Umkämpfte Solidarität in Gewerkschaften
Rechter Aufstieg: Gewerkschaften unter Druck
Vor wenigen Tagen führte ich in der Sammelrezension »Rechte Kulturalisierung der Arbeit und konfliktorientierte Gewerkschaftspolitik« Beiträge aus drei jüngst erschienenen Publikationen zusammen, die sich Arbeitskämpfen, Gewerkschaften und der autoritären Rechten in der Arbeitsgesellschaft widmen.
Der von Gerd Wiegel in der November-Ausgabe der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik veröffentliche Beitrag »Rechter Aufstieg: Gewerkschaften unter Druck« schließt unmittelbar an die in der Sammelrezension besprochenen Texte an.
Wiegel, der als Referatsleiter beim DGB-Bundesvorstand tätig ist, analysiert in seinem Beitrag die politischen und sozialen Ursachen dafür, dass rechte und autoritäre Bewegungen zunehmend in Milieus Fuß fassen, die traditionell den Gewerkschaften nahestehen. Seine Analyse zielt auf den Zusammenhang zwischen dem brüchig gewordenen gesellschaftlichen Aufstiegsversprechen, der Entwertung industrieller Arbeit und dem Verlust von Selbstwirksamkeit vieler Beschäftigter – und damit auf zentrale Dynamiken, die den Aufstieg der AfD ermöglichen.
Im Zentrum steht die Erosion des Aufstiegsversprechens, das über Jahrzehnte den gesellschaftlichen Zusammenhalt prägte. Die Aussicht, durch Arbeit soziale Sicherheit und Teilhabe zu erreichen, sei für viele Beschäftigte zur Illusion geworden. Stagnierende Löhne, Deindustrialisierung und Prekarisierung hätten materielle Verwerfungen erzeugt, die sich in Ohnmachts- und Kränkungserfahrungen niederschlagen. Diese Erfahrungen verwandelten sich, so Wiegel, in politische Ressentiments – vor allem dann, wenn keine kollektiven Strukturen existieren, die solche Erfahrungen in soziale Kämpfe übersetzen.
Eng damit verknüpft ist Wiegels Analyse der symbolischen Entwertung der Industriearbeiterschaft. Die ehemals als Trägerin des Wohlstandsmodells anerkannte industrielle Arbeit werde heute – im Zuge der ökologischen Transformation – zunehmend als rückständig und klimaschädlich wahrgenommen. Diese Diskreditierung trifft die Beschäftigten doppelt: ökonomisch, weil sie reale Verluste befürchten, und kulturell, weil ihnen gesellschaftliche Anerkennung entzogen wird.
Darin kann durchaus eine Parallele zu den jüngsten Bauernprotesten gezogen werden, in denen sich ähnliche Mechanismen zeigten: Auch dort wendeten sich Menschen gegen Stigmatisierung und soziale Abwertung, gegen das Gefühl, für den ökologischen Wandel zum Sündenbock gemacht zu werden. In beiden Fällen öffnet sich ein Resonanzraum für die AfD, die es versteht: „die mentalen Begleiterscheinungen dieser materiellen Verwerfungen – etwa Erfahrungen von Kränkung und Entwertung – in politisches Kapital zu verwandeln. Und deren politisches Angebot auf Regression beruht – auf der Vorstellung, Zukunft ließe sich durch die Rücknahme von Veränderung und die Wiederherstellung einer vermeintlich intakten Vergangenheit sichern.
„In Zeiten aufblühender Austeritätspolitik und Leistungsrhetorik wirkt daher das völkisch und sozial begründete Ausgrenzungsprogramm der AfD für viele attraktiv und inhaltlich überzeugend. Wenn es finanziell immer enger wird, erscheint es folgerichtig, die Zahl der Anspruchsberechtigten zu minimieren.“
An dieser Analyse setzt Wiegels Perspektive auf gewerkschaftliche Gegenstrategien an. Er plädiert dafür, Gewerkschaften als Orte der Wiedergewinnung von Selbstwirksamkeit zu begreifen. Durch kämpferische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit könne es gelingen, soziale Konflikte wieder als Verteilungskämpfe zwischen oben und unten zu führen – zwischen Reich und Arm, nicht zwischen „Dazugehörigen“ und „Außenstehenden“. Damit wendet sich Wiegel gegen die völkisch aufgeladene Spaltung der Arbeitswelt, die die extreme Rechte propagiert. Gewerkschaftliche Praxis, die reale Erfahrungen von Ungleichheit aufgreift und kollektiv bearbeitet, könne Kränkung in politische Handlung übersetzen und so autoritären Deutungsangeboten den Boden entziehen.
Wiegels Schlussfolgerung aus seiner Analyse von Affinitäten für völkisch-soziale Positionen in der Arbeiter:innenschaft ist keine moralische, sondern eine politische: Er plädiert für eine antifaschistische Wirtschaftspolitik, wie Isabella Weber sie vor einiger Zeit im Magazin Surplus skizziert hat.
„Es gelte, Preissteigerungen und Krisenkosten nicht einseitig auf Beschäftigte und Verbraucher:innen abzuwälzen, sondern sie durch Regulierung, Investitionen in sichere Arbeitsplätze und eine faire Lastenverteilung sozial abzufedern, um so autoritären Versuchungen zuvorzukommen.“
Diese Position wird von der einen wie dem anderen sicherlich als traditionalistisch markiert werden, doch sie ist keineswegs weit hergeholt, wie Daten aus den Vereinigten Staaten zeigen. In einer neuen, von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York unterstützen Studie wird herausgearbeitet, dass eine progressive Wirtschaftspolitik, wie sie vom linken Flügel der demokratischen Partei als klarer Bruch mit der neoliberalen Vergangenheit favorisiert wird, von einer Mehrheit republikanischer Wähler:innen unterstützt wird.
Parallel dazu müssen Gewerkschaften, so Wiegel, als Orte der demokratischen Selbstbehauptung wahrnehmbar sein: „Eine konfliktbereite und durchsetzungsstarke betriebliche Interessenvertretung kann den Hang zu autoritären Angeboten deutlich verringern“, erinnert Wiegel unter Verweis auf eine Studie zu Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland, herausgegeben von der gewerkschaftlichen Otto-Brenner-Stiftung.
Die gewerkschaftliche Bildungsarbeit muss zudem darauf ausgerichtet sein, die eigenen Gewerkschaftsmitglieder auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit völkisch-sozialer Argumentation vorzubereiten – wissend, dass damit nur diejenigen erreichbar sind, die noch unentschieden sind oder argumentative Unterstützung brauchen, um gegenzuhalten.
Klar bleibt nach der Lektüre des Textes: Die DGB-Gewerkschaften und ihre 5,6 Millionen Mitglieder sind für die Stabilität unserer sozialen Demokratie unverzichtbar.
Gerd Wiegel, Rechter Aufstieg: Gewerkschaften unter Druck, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11/2025, S. 33-36.
Gewerkschaftliche Kämpfe und antisemitische Vereinnahmungsversuche
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena gehört zu den Orten, an denen unverzichtbare Aufklärungs- und Informationsarbeit über autoritär-populistische Entwicklungen geleistet wird. Die vom Institut herausgegebene Schriftenreihe Wissen schafft Demokratie publiziert wichtige Beiträge – aktuell im 17. Heft unter dem Titel Uncivil Society, das sich den „Schattenseiten“ der Zivilgesellschaft widmet.
Sebastian Zahn von DEMOS e.V., der über rechtsextreme Immobilien publizierte, war der Sendung vom 15. Oktober 2025 Gesprächsgast in meinem Podcast Kunst der Freiheit.
Ein weiterer Beitrag im Heft stammt von Kathrin Renz und Lea Dahms. Renz promoviert an der Universität Passau zur Antisemitismusforschung, Dahms ist dort Tutorin und Mitglied im bayerischen GEW-Landesvorstand. Sie untersuchen, wie sich Antisemitismus in deutschen Gewerkschaften seit dem 7. Oktober 2023 äußert und welche Strategien autoritär-kommunistische Gruppen nutzen, um gewerkschaftliche Arbeit zu beeinflussen.
Renz und Dahms verstehen Antisemitismus als gesellschaftlich verbreitetes Deutungsmuster, das sich heute vor allem in israelbezogener Form zeigt. Sie stützen sich auf die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die sie als alleinige Grundlage gewerkschaftlicher Bildungsarbeit betrachten. Gewerkschaften sollten, so ihre Forderung, „anti-antisemitische Normen“ setzen, indem sie sich ausdrücklich auf die IHRA-Definition berufen.
Die Autorinnen zeigen, wie sich die antisemitismuskritische Praxis der Gewerkschaften nach dem 7. Oktober entwickelte. DGB, ver.di und GEW verurteilten die Hamas-Angriffe und bekräftigten ihre Solidarität mit Israel. Antisemitische Tendenzen seien dort nicht institutionell verankert, sondern zeigten sich in vereinzelten Einflussversuchen autoritär-kommunistischer Gruppen, die an die K-Gruppen der 1970er-Jahre erinnerten.
Ihr Argument konzentrieren Renz und Dahms im Wesentlichen auf einen einzigen Fall: den von Kilian Gremminger, Mitglied der GEW und Redakteur der trotzkistischen Plattform Klasse gegen Klasse. Gremminger spielte eine zentrale Rolle in der politischen Kontroverse und im Rechtsstreit um das „Palästina-Protestcamp“ an der Universität München im Sommer 2024. Seine dort und in Beiträgen geäußerten Positionen – etwa die Bezeichnung Israels als „Apartheidstaat“ und der Vorwurf eines „Genozids an den Palästinenser:innen“ – werten die Autorinnen als Ausdruck israelbezogenen Antisemitismus und als Versuch, antisemitische Positionen in Gewerkschaften hineinzutragen. Der Zusammenschluss „Gewerkschafter4Gaza“ wird lediglich kurz erwähnt, ohne vergleichende Analyse.
Nach Darstellung der Autorinnen blieben diese Einflussversuche erfolglos. Weder die Kampagne TVStud, die als zentraler Bezugspunkt dient, noch die betroffenen Gewerkschaften hätten antisemitischen Tendenzen nachgegeben. Vielmehr hielten sie an ihren israelsolidarischen Beschlüssen und Bildungsangeboten fest. Renz und Dahms sehen antisemitismuskritische Bildungsarbeit – etwa Seminare, Israel-Delegationen oder Kooperationen mit der Histadrut – als wirksames Mittel gegen Antisemitismus und fordern die Verankerung der IHRA-Definition als gewerkschaftlichen Standard.
Gerade diese normative Eindeutigkeit ist eine Schwäche des Beitrags. Die Autorinnen differenzieren zu wenig zwischen Einzelfällen und strukturellen Problemen. Bei über fünfeinhalb Millionen DGB-Mitgliedern stützt sich ihre Analyse ausschließlich auf den Fall Gremminger und eine antisemitisch motivierte Störung einer ver.di-Jugendveranstaltung. Damit wird weder quantitativ noch qualitativ belegt, dass antisemitische oder autoritär-kommunistische Gruppen ein ernsthaftes innergewerkschaftliches Problem darstellen. Der Text deutet die Aktivitäten einer trotzkistischen Splittergruppe zu einem strukturellen „Vereinnahmungsversuch“ um und erweckt so den Eindruck, als seien deutsche Gewerkschaften von einer gezielten antisemitischen Unterwanderung bedroht.
Dass die empirische Basis schmal ist, mindert nicht den Erkenntniswert des Beitrags für die reale Antisemitismusproblematik in Teilen der Linken, relativiert aber die Tragweite der gezogenen Schlussfolgerungen.
Im Einheitsgewerkschaftsdachverband bleibt die Auseinandersetzung mit Antisemitismus eine dauerhafte Aufgabe – nicht als abstraktes Bekenntnis, sondern als Teil der täglichen Bildungs-, Solidaritäts- und Integrationsarbeit. Sie sollte den Erfahrungen jüdischer und israelischer Kolleginnen und Kollegen ebenso Raum geben wie den Stimmen von Beschäftigten mit palästinensischen Wurzeln. Nur wenn Gewerkschaften Orte bleiben, an denen Konflikte respektvoll und solidarisch ausgetragen werden, erfüllen sie ihren Anspruch als demokratische Repräsentantinnen einer vielfältigen Arbeitnehmerschaft.
Thomas Schmidinger beschreibt in seiner Einführung »Die Linke in Palästina« (mandelbaum verlag), dass keine linke palästinensische Organisation den Angriff vom 7. Oktober verurteilte oder öffentlich Kritik an der Gewalt gegen Zivilistinnen und Zivilisten äußerte. Kritik, so Schmidinger, werde „nicht öffentlich geäußert und ist damit zumindest vorerst kaum wirkungsmächtig“. Der Krieg Israels habe zudem jede (selbst-)kritische Auseinandersetzung in der palästinensischen Gesellschaft im Keim erstickt.
Seine Feststellung:
„Wer sich in diesem Krieg nicht mit den Verteidigern Gazas solidarisierte, hatte spätestens nach den Bildern von bombardierten Schulen und Spitälern keine Chance mehr, innerhalb der palästinensischen Gesellschaft ernstgenommen und nicht als Verräter betrachtet zu werden“,
dürfte auch die Palestinian General Federation of Trade Unions (PGFTU) betreffen.
Dass der DGB seit 1975 eine institutionelle Partnerschaft mit der israelischen Histadrut pflegt, nicht aber mit der PGFTU, ist folgerichtig. Nach Schmidinger trugen die PGFTU und die palästinensische Linke zu ihrem Niedergang selbst bei: Sie konzentrierten sich zu stark auf die nationale Frage und vernachlässigten soziale und gesellschaftliche Themen. Heute ist die palästinensische Linke kaum noch von Fatah, Hamas oder deren Umfeld zu unterscheiden.
Diese strategische Perspektive, zentral für einen israelisch-palästinensischen Dialog, braucht Räume, die nicht durch eine politisierte Auslegung wissenschaftlicher Antisemitismusdefinitionen verengt werden.
Renz und Dahms werfen der in wissenschaftlicher Kontroverse zur IHRA-Definition entwickelten Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) vor, sie ziele auf die „Bagatellisierung von linkem Antisemitismus“ und die „Exkulpierung der BDS-Kampagne vom Antisemitismusvorwurf“. Dieser Vorwurf findet sich in einer Fußnote, belegt durch Literaturhinweise.
Andere Stimmen im Diskurs, etwa Ralf Michaels, Jerzy Montag, Armin Nassehi, Andreas Paulus, Miriam Rürup und Paula-Irene Villa Braslavsky, betonten dagegen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Oktober 2024:
„Was genau unter Antisemitismus zu verstehen ist und in welchen Situationen er vorliegt, bleibt Gegenstand fortwährender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Reflexion; der Staat kann das nicht autoritativ festlegen. Zur Orientierung können verschiedene Definitionen dienen, so etwa die von der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) erlassene, nicht rechtsverbindliche Arbeitsdefinition, sowie andere Definitionen wie die von führenden Holocaust-, Jewish Studies- und Antisemitismus-Forschenden verfasste und unterstützte Jerusalem Declaration oder das Nexus-Dokument. Ob Antisemitismus vorliegt, kann nur fallspezifisch beurteilt werden.“
Renz und Dahms beziehen in dieser Debatte klar Position. Ihre Argumentation zeigt, wie wichtig eine offene und differenzierte Auseinandersetzung über Antisemitismusdefinitionen bleibt.