Hard Times - Politische Bildung unter Druck
- Benjamin-Immanuel Hoff aus der Ausstellung "Next Generation #2"
In Sachsen-Anhalt fordert die AfD die komplette Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung. Doch auch ohne solche drastischen Maßnahmen gerät ihre Unabhängigkeit unter Druck: Beispiele aus NRW und Berlin zeigen, wie durch Kürzungen, Umstrukturierungen und direkte Einflussnahme die Überparteilichkeit politischer Bildung gefährdet wird.
Bundesweit gibt es sie fast überall – die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung. Sie sind unverzichtbare Stützen unserer Demokratie, obwohl sie oft nicht im Rampenlicht stehen.
Ihre Geschichte reicht tief in die deutsche Vergangenheit. Nach 1945 wurden sie gegründet, um Bürger:innen zu helfen, Demokratie nicht nur zu verstehen, sondern sie auch aktiv zu leben. Aber diese Form überparteilicher politischer Bildung kam nicht aus dem Nichts. Schon 1918 wurde die „Zentrale für Heimatdienst“ geschaffen, um während des Ersten Weltkriegs den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Später übernahm die „Reichszentrale für Heimatdienst“ in der Weimarer Republik ähnliche Aufgaben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war aber klar: Bildung allein reicht nicht. Sie muss überparteilich und unabhängig sein – und sie darf keine Ideologien aufzwingen. Die heutige Form politischer Bildung ist eine klare Lehre aus den Fehlern der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und später auch aus der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit.
Ein zentraler Baustein dieser Arbeit ist der sogenannte Beutelsbacher Konsens. Ein Schlüsselprinzip dabei ist das „Überwältigungsverbot“. Das bedeutet: Niemand darf in der politischen Bildung so beeinflusst werden, dass er oder sie eine Meinung unreflektiert übernimmt. Politische Bildung soll informieren, einordnen und befähigen – nicht manipulieren. Und auch aktuelle, kontroverse Themen wie die Klimakrise, soziale Ungleichheit oder Migration müssen genauso kontrovers behandelt werden.
Damit all das funktioniert, müssen die Landeszentralen unabhängig arbeiten können. Sie dürfen nicht zu Werkzeugen der regierenden Parteien werden. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont: Neutralität und Überparteilichkeit sind keine Extras – sie sind Grundvoraussetzungen.
Gerade deshalb stehen die Landeszentralen in direktem Widerspruch zu autoritären Regimen. Denn autoritäre Systeme – sei es in Diktaturen oder illiberalen Demokratien – fürchten informierte und kritische Bürger:innen. Stattdessen setzen sie auf Indoktrination, um Kontrolle über Gedanken und Meinungen zu behalten. Wenn also die unabhängige Arbeit der politischen Bildung eingeschränkt wird, steht mehr viel dem Spiel.
Ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn politische Bildung eingeschränkt wird, ist Niedersachsen. Dort schaffte die Landesregierung 2004 unter Christian Wulff, damals CDU-Ministerpräsident, die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung einfach ab. Zwölf lange Jahre später wurde die Entscheidung zurückgenommen. 2016 errichtete der Landtag die Zentrale einstimmig wieder. Im Januar 2017 nahm sie ihre Arbeit auf.
Das zeigt, wie verletzlich solche Institutionen sind – vor allem, wenn politische Prioritäten sich ändern. Aktuell sind bedenkliche Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen-Anhalt zu beobachten.
NRW: Stabsstelle Extremismus schwächt Landeszentrale für Politische Bildung
Im November 2023 berichtete der WDR von einem „Kahlschlag“ bei der Landeszentrale für politische Bildung.
Das Wissenschaftsministerium, das von der CDU geführt wird, hat eine neue Stabsstelle eingerichtet, die sich auf Extremismusprävention konzentrieren soll. Diese Stelle wurde mit 650.000 Euro ausgestattet und sieben Referent:innen besetzt. Einige dieser Stellen kamen direkt aus der Landeszentrale, die dadurch massiv geschwächt wurde.
Jetzt hat die Landeszentrale noch fünf Referent:innen – und das in einem Bundesland mit 18 Millionen Einwohner:innen. Das bedeutet: Eine:r dieser Referent:innen ist für 3,6 Millionen Menschen zuständig.
Auch die Gedenkstättenarbeit sollte ursprünglich aus der Landeszentrale herausgelöst werden. Nach breiten Protesten wurde dieser Schritt zwar zurückgenommen, aber alle anderen Einschnitte blieben.
"Mit dieser Personalausstattung wird die Landeszentrale auf ein Minimum zusammengestutzt, jeder Schulförderverein hat da mehr Schlagkraft", kritisierte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin im Landtag NRW, Elisabeth Müller-Witt, die Landesregierung und forderte sie auf, von den Plänen Abstand zu nehmen.
Der Bundesausschuss für politische Bildung erklärte in einer Stellungnahme:
„Obwohl die die Landesregierung tragenden Parteien in ihrem Koalitionsvertrag 2022 apodiktisch deklamiert haben: „Die Landeszentrale für politische Bildung werden wir strukturell und inhaltlich stärken und unabhängiger machen.“ (Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen in NRW 2022) beschreiten sie mit diesen Maßnahmen genau den gegenteiligen Weg.“
Die Landeszentrale für politische Bildung in NRW galt im bundesweiten Vergleich bereits vor diesem Einschnitt als diejenige mit der „von der Rechtsgrundlage her – schwächsten Stellung einer Landeszentrale gegenüber der Exekutive“, wie Lukas C. Gundling in einem Vergleich der rechtlichen Ausgestaltung der Landeszentralen für politische Bildung bereits 2020 herausgearbeitet hatte. Dieser wissenschaftliche Befund wird durch den „Kahlschlag“ bestätigt und verstärkt.
Berlin: Stabsstelle führt Landeszentrale nunmehr an "kurzer Leine"
Ein knappes Jahr später, im Herbst 2024, richtete die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (auch CDU) ebenfalls eine neue Stabsstelle ein. Anders als in NRW soll diese Stabsstelle nicht eigene Aufgaben in der politischen Bildung übernehmen, sondern konkreten Einfluss auf die Ausrichtung der Landeszentrale für politische Bildung nehmen.
Seither sind Jahresprogramm, die Förderung einzelner Träger sowie die Erstellung von Materialien „stets mit der Stabsstelle fachlich und inhaltlich abzustimmen“ und durch sie „mitzuzeichnen“. Die Landeszentrale sei darüber hinaus „auskunfts- und berichtspflichtig gegenüber der Stabsstelle“. Darüber hinaus muss die Landeszentrale „Initiativen“ der Stabsstelle umsetzen.
Als Begründung für diese Maßnahmen werden sehr unterschiedliche Punkte genannt: Die Bildungsverwaltung begründete die Stabsstelle mit einer vermeintlich ineffektiven Organisationsstruktur. Die Demokratieförderung, die politische Bildung an Schulen und die Landeszentrale für politische Bildung seien drei verschiedenen Staatssekretären unterstellt. Dazu muss man wissen, dass sich keins der 16 Bundesländer so viel Staatssekretärinnen und Staatssekretäre leistet wie das chronisch unterfinanzierte Berlin. Derzeit sind es 25 Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. In anderen Bundesländern sind zwischen 8 bis maximal 16 Staatssekretär:innen beschäftigt.
Die Senatorin Günther-Wünsch äußerte in einer parlamentarischen Fragestunde: Wer die „Steuerzahler:innen in Berlin fragt“, erfahre, dass diese „den Wunsch und den Drang nach einem Ende dieses Wildwuchses haben“.
Wie werde der „Bedarf für ein Angebot wie den Workshop ‚Siebdruck und (kritische) Männlichkeit‘ ermittelt?“, fragte sie. „Wie hoch ist die Nachfrage für ‚Antirassistisches Training für weiße Frauen‘?“ Es war eine selten unverhohlene öffentliche Kritik an der Arbeit einer Behörde in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich, fasste die tageszeitung taz zusammen. Abschließend stellte sie die rhetorische Frage: „Muss das Angebot ausgeweitet werden, oder kann es in Teilen zurückgefahren werden?“
In diesem Sinne schrieb bereits im Mai des vergangenen Jahres die Berliner Zeitung: Die CDU „will ihr nach der vergangenen Abgeordnetenhauswahl enorm gestärktes politisches Gewicht nutzen, um die Landeszentrale anders auszurichten.“ Denn – so schreibt die Zeitung kritisch nicht gegenüber der CDU, sondern gegenüber der Landeszentrale weiter – „tobt ein Kampf darüber, was die Institution sein kann und soll: Hort ganz basaler Aufklärung über demokratische Werte und Spielregeln oder Mitspielerin im ohnehin schon riesigen Universum des identitätspolitischen Aktivismus?“
Die Auseinandersetzung ziehe sich seit über einem Jahr hin, sagt Maja Lasić gegenüber der tageszeitung die taz. Lasić ist Abgeordnete der SPD, dem Juniorpartner der schwarz-roten Koalition in Berlin. Es gebe eine „hocheskalative Debatte rund um die Unabhängigkeit der Landeszentrale“. Für Lasić gehören auch die Versuche dazu, den Umgang der Verwaltung mit den freien Trägern politischer Bildung neu zu regeln: „Die politische Motivation ist die gleiche.“ Es gehe der CDU dabei um „politisches Signaling ins konservative Spektrum“. Die dabei verbreitete Erzählung laute, dass die Landeszentrale 30 Jahre in den Händen der SPD war und dabei Bündnisse mit linken Partnern eingegangen sei. Die Folge sei angeblich eine „starke Fokussierung auf die Identitätspolitik“. Statt Bildung für alle anzubieten, gebe es „linken woken Quatsch“. Das sei die Unterstellung der CDU.
Die Anwürfe gegen die Berliner Landeszentrale sind kein Einzelfall. Anfang Oktober schrieb der Bundesausschuss für politische Bildung (bap) – ein Zusammenschluss freier Bildungsträger – einen alarmierenden Brief. Man beobachte „zunehmende Versuche der Politik, die Zentralen der politischen Bildung stärker an die Regierung“ zu binden, heißt es darin. Überall zeige sich die „Tendenz zur Verstaatlichung der politischen Bildung“, sagte Wilfried Klein, bis vor Kurzem bap-Vorsitzender gegenüber der taz. Das sei „mit dem Selbstverständnis einer offenen, von einer kritischen Öffentlichkeit getragenen Zivilgesellschaft nicht vereinbar“.
Sachsen-Anhalt: AfD will die Landeszentrale für Politische Bildung gänzlich abschaffen
Beifall erhielt die Berliner CDU für ihren Umgang mit der Landeszentrale für politische Bildung allein von der AfD. Das überrascht nicht, denn Demokratieförderprogramme und die demokratische politische Bildung sind der AfD von jeher ein Dorn im Auge. Für ihre Kritik an den vermeintlich links-woken, identitätspolitischen Angeboten der politischen Bildung kann sie sich durch die Berliner CDU-Argumentation und Verdächtigungen eins zu eins bestätigt fühlen.
Wohin die AfD mit der politischen Bildung will, zeigt ein Antrag der Partei, den sie im Landtag von Sachsen-Anhalt eingebracht hat. Der Antrag mit dem Titel „Schluss mit politischer Bevormundung und Indoktrination! Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung“ lässt keinen Zweifel an ihren Absichten.
Die zentralen Punkte dieses Antrags lassen sich klar zusammenfassen:
- Die AfD wirft der LZPB vor, einseitig von „linken Ideologien“ geprägt zu sein. Besonders kritisiert sie die Förderung von Projekten wie „Miteinander e. V.“ oder „Schule ohne Rassismus“, die sie als parteiisch und undemokratisch darstellt
- Laut der AfD richtet sich die LZPB gezielt gegen konservative und traditionsbewusste Ansichten. Der sogenannte „Kampf gegen rechts“ diene ihrer Ansicht nach dazu, konservative Positionen zu delegitimieren und ein „tendenziöses Meinungsklima“ zu schaffen, das der Neutralität und Überparteilichkeit widerspreche.
- Die AfD schlägt stattdessen ein neues Institut vor, das:
- Nationale Identifikation mit Heimat, Tradition und deutscher Leitkultur stärkt,
- kulturelles Erbe erforscht und vermittelt,
- durch Sprachförderung und Brauchtumspflege kulturelle Identität fördert und
- Bildungsprogramme zu deutscher Geschichte und politischer Kultur bietet.
Das Institut solle eine pluralistische Demokratie fördern und eine „gemeinschaftsstiftende Identität“ bewahren. Die aktuelle LZPB wird von der AfD als unfähig dargestellt, diese Aufgaben neutral und objektiv zu erfüllen. Das vorgeschlagene Institut soll vollständig aus dem Landeshaushalt finanziert werden.
Der von der AfD als Gegner auserkorene Verein Miteinander e.V. richtete durch seinen Geschäftsführer Pascal Begrich via Social Media aus:
Die AfD nennt es Linksextremismus, wir nennen es Verteidigung der Demokratie. Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung und dem Netzwerk der Schulen ohne Rassismus für ihr Engagement. Wir alle lassen uns den Mund nicht verbieten und bleiben #bestaendigfürdieDemokratie.
Der sich an diesen Beispielen seit Jahren abzeichnende Kurs lässt sich zusammenfassen als eine schleichende, aber immer deutlicher erkennbare Entwicklung:
- Zum einen werden Ressourcen und Aufgaben von der politischen Bildung in die Extremismusprävention verschoben.
- Zum anderen wird gezielt die Erzählung verbreitet, dass die politische Bildung von „linken, identitätspolitischen Aktivist:innen“ unterwandert sei und deshalb wieder auf ihre "Kernaufgaben" zurückgeführt werden müsse, womit nicht weniger als die Einengung des Kanons der politischen Bildung gemeint ist.
Setzt sich dieser Kurs fort, braucht es keine formelle Abschaffung von Landeszentralen mehr, wie wir sie früher in Niedersachsen erlebt haben. Allein durch Kürzungen, Umstrukturierungen und politische Einflussnahme wird die Rolle der Landeszentralen für politische Bildung nach und nach geschwächt.
Ein weiterer Punkt ist die engere Anbindung von politischer Bildung und Extremismusprävention an die Exekutive. Das macht diese Bereiche anfälliger für direkte politische Einflussnahmen – besonders in Bundesländern, wo autoritäre Populist:innen zunehmend in Entscheidungspositionen kommen.
Deshalb ist es wichtiger denn je, die Überparteilichkeit und Unabhängigkeit der politischen Bildung zu schützen und zu stärken. Denn wie die Beispiele aus Berlin und Nordrhein-Westfalen zeigen, kann selbst eine gesetzlich abgesicherte Unabhängigkeit untergraben werden – und das, ohne die entsprechenden Gesetze zu ändern.
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Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine verschriftlichte Fassung des Beitrags "Hard Times - Politische Bildung unter Druck" aus der Folge vom 20. Januar 2025 meines Podcasts "Kunst der Freiheit".

Ich bin Sozialwissenschaftler und Vater. Knapp drei Jahrzehnte war ich tätig als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister und Chef der Staatskanzlei. Zuletzt erschien von mir im VSA-Verlag: "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird".
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog zu Gesellschaftspolitik, Kultur & Kunst, Parteien sowie jüdischem Leben.