentlichkeit: Vertrauen, Teilhabe und Respekt vor pluraler Debatte. Jonas Deyda wendet sich gegen ein „etatistisches Missverständnis“. Er zeigt, dass der Staat zwar parteipolitische Neutralität wahren muss, daraus aber keine Pflicht erwächst, zivilgesellschaftlichen Organisationen parteipolitisch missliebige Äußerungen zu verbieten. Vielmehr sei es Ausdruck demokratischer Vielfalt, wenn auch kontroverse Stimmen in staatlich geförderten Strukturen ihren Platz haben.

Justus Duhnkrack nimmt die Kunstfreiheit in den Blick. Unter dem Titel „Das ist Kunst, das kommt weg“ beleuchtet er, wie autoritär-populistische Regierungen Kunst und Kultur als Angriffspunkt wählen, sei es durch diffamierende Debatten oder durch gezielte Förderkürzungen. Marc André Bovermann und Samuel Stowasser richten den Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie fragen, inwiefern er strukturell als Grundpfeiler demokratischer Öffentlichkeit gesichert bleibt oder ob er angesichts politischer Einflussnahmen selbst zu einem „(G)rundfunk“ mit Legitimationsdefiziten werden könnte. Katharina Leusch verweist auf eine weitere Schwachstelle: die Bürgermedien. Unter dem Deckmantel partizipativer Öffentlichkeit könnten sie von autoritären Parteien missbraucht werden, um Propaganda zu betreiben und damit quasi „durch die Hintertür“ einen eigenen Parteisender zu etablieren.

Die rechtliche Dimension greift Johannes Maurer auf. Er zeigt, wie rechte Akteure gezielt Abmahnungen und Klagen einsetzen, um zivilgesellschaftliche Initiativen und kritische Medien einzuschüchtern und Debatten zu verschieben. Sein Fazit: Gegenstrategien sind notwendig, um diesen „chilling effect“ juristischer Verfahren zu begrenzen.

Katharina Hölzen und Nina Alizadeh Marandi schließen den Abschnitt mit einer programmatischen These: Demokratien können ohne geschützte Räume der Zivilgesellschaft nicht wehrhaft bleiben. Die Pflicht zum Demokratieschutz umfasse daher nicht nur staatliche Institutionen, sondern auch die aktive Absicherung jener Orte, an denen gesellschaftliche Teilhabe praktiziert wird.

Wer diese Texte liest, kommt nicht umhin, immer wieder auf die USA und die Angriffe der Trump-Regierung auf Wissenschaft, Kunst und Medien zu schauen. George Packer bringt den Widerspruch auf den Punkt:

„Diese Regierung ist mit dem Versprechen angetreten, die ‚Cancel Culture‘ abzuschaffen und die Meinungsäußerungsfreiheit wiederherzustellen. Stattdessen erleben wir nun die schwerwiegendste Bedrohung der Redefreiheit […] durch die Regierung.“

Doch machen wir uns auch hier in Deutschland nichts vor: Aus den Texten im Verfassungsbook wird sehr deutlich, dass die institutionellen Sicherungsseile von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft dünn sind. Insbesondere dann, wenn in den betreffenden Institutionen ebenso wie in Verwaltung und Justiz die Zivilcourage dem Opportunismus oder der Feigheit in dem Maße weicht, wie es beispielsweise an den Universitäten oder im Umgang mit den Late-Night-Moderatoren Steven Colbert und Jimmy Kimmel zu beobachten war.

Vulnerabilität

Autoritär-populistische Strategien beruhen immer auf Spaltung: Sie differenzieren nach Betroffenheitsgraden, spielen Gruppen gegeneinander aus und bedrohen gerade jene, die auf Gleichheit und Schutz besonders angewiesen sind. Damit ergänzt es die institutionell geprägten Analysen des Bandes um die Perspektive derjenigen, die im Zentrum der Angriffe stünden – und macht deutlich, warum demokratische Resilienz ohne den Schutz vulnerabler Gruppen unvollständig bleibt.

Das abschließende Kapitel des Sammelbandes erinnert daran, dass autoritär-populistische Machtübernahmen nicht nur institutionelle Strukturen verändern, sondern immer auch konkrete Folgen für diejenigen haben, die am stärksten von diskriminierenden Politiken betroffen wären.

Vanessa Wintermantel setzt mit einer Reflexion über den Wert der Gleichheit ein. Sie macht deutlich, dass Gleichheit kein abstrakter Verfassungsgrundsatz ist, sondern in autoritären Szenarien als praktische Lebensrealität bedroht wird – durch gezielte Hierarchisierung von Bürgerrechten. Berkan Kaya zeigt daran anschließend, wie die AfD durch die rhetorische (Re-)Etablierung eines rassistischen Volksbegriffs versucht, Zugehörigkeit und Rechte exklusiv zu definieren. Die Strategie, ein homogenes „Volk“ zu konstruieren, richtet sich gegen Migrant:innen und People of Color und verankert Diskriminierung im Zentrum politischer Ordnung.

Marie Müller-Elmau und Eva Maria Bredler analysieren, wie autoritär-populistische Parteien auf europäischer Ebene den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen beschränken und damit reproduktive Rechte systematisch zurückdrängen. Sie warnen vor einem „reproductive backsliding“, das auch Deutschland nicht ausnehmen würde. Noch zugespitzter zeigen Anna Katharina Mangold und Nick Markwald am Beispiel trans*Menschen, dass es für bestimmte Gruppen buchstäblich um alles geht: Ihre Existenz und Selbstbestimmung stünden im Fokus autoritärer Politiken, die mit rechtlichen Einschränkungen, öffentlicher Hetze und dem Abbau von Schutzräumen operieren.

Ebenfalls migrationspolitisch relevant ist der Beitrag von Isabel Kienzle und Rhea Nachtigall. Sie verdeutlichen, wie eine migrationsfeindliche Landesregierung aufenthaltsrechtliche Auslegungs- und Ermessensspielräume missbrauchen könnte, um faktisch Abschreckungspolitik zu betreiben. Auf kommunaler Ebene knüpft Klaas Müller an: Er beschreibt, wie Kommunen als erste staatliche Ansprechpartner:innen genutzt werden könnten, um menschenwürdeverletzende Praktiken durchzusetzen – von der Wohnsitzauflage bis zur restriktiven Sozialpolitik. Schließlich plädiert Doris Liebscher dafür, das Antidiskriminierungsrecht entschlossen zu verteidigen. Nicht nur die AfD, auch strukturelle Trägheiten in Verwaltung und Politik gefährdeten seine Wirksamkeit; umso wichtiger sei es, rechtliche Schutzmechanismen nicht zu schwächen, sondern zu stärken.

Der abschließende Beitrag „Aus dem Reallabor des zivilen Verfassungsschutzes“ von Jannik Jaschinski, Marie Müller-Elmau und Friedrich Zillessen knüpft an die Leitidee des Bandes an, die Zillessen im Einleitungstext formulierte: Demokratie müsse dort verteidigt werden, wo autoritäre Populisten ihre Schwachstellen suchen. Was er programmatisch als Szenarioanalyse beschrieb, konkretisiert der Rückblick: Ein zuvor entwickeltes Szenario – die AfD als stärkste Fraktion und ihre Inszenierung in der konstituierenden Sitzung des Landtags – trat im September 2024 tatsächlich ein. Damit bewährte sich das Prinzip der Antizipation, zugleich wurde spürbar, wie fordernd und mobilisierend politische Realität auf wissenschaftliche Arbeit wirken kann.

Das Team schildert die Spannung zwischen nüchterner Analyse und der Gefahr, Alarmismus zu befördern. Entwicklungen wie die Richterwahl-Blockade oder Versuche, Zivilgesellschaft mit Neutralitätspflichten einzuschränken, bestätigten jedoch die Relevanz ihrer Warnungen. Das Projekt war damit zugleich methodische Innovation und politischer Eingriff: Es schärfte das Bewusstsein für Verwundbarkeiten, regte Reformdebatten an und fand öffentliche Anerkennung, etwa durch die Verleihung der Theodor-Heuss-Medaille. „Ziviler Verfassungsschutz“ erscheine so weniger als Forschungsansatz, sondern als Praxis, die in Rathäusern, Redaktionen und Vereinen verankert werden müsse.

Am 6. September 2026 wird der Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt. In den gegenwärtigen Umfragen liegt die AfD mit großem Abstand auf Platz 1 (AfD: 39 %, CDU: 27 %). Die Linke liegt bei 13 %, das BSW bei 6 % und auf die SPD würden gegenwärtig 7 % entfallen.

In Mecklenburg-Vorpommern sieht die Situation noch übler im Hinblick auf den Vorsprung der AfD aus, die dort nach jüngster Prognose vom 25. September 2025 auf 38 % kommt, während auf die SPD 19 % Zustimmung entfallen, gefolgt von der CDU (13 %) und der Linken (12 %), während das BSW gegenwärtig 7 % Zustimmung erfährt und die GRÜNEN immerhin mit 5 % knapp erneut im Landtag vertreten wären.

Das Thüringen-Projekt ist aktuell – und es gibt noch viel zu tun. Indem das Buch als open access-Publikation kostenfrei online abrufbar ist, können alle Interessierten mit diesem Kondensat des Thüringen-Projekts arbeiten. Ihm ist eine große Verbreitung ebenso zu wünschen, wie Verantwortungsträger:innen, die jeweils für sich prüfen, welche Handlungserfordernisse bestehen.

Friedrich Zillessen (Hrsg.), Die vorbereitete Demokratie. Resilienz durch Antizipation im Thüringen-Projekt, Verfassungsbooks, Berlin 2025 (DOI 10.17176/20250924-155423-0)