Hegemoniekämpfe: Rechte Räume und emanzipatorische Praxis
Der Verlag Westfälisches Dampfboot fungiert seit geraumer Zeit unangefochten als das Flaggschiff der Publikation von Schriften kritischer Raumforschung. Die vor knapp zwanzig Jahren begründete Reihe »Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis« unter der Herausgeber:innenschaft von Bernd Belina, Johanna Hoerning, Henrik Lebuhn und Boris Michel bildet ein Forum im Rahmen kritischer Gesellschaftstheorie. Im Zentrum dieser Forschungsrichtung steht die Einsicht, dass Raum keine neutrale Gegebenheit ist, sondern gesellschaftlich produziert wird – in ökonomischen, politischen und kulturellen Prozessen. Ziel der Buchreihe, die auf inzwischen 46 Bände zurückblickt, ist keine geschlossene Raumtheorie, sondern ein Verständnis gesellschaftlicher Raumverhältnisse als umkämpfte, historische und politische Prozesse.
Das Autor*innenkollektiv Terra-R, hervorgegangen aus dem DFG-Netzwerk „Territorialisierungen der radikalen Rechten“, knüpft an dieses gesellschaftstheoretische Projekt an und publizierte in der Reihe den knapp 300-seitigen Sammelband »Das Ende rechter Räume. Zu Territorialisierungen der radikalen Rechten«.
Auf das Buch aufmerksam wurde ich im Kontext von Recherchen für meinen Podcast KUNST DER FREIHEIT, in dem ich Mitte Oktober zwei Interviews zur Frage rechtsextremer Raumnahme durch rechte Immobilien führte. In der Sendung »Was hilft gegen rechtsextreme Immobilien und Raumnahme?« sprach ich mit
- dem Demokratie-Aktivisten Sebastian Zahn über die gesellschaftlichen Dynamiken und zivilgesellschaftliche Strategien im Kampf gegen solche rechte Raumnahme sowie
- dem Rechtsanwalt Dr. Jens Vorsteher über zu schaffende Rechtsgrundlagen, um Gemeinden die Möglichkeit zu geben, dem bodenpolitischen Agieren von Rechtsextremist:innen eine demokratische Bodenrechtsordnung entgegenzusetzen.
Nachlesbar sind die beiden Interviews im Beitrag »Zivilgesellschaftliche Strategien und rechtliche Instrumente gegen rechtsextremistische Raumnahme« auf meinem Blog www.nachdenken-im-handgemenge.de.
Wie ich nachstehend zeigen werde, berührt die im Podcast thematisierte Ebene nur eine derjenigen Territorialisierungen rechter Raumnahme, die vom Autor*innenkollektiv diskutiert werden. Denn bei der Raumnahme oder Territorialisierung geht es um nicht mehr und nicht weniger als um Hegemonie. Sie ist bekanntlich ein umkämpftes Feld, das nicht allein durch physische Kontrolle, sondern ebenso durch Bedeutungsproduktion, Wahrnehmung und Affekte hergestellt wird. Hegemonie umfasst also mehr als die Verfügung über Territorien im engeren Sinne; sie entsteht in der Verknüpfung von räumlichen, symbolischen und sozialen Ordnungen, durch die Zugehörigkeit, Ausschluss und Normalität definiert werden. Räume werden dabei zu Medien hegemonialer Macht, insofern sie gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur widerspiegeln, sondern aktiv strukturieren – durch bauliche Gestalt, institutionelle Präsenz, alltägliche Praktiken und diskursive Rahmungen.
In diesem Sinn verweisen die vom Autor*innenkollektiv analysierten Territorialisierungen auf Kämpfe um Sichtbarkeit, Deutungshoheit und emotionale Verankerung im Raum – also auf die Auseinandersetzung darum, wessen Weltbild sich im Raum materialisiert und welche gesellschaftlichen Alternativen darin möglich bleiben.
Das Buch entstand, so stellen die Autor:innen im Vorwort heraus, aus der Beobachtung, dass die wissenschaftliche Rede von „rechten Räumen“ häufig selbst zur Verfestigung solcher Zuschreibungen beiträgt. Anstatt rechte Dominanzgebiete einfach zu konstatieren, soll das Buch dazu beitragen, Territorialisierungen – also die Prozesse der Raumaneignung, -gestaltung und -fixierung – kritisch zu untersuchen.
Das Kollektiv verfolgt zwei Ziele: Es will erstens die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten in der Geographie und anderen Sozialwissenschaften vertiefen und zweitens Anknüpfungspunkte für widerständige, emanzipatorische Praxis schaffen.
Wissenschaftliche Selbstreflexion und empirische Analyse
Bereits das Vorwort macht deutlich, dass die Autor:innen auf zwei miteinander verschränkten, aber analytisch unterscheidbaren Ebenen tätig sind. Auf der einen Ebene reflektiert das Kollektiv über die eigene wissenschaftliche Praxis und über die Bedingungen kritischer Wissensproduktion. Diese Ebene zieht sich als roter Faden durch alle Teile des Buches, besonders aber durch das Vorwort, Kapitel 10 („Forschung in einem herausfordernden Feld“) und das Nachwort („Geographische Wissensproduktion zur radikalen Rechten“).
Hier wird Geographie nicht nur als Untersuchungsfeld, sondern als Akteurin verstanden – als Disziplin, die durch ihre Begriffe, Methoden und Kartierungen selbst Territorialisierungen herstellt. Das Kollektiv analysiert damit die eigene Rolle in Macht- und Wissensverhältnissen. Zentral sind folgende Themen:
- Wissenschaftliche Territorialisierung: Auch Forschung produziert Grenzen, Räume und Hierarchien; sie kann ungewollt dazu beitragen, rechte Zuschreibungen zu stabilisieren (z. B. durch Etikettierungen wie „rechte Regionen“).
- Epistemische Verantwortung: Angesichts der kolonialen und nationalsozialistischen Vorgeschichte der Geographie müsse kritische Forschung bewusst machtkritisch und dekolonial ausgerichtet werden.
- Arbeitsweise und Ethik: Kollektive, sorgende und horizontale Formen der Wissensproduktion werden als Gegenmodell zur neoliberalen, kompetitiven Wissenschaftspraxis vorgestellt.
- Forschen im Feld der radikalen Rechten: Diese Forschung ist nicht neutral möglich, weil sie stets politisch, emotional und sicherheitsbezogen herausfordernd bleibt.
Diese Reflexionsebene markiert also eine erkenntnistheoretische Selbstkritik und zugleich einen Versuch, das Forschen selbst als politisch-ethische Praxis neu zu denken.
Die zweite Ebene bildet den empirisch-analytischen titelgebenden Kern des Buches. Dort wird untersucht, wie rechte Akteur:innen Räume herstellen, deuten und beherrschen – als Territorialisierung als gesellschaftlichen Prozess der Machtaneignung nutzen. Aus den Analysen wird deutlich, dass rechte Räume nicht einfach existieren, sondern das Ergebnis von Auseinandersetzungen um Hegemonie sind:
- Rechte Akteur:innen besetzen symbolische und materielle Räume, um Zugehörigkeit, Kontrolle und kulturelle Dominanz zu etablieren.
- Gleichzeitig sind diese Territorialisierungen immer umkämpft – durch antifaschistische, zivilgesellschaftliche und alternative Raumpraktiken.
- Das Konzept der „rechten Räume“ wird selbst kritisch dekonstruieret: Es dient zwar der Beschreibung rechter Herrschaftspraktiken, läuft aber Gefahr, diese durch seine Kartierung zu verfestigen.
Unterteilt haben die Autor:innen das Buch in drei Teile, was einerseits nachvollziehbar ist und andererseits die Frage aufwirft, ob das Kapitel 10 einschließlich des Nachworts nicht einen eigenständigen Teil IV hätten beanspruchen können.
Auf angenehm transparente und reflektierte Weise legen die Autor:innen offen, dass ihre Arbeit im Kollektiv „nie selbstverständlich gewesen ist“ (S. 11):
„In einem akademischen Umfeld, in dem personalisierte Indizes mehr zählen als gemeinschaftliche Projekte, war die Entscheidung, kollektiv zu arbeiten, eine bewusste Entscheidung, die nicht ohne Reibungsverluste ablief. Wo die Drehtür zur traurigen Metapher eines Wettkampfs um das Innere der Academia geworden ist, treten wir die Flucht nach vorn an. Individuelle Förderformate bespielen wir gemeinschaftlich; die Logik eines Sammelbands münzen wir in die des Autor*innenkollektivs um. Zugleich tragen wir im Manuskript materiellen Bedarfen an persönlicher Zuordenbarkeit Rechnung, indem wir individuelle Beteiligungen als solche kenntlich machen.“
Dies geschieht wenn dann jeweils am Ende der Beiträge durch Benennung der jeweiligen Kollektivmitglieder, die zum Entstehungszeitraum des Buches aus 13 Personen bestand, wobei einer der Herausgeber der Reihe, Bernd Belina, als Mitautor aufgeführt wird.
Der Teil I »Perspektive einer Doppelbewegung« besteht aus zwei Beiträgen. In »Vom Angang und Ende rechter Räume« wird der Begriff „rechte Räume“ rekonstruiert und nachgewiesen, dass er in wissenschaftlichen, medialen und politischen Diskursen doppeldeutig verwendet wird. Einerseits beschreibt er reale Orte, an denen die radikale Rechte Hegemonie, Kontrolle und Mobilisierungsmacht erlangt – etwa „Nazi-Kieze“, Dorfgemeinschaften, Schulungsräume oder symbolisch aufgeladene Stätten. Andererseits fungiert der Begriff als analytische und mediale Kategorie, um bestimmte Regionen – häufig ländliche oder ostdeutsche – als besonders anfällig für rechte Strukturen zu markieren. Dadurch entstehen stereotype Zuschreibungen („brauner Osten“, „abgehängte Gegenden“), die gesellschaftliche Ursachen verdecken und rechte Dynamiken externalisieren.
Das Autor:innenkollektiv problematisiert diese doppelte Bedeutung: Der Begriff „rechter Raum“ tendiert dazu, rechte Herrschaft zu naturalisieren und gesellschaftliche Verantwortung zu verlagern. Stattdessen plädieren die Autor:innen für ein „Ende rechter Räume“ im doppelten Sinn – als Ziel emanzipatorischer Praxis und als kritische Abkehr von pauschalisierenden Raumkonzepten.
Zur theoretischen Neuorientierung führt das Kapitel das Konzept der Territorialisierung ein. Es versteht Raum als soziales Produkt, das durch politische, affektive und materielle Praktiken ständig hergestellt und umkämpft wird. Rechter Raum wird somit nicht als gegebene Struktur, sondern als Ergebnis von Territorialisierungen begriffen – also als Prozess der Aneignung, Kontrolle und Codierung durch rechte Akteure. Zugleich werden mediale und wissenschaftliche Zuschreibungen selbst als Akte der Territorialisierung reflektiert.
Im weiteren Verlauf entwickelt das Kollektiv daraus eine doppelte Forschungsperspektive:
- die Analyse rechter Territorialisierungen – also der räumlichen Praktiken, durch die Rechte Macht ausüben, und
- die Analyse der Territorialisierungen über die radikale Rechte – also wie Wissenschaft und Öffentlichkeit diese Prozesse deuten, kartieren und rahmen. Diese doppelte Blickrichtung ermöglicht eine machtsensible Untersuchung, die rechte Raumproduktionen als Teil gesellschaftlicher Verhältnisse begreift.
Im zweiten Beitrag »Jenseits rechter Raumnahme: Territorialisierung als Forschungsperspektive« wird das theoretische Fundament vertieft und gezeigt, dass der Begriff „Territorialisierung“ im deutschsprachigen Raum historisch belastet ist – insbesondere durch seine Verwendung in der nationalsozialistischen Geographie – weshalb er nur in kritisch-reflektierter Weise genutzt werden sollte. Um das Konzept zu öffnen, verbindet das Autor:innenkollektiv zwei Theorietraditionen:
- Das lateinamerikanische Konzept des territorio versteht Räume als durch soziale Praktiken, Konflikte und Machtverhältnisse hervorgebrachte, ständig veränderbare Gefüge. Territorialisierung meint hier ein „territorio-Machen“ – ein Prozess, in dem Akteur:innen handelnd ihre Beziehungen zu Umwelt, Gemeinschaft und Ökologie gestalten.
- Das anglophone Konzept des territory beschreibt dagegen Abstraktion, Kontrolle und Einhegung von Raum im Kontext kapitalistischer und kolonialer Ordnungen. Territorialisierung bedeutet hier, Grenzen zu ziehen, Zugehörigkeiten festzuschreiben und Macht über Räume auszuüben.
Das Kollektiv nutzt beide Ansätze parallel: territorio dient der Analyse gelebter, konfliktreicher Raumpraktiken der radikalen Rechten, während territory hilft, ihre politische und mediale Verräumlichung zu verstehen. Daraus entsteht die bereits im ersten Kapitel skizzierte Doppelfigur der Territorialisierung vonseiten und bezüglich der radikalen Rechten.
Anhand aktueller Beispiele – etwa rechter Übergriffe auf CSD-Veranstaltungen, neonazistischer Dorfstrukturen in Jamel oder des Potsdamer „Remigrations“-Treffens – zeigt das Kapitel, dass rechte Territorialisierungen vielfältige Formen annehmen: physische Raumaneignung, symbolische Markierung, kommunikative Mobilisierung und emotionale Aufladung. Territorialisierung wird so zu einem analytischen Werkzeug, das die Verschränkung materieller, diskursiver und affektiver Ebenen sichtbar macht.
Zugleich führt das Kapitel den Begriff der De- und Reterritorialisierung ein: Rechte Raumaneignungen bauen auf bestehenden räumlichen Arrangements auf, transformieren sie oder verdrängen alternative Ordnungen. Dadurch lassen sich auch Möglichkeiten des Widerstands, der Umcodierung und der Rückeroberung von Räumen denken. Die Vorstellung fixer „rechter Räume“ wird durch ein dynamisches Verständnis gesellschaftlicher Raumproduktion ersetzt, das Machtverhältnisse, Kämpfe und Widersprüche in den Mittelpunkt rückt und eine analytische wie politische Perspektive auf rechte Raumpolitiken eröffnet.
Rechte Geographien und progressive Praxis
Die vier Beiträge im Teil II »Geographien der radikalen Rechten« bilden den empirischen Kern und zeigen, wie rechte Raumproduktionen in unterschiedlichen Dimensionen wirken. Diese Unterscheidung der „Geographien“ dient nicht einer schematischen Aufteilung, sondern verfolgt das analytische Ziel, verschiedene Ebenen der Raumproduktion sichtbar zu machen: Handlungen, Gefühle, Vorstellungen und materielle Strukturen. So entsteht ein Verständnis dafür, dass rechte Räume nicht einfach „existieren“, sondern durch vielfältige Praktiken und Beziehungen immer wieder neu hervorgebracht werden.
In »Performative Territorialisierung: von Montagsprotesten und Neo-Kameradschaften« steht die Frage im Zentrum, wie rechte Akteur:innen durch Handlungen, Auftritte und symbolische Gesten Raum beanspruchen und soziale Grenzen ziehen. Diese performative Dimension zeigt sich etwa in Demonstrationen, Fackelmärschen, „Spaziergängen“, Aufkleberaktionen oder gezielten Präsenzstrategien im öffentlichen Raum. Solche Praktiken erzeugen Territorialität nicht nur durch physische Anwesenheit, sondern durch Wiederholung, Sichtbarkeit und Einschüchterung.
Rechte Performances sind nicht nur Ausdruck vorhandener Macht, sondern sie stellen Macht erst her. Durch Körper, Symbole und Rituale wird Raum als „rechter“ markiert und in gesellschaftliche Bedeutungszusammenhänge eingebettet. Der Beitrag arbeitet auch heraus, wie Gegenbewegungen – antifaschistische Demonstrationen, künstlerische Interventionen, solidarische Nachbarschaften – diese Territorialisierungen unterbrechen oder umcodieren. Performativität erscheint so als zentrales Feld, in dem rechte Raumordnungen umkämpft werden.
»Affektive Territorialisierung: von Heimatliebe und Baseballschlägerjahren« richtet den Blick auf Emotionen, Stimmungen und Atmosphären als Kräfte räumlicher Vergemeinschaftung. Rechte Räume entstehen sowohl durch sichtbare Handlungen, als auch durch affektive Bindungen – durch Angst, Wut, Nostalgie oder das Gefühl „Heimat“ verteidigen zu müssen. Diese affektive Territorialisierung beschreibt, wie rechte Diskurse Gefühle der Zugehörigkeit und Bedrohung erzeugen und so emotionale Landkarten formen.
Untersucht werden etwa Dorfgemeinschaften, lokale Protestmilieus oder Online-Foren, in denen kollektive Affekte zirkulieren. Rechte Bewegungen nutzen Emotionen strategisch, um Zugehörigkeit zu stiften und soziale Konflikte zu emotionalisieren. Dabei wird „das Eigene“ affektiv aufgeladen und „das Andere“ – Migrant:innen, Feminist:innen, Linke – mit Angst und Abwertung besetzt. Der Beitrag zeigt, dass Affekte so zu einem Medium werden, durch das rechte Territorialität verankert wird.
Zugleich wird betont, dass auch Gegenbewegungen auf affektive Resonanzen angewiesen sind: Solidarität, Trauer oder Wut können Räume des Widerstands ermöglichen. Die affektive Perspektive sensibilisiert somit für die emotionale Dimension politischer Raumkämpfe.
Der dritte Beitrag: »Imaginative Territorialisierung: von rassistischen Vorstellungen und tödlichen Anschlägen« befasst sich mit den Vorstellungen, Erzählungen und Bildern, durch die rechte Räume gedacht und imaginär produziert werden. Aus meiner Sicht ist dieser Beitrag deshalb so bedeutsam, weil er auf die symbolischen und diskursiven Grundlagen rechter Raumaneignung verweist – etwa durch historische Mythen, nationale Erzählungen oder Zukunftsfantasien.
Analysiert werden Narrative vom „untergehenden Abendland“, vom „reinen Volk“ oder vom „verlorenen ländlichen Idyll“, die in Reden, Wahlkämpfen, Social-Media-Posts und kulturellen Produkten verbreitet werden. Diese Imaginationen geben Orientierung, mobilisieren Emotionen und naturalisieren soziale Ungleichheit. Sie erzeugen ein Bild von „rechten Räumen“, das kollektives Handeln motiviert und gesellschaftliche Polarisierung vertieft. Dies als Teil einer rechten diskursiven Raumnahme in die Territorialisierung einzubetten, erscheint als ausgesprochen aufklärerisch.
Im vierten und den Teil abschließenden Beitrag »Infrastrukturelle Territorialisierung: von unpolitischen Umgehungsstraßen und vereinnahmten Plattformen« geht es u.a. um die Thematiken, die in den oben genannten Interviews in KUNST DER FREIHEIT erörtert wurden. Die Autor:innen richte den Fokus auf materielle und organisatorische Strukturen, die rechte Räume stabilisieren. Infrastrukturen – etwa Immobilien, Netzwerke, Medienplattformen, Vereine oder Bildungsstätten – bilden das Rückgrat rechter Raumproduktion. Sie ermöglichen Kontinuität, Ressourcenfluss und institutionelle Einbettung. Am Beispiel rechter Immobilienprojekte, völkischer Siedlungsinitiativen oder alternativer Medienstrukturen zeigt der Beitrag, dass rechte Territorialisierung langfristig auf materielle Verankerung zielt.
Infrastruktur wird dabei nicht nur als technische, sondern auch als soziale und symbolische Ressource verstanden: Sie schafft dauerhafte Begegnungsorte, reproduziert Milieus und unterstützt die Normalisierung rechter Praktiken. Zugleich verweist die Analyse auf die Ambivalenz von Infrastruktur: Dieselben Kommunikationswege, Räume oder Förderstrukturen können auch für Gegenöffentlichkeit und Solidarität genutzt werden. Die infrastrukturelle Perspektive öffnet somit den Blick auf das Spannungsfeld zwischen Verfestigung und Umnutzung gesellschaftlicher Ressourcen.
Vom Ende rechter Räume
Der dritte Teil des Buches stellt die Frage nach dem »Wie weiter?«. Von der theoretischen und analytischen Ebene gehen die Autor:innen zu den praktischen Erfahrungen und Perspektiven über. Dokumentiert sind drei Gesprächen in denen Initiativen aus Deutschland, Europa und Lateinamerika zu Wort kommen. Sie alle befassen sich auf unterschiedliche Weise mit rechter Raumproduktion und Gegenstrategien.
Das erste Gespräch verknüpft urbane und ländliche Perspektiven auf rechte Strukturen in Deutschland. Die beteiligten Initiativen aus Dortmund im Ruhrgebiet einerseits und dem ostthüringischen Saale-Holzland-Kreis arbeiten seit Jahren in Kontexten, die stark von rechter Gewalt, Alltagsrassismus und autoritären Milieus geprägt sind. Während es in Dortmund etwa um die Auseinandersetzung mit einer langjährigen neonazistischen Szene geht, die im Stadtteil Dorstfeld über Jahre hinweg versucht hatte, durch Einschüchterung, Präsenz und Immobilienbesitz einen „Nazi-Kiez“ zu etablieren, stehen im Saale-Holzland-Kreis ländliche Dominanzverhältnisse, Alltagsrassismus und soziale Isolation im Vordergrund. Deutlich wird, dass antifaschistische Arbeit im Lokalen einen langen Atem benötigt. Erfolgreich ist sie nur dann, wenn sie langfristig angelegt ist und Vertrauen aufbaut. Dabei zeigen sich Unterschiede: Während städtische Initiativen stärker auf Öffentlichkeit und Mobilisierung setzen, arbeiten ländliche Akteur:innen oft über persönliche Beziehungen und stille Formen des Widerstands. In diesem Sinne argumentierte auch Sebastian Zahn in KUNST DER FREIHEIT.
Das Zetkin Collective ist ein internationales Forschungs- und Aktivist:innenkollektiv, das ökologische Fragen und rechte Ideologien miteinander verschränkt untersucht. Ausgangspunkt des Gesprächs ist die Beobachtung, dass rechte Akteur:innen zunehmend Umwelt- und Klimadiskurse für ihre Zwecke nutzen – etwa in Form von „Ökofaschismus“, Heimatökologie oder rassistisch aufgeladenem Naturschutz. Das Zetkin Collective sieht in der Analyse dieser Diskurse eine zentrale Aufgabe kritischer Forschung, weil sie die kulturelle und emotionale Attraktivität rechter Weltbilder erklären hilft.
Das abschließende Gespräch erweitert die Perspektive auf den globalen Süden und die dekoloniale Geographie. Die beiden lateinamerikanischen Kollektive, das Colectivo de Geografía Crítica del Ecuador sowie das Colectivo Miradas Feministas arbeiten an einer Kritik westlich-hegemonialer Raumbegriffe und an einer Praxis, die Territorium als lebendige, relationale und widerständige Kategorie begreift. Während ich zunächst skeptisch war, ob die Hineinnahme des Gesprächs in diesen Band tatsächlich dem ausschließlichen Erkenntnisinteresse oder eher der wissenschaftlichen Leidenschaft des Autor*innenkollektivs geschuldet war, ist nach der Lektüre festzuhalten, dass ein Verzicht ein Verlust gewesen wäre. Beide Kollektive betonen, dass rechte Territorialisierungen in Lateinamerika eng mit extraktivistischen, kolonialen und patriarchalen Strukturen verknüpft sind. „Rechter Raum“ bedeutet dort nicht primär nationale Abgrenzung, sondern Kontrolle über Ressourcen, Körper und Lebensformen. Beispiele reichen von Landkonflikten und Vertreibungen bis zur Kriminalisierung feministischer und indigener Bewegungen.
In den feministischen und indigenen Territorialisierungen, die das Gespräch beleuchtet, wird deutlich, dass Raum nicht nur als Schauplatz politischer Kämpfe, sondern als Beziehungssystem verstanden wird – zwischen Menschen, Natur, Körpern und Erinnerungen. Widerstand bedeutet hier, alternative Formen des Zusammenlebens zu schaffen und territoriale Autonomie zu behaupten. Das Gespräch verdeutlicht, dass die dekolonialen Perspektiven aus Ecuador und anderen Ländern des globalen Südens nicht nur ergänzend, sondern grundlegend sind: Sie verschieben das Verständnis von Territorialisierung weg von Kontrolle und Besitz hin zu Sorge, Verantwortung und kollektiver Selbstbestimmung.
Das normativ gehaltene Fazit »Vom Ende recher Räume« formuliert wiederum eine doppelte Perspektive: sowohl eine analytische Herausforderung als auch eine politische Zielperspektive.
Das „Ende rechter Räume“ wird als Aufforderung formuliert, die Begrifflichkeit der rechten Räume zu beenden – also die Tendenz zu überwinden, rechte Machtverhältnisse über räumliche Etikettierungen (z. B. „No-go-Areas“, „rechte Dörfer“, „braune Regionen“) zu naturalisieren. Solche Bezeichnungen stabilisieren oft das, was sie kritisieren wollen, indem sie rechte Dominanzverhältnisse als ortsgebunden und unveränderlich erscheinen lassen.
Damit verbunden ist die praktische Perspektive einer emanzipatorischen Politik: das Ziel, die materiellen, symbolischen und affektiven Grundlagen rechter Territorialisierung zu unterlaufen und alternative, solidarische Raumproduktionen zu fördern. In dieser Lesart ist das Ende rechter Räume ein Projekt gesellschaftlicher Transformation – getragen von kollektiven Akteur:innen, die Räume anders bewohnen, nutzen und deuten.
Für diese Auseinandersetzung stellten die Autor:innen ein Instrumentarium bereit, um rechte Hegemonien als prozessuale, relationale und umkämpfte Raumpraktiken zu begreifen – und zugleich die Ansatzpunkte zu erkennen, an denen diese Territorialisierungen irritiert, verschoben oder aufgelöst werden können.
Indem das Buch open access, also für alle kostenfrei abrufbar zur Verfügung steht, trägt das Autor*innenkollektiv dem selbstgesetzten Anspruch ebenso Rechnung wie durch eine Sprache, die den Alltagsverstand adressiert, statt dem Distinktionsbedürfnis der scientific community Rechnung tragen zu wollen.