21.11.2025
Benjamin-Immanuel Hoff

Totgesagte leben länger: Daniel Bax porträtiert Die Linke

Vor bald 20 Jahren stellten die Parteienforscher Franz Walter, Tim Spier, Felix Butzlaff und Matthias Micus in einem mehr als 340 Seiten umfassenden Sammelband die Frage: »Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?« Als sich Sahra Wagenknecht vor rund zwei Jahren mit ihrem Bündnis von der Linkspartei abspaltete und Höhenflüge bei Umfragen und Wahlen erreichte, waren sich die meisten sicher, dass Die Linke wegen des Bündnis Sahra Wagenknecht keine Zukunft mehr habe. Doch Totgesagte leben länger, und Die Linke erhielt nach 1989/90 und 2005 ihre dritte Chance, sich neu zu erfinden. Als Start-up-Projekt mit langer Traditionslinie habe ich die Partei an anderer Stelle beschrieben.

Darüber, wer die neue Linke ist, gibt es viele Vermutungen und bislang wenig Evidenz. Der 1970 geborene Journalist und Autor Daniel Bax, der seit fast drei Jahrzehnten über die deutsche Innen- und Außenpolitik berichtet und im Parlamentsbüro der taz arbeitet, hat im Wilhelm-Goldmann-Verlag (Penguin) ein lesenswertes Porträt der wiederauferstandenen Linkspartei vorgelegt: »Die neue Lust auf links. Woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie unser Land verändern«.

Das Cover zeigt die Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken, beide rahmen die Fraktionsvorsitzende und TikTok-Star Heidi Reichinnek ein. Auf dem Bild stehen zwei politische Generationen: Jan van Aken, Jahrgang 1961, und Reichinnek sowie Schwerdtner, die 1988 bzw. 1989 geboren wurden, als van Aken sein Biologiestudium an der Uni Hamburg abschloss. Diesen drei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten gelang etwas, was viele innerhalb und außerhalb der Linken nicht mehr für möglich hielten: Pluralität nicht als Gefahr zu sehen, sondern als Stärke. Und sich gemeinsam mit Sören Pellmann, dem Co-Vorsitzenden im Bundestag, der jüngst von einem Herzinfarkt genesen ist, zu ergänzen statt zu bekämpfen.

Bax, von dem 2018 »Die Volksverführer. Warum rechte Populisten so erfolgreich sind« erschien, schaute Akteur:innen der Linkspartei über die Schulter, die für den Wiederaufstieg der Partei bedeutsam sind und das Gesicht der neuen Partei prägen. Er begleitete Wahlkämpfer:innen an Haustüren, saß in Kiezbüros, beobachtete Social-Media-Teams und sprach mit Politiker:innen aus unterschiedlichen Lebenswelten. Durch diese Nähe entstand ein lebendiges Bild der Partei, die innerhalb eines Jahres ihre Mitgliedszahl verdoppelte und von der viele in der Partei selbst noch nicht genau wissen, wer die neue Linke tatsächlich ist. Das Buch von Daniel Bax kommt zur rechten Zeit und füllt eine Lücke, die derzeit mit vereinfachten Mythen gefüllt ist – oft wird Heidi Reichinneks Social-Media-Präsenz zur alleinigen Erklärung des linken Comebacks gemacht.

Das Comeback der LINKEN im Bundestagswahljahr 2025 war ein politischer Drahtseilakt, dessen Gelingen keineswegs vorgezeichnet war. Der „Plan 25“, das strategische Neuaufbauprojekt, das die Partei nach der Abspaltung Sahra Wagenknechts und den Verwerfungen der Jahre 2018 bis 2023 neu ausrichtete, hätte unter den Bedingungen der vorgezogenen Neuwahlen leicht scheitern können. Bax zeigt, wie riskant die Ausgangslage war: ein überalterter Kern, Mitgliederverluste, erschöpfte Landesverbände, organisatorische Lücken nach Jahren innerer Zermürbung und ein deutlicher Vertrauensverlust in Teilen des linken Milieus.

Das Glück ist mit den Tüchtigen

Der Erfolg der LINKEN war auch die Summe glücklicher Fügungen. Doch diese hätten ohne langfristiges strategisches Lernen, darauf aufbauende Innovationen und engagierte Menschen im Maschinenraum der Partei – in herausgehobenen Funktionen, vor allem aber an den Haustüren und in den Kiezen – ungenutzt bleiben können. Bax beschreibt, wie Fehler der Konkurrenz – etwa die von Friedrich Merz initiierte gemeinsame Abstimmung von Union und AfD im Bundestag – dem Wahlkampf der LINKEN zusätzliche Dynamik verliehen. Entscheidend ist für Bax jedoch, dass die Partei in den Jahren zuvor Strukturen aufgebaut, Konflikte politisch bearbeitet und eine plural verankerte Praxis entwickelt hatte, die im Wahlkampf 2025 zusammenwirkte.

Der unter Wissler/Schirdewan ausgearbeitete „Plan 25“ beruhte auf jahrelanger analytischer und organisatorischer Arbeit: u.a. auf Mario Candeias’ Studien zum Wähler:innenpotenzial und zu den Nichtwähler:innen, auf der Entwicklung neuer Kommunikations- und Organizing-Instrumente, auf dem Aufbau des Erneuerungs-Hubs unter Liza Pflaum, auf der Professionalisierung des Social-Media-Teams unter Leitung von Thomas Lohmeier sowie auf der Verdichtung von Kiezarbeit, Gewerkschaftskontakten und Social-Media-Formaten. Hinzu kam ein Erfahrungsschatz, der sich aus der Thüringer Regierungsarbeit, aus kommunaler Praxis in ostdeutschen Städten – wie dem jahrelangen Engagement von Sören Pellmann –, aus Bewegungsarbeit in Großstädten und aus den migrantischen und feministischen Perspektiven einer neuen Generation speiste.

Bax porträtiert neben den Spitzenleuten wie den Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Bodo Ramelow und Gregor Gysi auch Akteur:innen wie Nam Duy Nguyen, Cem Ince, Cansu Özdemir oder Lea Reisner. In ihnen und weiteren Porträtierten zeigt sich die neue, breit gefächerte Partei. Die 120.000 Mitglieder, die die LINKE nach der Mitgliederwelle 2023/24 erreichte, bilden den Hintergrund dieses kollektiven Projekts, das Bax exemplarisch sichtbar macht.

Gegliedert ist das Buch in vier Teile. Der erste Teil umfasst die Porträts von Reichinnek, Schwerdtner und van Aken. Bax zeigt, wie drei unterschiedliche politische Ansätze in der erneuerten LINKEN zu gemeinsamer Handlungsfähigkeit fanden. Reichinnek steht für eine direkte, sozial zugespitzte Sprache, die Unzufriedenheit aufgreift und in politisches Selbstbewusstsein übersetzt. Sie erreicht jene jüngeren Gruppen, die sich zuvor weder durch Parlamentstonlagen noch durch klassische Kampagnen angesprochen fühlten.

Bax zeichnet Ines Schwerdtner als Vertreterin einer neuen linken Mediengeneration, deren Weg in die Politik nicht über Parteigremien führte, sondern über Podcasts, digitale Diskurse und das Magazin jacobin.de. Diese Herkunft prägt ihren politischen Ansatz: Sie verbindet sozialistische Grundorientierung mit einer engen Verzahnung von Bewegungsarbeit, Medienpraxis und Parteiorganisation. Für sie ist Politik Programmarbeit und organische Beziehungspflege zwischen Milieus, digitalen Öffentlichkeiten, lokalen Initiativen und einer Partei, die lange nicht wusste, wie sie diese Räume verbinden sollte. Bax zeigt, wie sie eine moderne Klassenpolitik formuliert, die feministische, migrantische und kulturelle Perspektiven als Kern einer sozialen Konfliktlinie versteht. Jan van Akens Ansatz beruht nach Bax auf wenigen Kernbotschaften, einheitlicher Kommunikation, erkennbarem Fokus. Das bemerkenswerte Moment liegt meines Erachtens im Zusammenspiel dieses Trios.

Langjährige Vorarbeit die Früchte trug

Der Teil »Im Maschinenraum: Wie haben Sie’s gemacht?«, kann als Herzstück des Buches gelten. In den vier Porträts stehen diejenigen im Mittelpunkt, deren Arbeit für den Erfolg der heutigen Linkspartei unverzichtbar ist. Dazu gehört ein Rückblick auf den langen Abschied von Wagenknecht, gewidmet den damaligen Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Wissler sagt rückblickend: „Ohne den Bruch mit Wagenknecht wäre das Comeback der Linken nicht möglich gewesen“, betont aber auch selbstkritisch, dass sie zu lange versucht habe, Brücken zu bauen und alle mitzunehmen. Der Austritt Wagenknechts im Oktober 2023 führte laut Wissler zu einem spürbaren Aufatmen in der Partei und zu einem deutlichen Anstieg neuer Mitglieder, die zuvor wegen der prominenten Kritikerin ferngeblieben waren. Im Juni 2023 fasste der Parteivorstand einstimmig den Beschluss: „Die Zukunft der LINKEN ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht.“ Parallel verabschiedete die Parteispitze das Zukunftspapier „Plan 2025“, das später Grundlage des erfolgreichen Bundestagswahlkampfs wurde.

Wissler und Schirdewan setzten Ende 2023 neue organisatorische Standards, vor allem mit der „Gesprächsoffensive“ – massenhaften Haustürgesprächen bis Jahresende. Sie beauftragten die erfahrene Campaignerin Liza Pflaum, deren Arbeit am Erneuerungs-Hub von Bax ironisch als „erfolgreiches McKinsey-Projekt“ bezeichnet wird. Pflaum leitet inzwischen das Büro des Parteivorsitzenden van Aken und beschreibt im Buch, wie ein anfangs skeptisch betrachtetes Vorhaben gegen den Widerstand etablierter Strukturen zu einem Schneeballeffekt wurde, der die Partei mitriss. Nicht als Lawine, sondern wie das Durchpusten alter Strukturen, die anschließend besser funktionierten.

Klar wird: Ohne die Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, Martin Schirdewan und Janine Wissler wären Reichinnek, van Aken und Schwerdtner – so lässt Bax erkennen – vermutlich nicht in der Position, in der sie heute stehen.

Möglich gewesen wäre der Erfolg nicht ohne fundierte Analysen und Menschen, die daraus praktische Schlüsse ziehen konnten. Auch das Erneuerungs-Hub von Liza Pflaum brauchte empirische und strategische Grundlagen, um zu wissen, wohin die linke Reise gehen müsste. Einer derjenigen, die dafür Verantwortung tragen, ist Mario Candeias. Er war zehn Jahre Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Als die Partei zwischen Strömungsstreitigkeiten und zielloser Tagespolitik feststeckte, bündelte er im Institut und gemeinsam mit anderen Akteur:innen die vorhandenen Erkenntnisse über Potenziale linker Politik.

Dabei wurde deutlich, dass moderne Arbeits- und Lebenslagen diverse, teils widersprüchliche Klassenfraktionen hervorbringen: Solo-Selbstständige, Care-Beschäftigte, migrantische Industriearbeiter:innen und junge Akademiker:innen mit prekären Jobs. Linke Politik funktioniert nur, wenn sie alltägliche Konflikte – Hitze in der Wohnung, steigende Preise, Schulstress, Pflegenotstand – zu politischen Konflikten macht. Sie verbindet Bewegungen aus den Bereichen Mieten, Klima und Care mit Parteien, nicht als „großer Block“, sondern über viele kleine Hebel, die zusammen eine größere Dynamik ermöglichen.

Die linke Klaviatur reicht von Opposition bis zur Regierung und ohne Basisarbeit funktioniert nichts

In der Partei und der gesellschaftlichen Linken herrscht oft Skepsis gegenüber Regierungsbeteiligungen. Sie gelten als Einfallstor der Reaktion; Beteiligte stehen schnell unter dem Verdacht der „Rechtsabweichung“. Dieser Verdacht ist nicht völlig unbegründet, denn der Anspruch rebellischen Regierens und die Praxis koalitionärer Sachzwänge erzeugen einen oft schmerzhaften Spagat, beim Bemühen, beiden Seiten Rechnung zu tragen. Daniel Bax porträtiert in diesem Zusammenhang Gregor Gysi und Bodo Ramelow. Ramelow war zehn Jahre Ministerpräsident der bislang einzigen linksgeführten rot-rot-grünen Koalition. Bax zeigt, dass die praktische Regierungspolitik der LINKEN ein Fundament an Gestaltungskompetenz in die erneuerte Partei einbrachte. Die Thüringer Regierungsarbeit verlieh dem bundespolitischen Comeback zusätzlich Legitimität und Gewicht – eine wichtige Voraussetzung für eine Partei, die gesellschaftlich gestalten will, trotz aller Kritik an Regierungsbeteiligungen. Die linke Klaviatur hat viele Tasten. Würde die Partei nur auf denen der (außer-)parlamentarischen Opposition spielen, bliebe die Melodie unvollständig.

Ebenso unverzichtbar sind Menschen wie Sören Pellmann. Bax porträtiert den Fraktionsvorsitzenden als die Figur, die das ostdeutsche Fundament der LINKEN im Bundestagswahlkampf 2025 stabilisierte. Während Reichinnek bundesweite Dynamik erzeugte und Schwerdtner und van Aken die strategische Linie prägten, bildete Pellmann den bodenständigen Gegenpol, der klassische ostdeutsche Milieus hielt und zugleich neue ansprach. Seine Erfolge im Leipziger Süden – mehrfach direkt gewonnen trotz bundespolitischer Krisen – machten ihn zu einer zentralen Figur der Stabilisierung. Ohne ihn wäre das Konzept „Silberlocke“ nicht aufgegangen. Ramelow, Gysi und Dietmar Bartsch erhoben den Anspruch, der Partei drei Direktmandate zu sichern, um den Weg in den Bundestag zu ebnen und zu zeigen, dass keine Stimme verloren ist. Pellmanns pragmatischer Stil – „kümmern und klotzen“ – ist für Bax die Blaupause der bundesweiten Strategie: Präsenz, Alltag, Empathie, soziale Politik. Er ergänzte damit die jüngere, medienaffine Parteispitze und zeigte zugleich die Bedeutung lokaler Verankerung.

Die andere Seite repräsentiert Nam Duy Nguyen. Er errang ebenfalls in Leipzig ein für DIE LINKE in Sachsen unverzichtbares Direktmandat. Ohne ihn wäre die Partei im Herbst 2024 – ebenso wie in Brandenburg – nicht wieder in den Landtag eingezogen. Bax zeigt ihn als jemanden, der politische Arbeit dort leistet, wo soziale Unsicherheit, Alltagsfrust und Entfremdung ineinandergreifen. Nguyens Haustürwahlkampf folgte einer einfachen, aber wirksamen Logik: hingehen, zuhören, verständlich sprechen. Gerade in Milieus, in denen die AfD verankert ist, gelingt es ihm, Gesprächsräume zu öffnen, Konflikte zu entschärfen und politische Horizonte zu erweitern. Seine Praxis zeigt, dass Vertrauen nicht über Programme entsteht, sondern über Präsenz und Beziehung.

Ein ähnliches Arbeitsfeld, wenn auch unter anderen Bedingungen, bearbeitet Ferat Koçak in Berlin. Er errang erstmals ein Direktmandat außerhalb Ostdeutschlands, im West-Berliner Stadtteil Neukölln. Bax beschreibt ihn als Verbindungsperson zwischen antifaschistischen Initiativen, migrantischen Communities und klassischer Kiezpolitik. Koçak bringt Erfahrungen mit rechter Gewalt ein und eine politische Kultur, die Schutz und Solidarität verbindet. Er steht für jene LINKEN, die politische Arbeit als alltägliche Aufrechterhaltung sozialer Infrastruktur verstehen – vom Nachbarschaftsschutz bis zur Begleitung Betroffener. Damit bildet Koçak ein Pendant zu Nguyen: Beide zeigen, dass politische Wirksamkeit in konfliktbeladenen Räumen nicht durch Lautstärke entsteht, sondern durch Verlässlichkeit.

Diese beiden gehören zu jener Generation, die Bax unter dem Titel „Ströbeles Erben“ fasst: Bundestagsabgeordnete, die – wie einst Hans-Christian Ströbele in Kreuzberg – ihre Legitimation nicht aus Fernsehstudios oder Parteizentralen beziehen, sondern aus der täglichen Arbeit im Stadtteil. Ob Pascal Meiser in Friedrichshain-Kreuzberg, die Notfallmedizinerin Stella Merendino in Mitte oder Cem Ince in Salzgitter: Sie stehen für linke Politik, die im direkten Kontakt entsteht, Konflikte ernst nimmt und soziale Realitäten nicht moralisiert, sondern politisiert. Ihre Praxis zeigt, dass sich die Erneuerung der LINKEN nicht allein aus strategischen Konzepten oder kommunikativer Professionalität speist, sondern aus einer Kultur der Ansprechbarkeit, die in urbanen und peri-urbanen Milieus gewachsen ist.

Gemeinsam mit Pellmann verkörpern sie jene doppelte Verwurzelung, die Bax als Kern der Renaissance der LINKEN beschreibt: eine ostdeutsche Bodenständigkeit, die nicht nostalgisch wird, und eine urbane Milieukenntnis, die nicht identitätspolitisch verengt. Dieses Zusammenspiel erklärt, warum die Partei 2025 zugleich lokal verankert, bundesweit anschlussfähig und organisatorisch belastbar auftreten konnte.

Noch einmal in den Maschinenraum

Es gibt Personen, die innerhalb der eigenen Organisation einen Ruf wie Donnerhall haben, aber außerhalb kaum bekannt sind. In meinem Podcast KUNST DER FREIHEIT sprach ich in diesem Sommer in einer Doppelfolge (hier und hier) mit Susanne Lang und Robert Maruschke. Die beiden Organizing-Expert:innen leiteten entscheidende Abteilungen – ohne ihre Arbeit gäbe es keine Haustür-Strategie als linkes Aktivierungs- und Beteiligungsformat in den Kiezen.

Claudia Gohde ist ebenfalls eine solche Person. Viele lernten sie erstmals als Schlüsselakteurin des erfolgreichen Wahlkampfs der LINKEN kennen, als sie den PolitikAward in der Kategorie „Kampagne des Jahres“ entgegennahm – gemeinsam mit Carsten Dannel von der Agentur Berliner Botschaft, dem Bundesgeschäftsführer Janis Ehling sowie Thomas Lohmeier, den Bax ebenfalls porträtiert. Bax beschreibt Gohde als strategische Konstante in allen modernen Wahlkämpfen der LINKEN – seit Gysis Rückkehr bis zum Comeback 2025. Das Kapitel zeigt ihre Arbeitsweise, ihren strategischen Kompass und ihre Bedeutung für die organisatorische Professionalisierung der Partei. Gohde professionalisierte die Kampagnenführung über viele Wahlkämpfe hinweg. In den frühen 2020er Jahren begann sie, Social Media und Straßenwahlkampf enger zu verzahnen – eine Praxis, die 2025 mit Lohmeiers Team ihren Höhepunkt erreichte. Der systematische Haustürwahlkampf, den Gohde mitentwickelte, wurde im Wahljahr 2025 massiv skaliert – eingeleitet durch die Gesprächsoffensive. Laut Bax ist Claudia Gohde eine seltene Figur in der Partei: akzeptiert in Ost und West, respektiert von Reformlinken wie von dogmatischen Strömungen. Ihre Vermittlungsfähigkeit trug wesentlich dazu bei, die innerparteilichen Spannungen der Jahre 2021–2024 zu überbrücken und jene „Einigkeit in Vielfalt“ herzustellen, die heute Ausdruck linker Stabilität ist.

(v.l.n.r.: Carsten Dannel, Janis Ehling, Claudia Gohde, Thomas Lohmeier)

Von Thomas Lohmeier war bereits die Rede. Er verantwortete in der Parteizentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus, mehrere Jahre lang die Social-Media-Aktivitäten. Das Kapitel zeigt, wie digitale Kommunikation systematisch professionalisiert wurde und wie die Partei alte Routinen der politischen Kommunikation durchbrach. Bax stellt Lohmeier als Schlüsselperson dar, deren Arbeit entscheidend war, um die AfD auf TikTok zu kontern, Reichinneks Wirkung zu verstärken und Reichweitenrekorde zu erzielen. Er betont, dass Reichinneks virale Rede zwar spontan entstand, aber erst durch Lohmeiers Team zur Millionenreichweite wurde. So gelang es, der AfD – bis 2023 praktisch konkurrenzlos auf TikTok – erstmals etwas entgegenzusetzen.

Sozial-ökologische Transformation oder autoritäres Rollback

Der Ausblick zieht die Linien des Buches zusammen und beschreibt, wie sich die politische Geografie Deutschlands nach der Bundestagswahl 2025 veränderte. Bax skizziert ein mögliches neues politisches Koordinatensystem, das durch vier Faktoren geprägt wird: eine geschwächte Mitte, das gewachsene Selbstbewusstsein der LINKEN, Verschiebungen im Parteiensystem und die zentrale Konfliktlinie zwischen sozial-ökologischer Transformation und autoritärem Rollback.

In einem offenen politischen Raum füllt die neue LINKE nicht einfach eine Lücke, sondern agiert aus erneuerter Handlungsfähigkeit heraus – getragen von den Erfahrungen der vergangenen Jahre, vom Bruch mit Wagenknecht und von einer Organisation, die gelernt hat, Konflikte auszuhalten und strategisch zu bündeln. Dieses Fundament ist jedoch noch nicht gefestigt; Fehlentwicklungen können das Erreichte gefährden. Bax zeigt aber, dass der Wiederaufstieg der LINKEN nicht auf Zufällen beruht, sondern auf jahrelanger Vorarbeit – die nicht plötzlich verschwindet.

Die tektonischen Verschiebungen im Parteiensystem beschreibt Bax als langfristige Bewegung: eine Union, die zwischen konservativem Kurs und autoritärem Abgrenzungsdiskurs schwankt; ein BSW, das Erwartungen bündelte, aber kaum strukturelle Tiefe gewann; und eine AfD, deren Wachstum sichtbar, aber stark vom taktischen Wahlverhalten abhängig ist. In dieser Lage entsteht kein neues „Lager“, sondern ein politisches Feld, in dem sich soziale, ökologische und demokratische Konfliktlinien überlagern.

Die zentrale Auseinandersetzung der Gegenwart verortet Bax zwischen einer sozial-ökologischen Transformation, die demokratische Teilhabe und Umverteilung voraussetzt, und einem autoritären Rollback, das auf kulturelle Homogenisierung, nationale Abschottung und soziale Disziplinierung setzt. Die Wahl 2025 machte diese Konfliktlinie sichtbar: Klimapolitik, Migration, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit bildeten keine getrennten Debatten mehr, sondern eine gemeinsame Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Demokratie.

In diesem Spannungsfeld verortet Bax die erneuerte LINKE. Ihr Ansatz, soziale Sicherheit, ökologische Transformation und demokratische Konfliktfähigkeit zu verbinden, verschaffte ihr eine neue Rolle. Entscheidend ist, dass dieser Erfolg nicht aus situativen Zufällen entstand, sondern aus einem langfristigen Aufbauprojekt – organisatorisch, kommunikativ und politisch breit abgestützt. Der Ausblick bleibt bewusst offen: Die Renaissance der LINKEN ist für Bax kein abgeschlossener Zustand, sondern ein Prozess, der nur Bestand haben wird, wenn die Partei die beschriebenen Formen praktischer Politik fortführt. Das Buch empfiehlt sich daher allen, die kenntnisreich und jenseits von Vermutungsevidenz über die LINKE sprechen wollen.

Daniel Bax, Die neue Lust auf links. Woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie unser Land verändern, Wilhelm Goldmann Verlag, München 2025 (ISBN 978-3-442-30219-2)

Transparenzhinweis: Auch der Autor dieser Rezension wird in dem Buch porträtiert.