25.09.2025
Benjamin-Immanuel Hoff/Doreen Mölders

Klasse – Museum. Klasse und Klassismus in der Museumsarbeit

Das Grassi-Museum in Leipzig berichtete vor einiger Zeit davon, wie Bemühungen gescheitert waren, die outgesourcten Mitarbeitenden der Sicherheitsfirma, die für die Aufsicht und Sicherheit des Museums verantwortlich ist, zu nichtdiskriminierende Äußerungen und Handlungen zu schulen.

Im Ergebnis stellte das Museum fest, dass der Ansatz, Ansatz, das Wachpersonal mit weiteren Arbeitsbereichen zu versehen und zu schulen, nicht das Kernproblem trifft. Im Gegenteil würde vielmehr dazu beigetragen, diskriminierende Strukturen fortzuschreiben. In dem skizzierten Fall handelt es sich in erster Linie um ein Klassismusproblem, wie das Museum beschreibt:

„Das Wachpersonal ist innerhalb einer hierarchischen Struktur und eines größtenteils akademischen Kollegiums tätig. Die Höhe des Gehalts und die Art der Tätigkeit führen dazu, dass das Wachpersonal in dem Hierarchiegefüge des Museums sehr weit unten steht. Mit ca.10 Euro brutto je Stunde wird das Aufsichtspersonal knapp über Mindestlohn bezahlt. Zudem ist den Aufsichten jegliche inhaltliche Information zu Objekten oder Ausstellungen untersagt, was sie von vorneherein zu passiven und desinteressierten Anwesenden in den Ausstellungen degradiert.“

Diese Beschreibung macht deutlich, wie breit die Perspektiven von Klassismus in der Museumsarbeit sind. Da die soziale Klasse zu den prägendsten, aber im Kulturbereich nach wie vor unterbelichteten Kategorien gesellschaftlicher Ungleichheit zählt, soll am 17. und 18. November 2025 die Tagung Klasse - Museum. Klasse und Klassismus in der Museumsarbeit mehr Licht ins Dunkel bringen.

Im Podcast KUNST DER FREIHEIT sprach ich über die Tagung mit Dr. Doreen Mölders. Sie ist die Direktorin des Historischen Museums Frankfurt am Main und eine der Organisator:innen der Veranstaltung.

BIHoff: Frau Mölders, ich habe das Beispiel des Grassi-Museums genannt und Sie waren, bevor Sie Anfang dieses Jahres nach Frankfurt am Main gewechselt sind, lange Zeit in Nordrhein-Westfalen tätig und davor waren Sie in Chemnitz. Welche Erfahrungen mit Klassismus machten Sie in der Museumsarbeit und warum ist das Thema für Sie bedeutsam?

DMölders: Das aus dem Grassi-Museum in Leipzig dokumentierte Beispiel, das Sie angesprochen haben, finde ich sehr treffend, weil es zeigt, wie tief klassistische Strukturen in unseren Institutionen verankert sind.

Ich habe in meinen Stationen in Chemnitz und im Ruhrgebiet ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Sowohl das Aufsichts- als auch das Reinigungspersonal sind häufig an Drittfirmen ausgelagert, schlecht bezahlt und in den Strukturen der Museen eher unsichtbar. Und das, obwohl die Aufsichten und die Kassenkräfte diejenigen sind, die jeden Tag am engsten mit unseren Besuchenden in Kontakt stehen.

Dass die Mitarbeitenden dieser Firmen keinerlei inhaltliche Informationen weitergeben dürfen, macht ihre Rolle künstlich klein und führt zu einer Abwertung. Hinzukommt, dass wir diesen Personenkreis nicht in Entscheidungen oder Prozesse einbeziehen. Wenn wir beispielsweise mit einem Ausstellungsprojekt über Musik, die heute vielfältige Bevölkerung ansprechen möchten, dann wäre der logische Schluss eigentlich, dass wir Interessensbefragungen im direkten Umfeld durchführen. Warum lassen wir über das Kommunikationsdesign zur Ausstellungsbewerbung beispielsweise nicht das Aufsichts- und Reinigungspersonal abstimmen? Oder warum testen wir nicht mit ihnen die Funktionalität von Multimedia-Guides oder von neuen Führungsangeboten? Oder warum fragen wir sie nicht nach ihrer Meinung in Bezug auf die Museumsangebote allgemein?

Im LWL-Museum für Archäologie und Kultur im Ruhrgebiet versuchten wir Ansätze in diese Richtung zu etablieren. Uns wurde dann aber auch richtigerweise zurückgespiegelt, dass für eine solche Zusammenarbeit von den Beschäftigten ein höherer Lohn erwartet wird. Hierfür wiederum im öffentlichen Dienst Lösungen zu finden, ist eine komplexe und auch langjährige Angelegenheit. Denn bestimmten Berufsgruppen wird eben systematisch weniger Wert beigemessen.

Wenn wir über Klassismus in der Museumsarbeit sprechen, reden wir außerdem über soziale Codes, über Habitusabwertung und auch Scham. Da Sie meine Stationen Nordrhein-Westfalen und Chemnitz angesprochen haben, möchte ich das noch etwas konkretisieren: Ich leitete sechs Jahre das Westfälische Landesmuseum für Archäologie und Kultur in Herne, also mitten im Ruhegebiet und war ebenfalls sechs Jahre als Kuratorin im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz tätig.

Beide Städte werden von der bürgerlichen Gesellschaft nicht unbedingt mit Hochkultur verbunden, sondern sind im Gedächtnisfest als Industrie- und Arbeiterstädte verankert. Die damit verbundenen Ressentiments und Abwertungen äußern sich auch häufig darin, dass ich entweder danach gefragt worden bin, wo Herne und Chemnitz überhaupt liegen, was man denn dort zu erwarten habe und ob es dort nicht zu hässlich sei. Aber auch Aussagen wie „so ein tolles Museum hatte ich in Herne oder Chemnitz nicht erwartet“, verrät im Grunde viel über unsere oft unbewussten Zuschreibungen. Im Arbeiterinnenmilieu sei offenbar keine Hochkultur zu erwarten.

Zugleich ist es tatsächlich eine spannende Herausforderung, die Museumsarbeit auf die Eigenheiten der jeweiligen Standorte hin anzupassen. Welche Themen kommen bei der umliegenden Bevölkerung an? Mit welchen Ausstellungen und Veranstaltungen können wir das bereits vorhandene Spektrum erweitern, ohne an der Bevölkerung vorbeizukuratieren? Auch welche Ansprache ich in der Kommunikation wähle ist eine wichtige Entscheidungsfrage.

Als ich in Chemnitz anfing, habe ich unter anderem die Social Media Accounts des SMAC betreut – das war in den 2010er Jahren. Ich kann mich noch sehr gut an die Debatte in der Museums-Community erinnern, in der es einige Stimmen gab, die von einer Trivialisierung der Museumsarbeit sprachen, wenn Museen sich den Social-Media-Kanälen hinwenden.

Zehn Jahre später müssen wir feststellen, dass die Museen viel eher in diese Art der Kommunikation hätten einsteigen sollen. Und dass sie diese Arbeit vor allen Dingen mit Personal tun sollten, das sich in diesen Medien auch wirklich auskennt. Ich bin der Meinung, dass eine einfache, klare Sprache oder auch mal lustige Videos komplexe Zusammenhänge nicht trivialisieren. Ganz im Gegenteil ist es aus meiner Sicht eine hohe Kunst, Komplexität verständlich und damit für viele Menschen zugänglich zu erklären.

Damit sind wir beim Thema Zugänglichkeit. Das ist eine der größten Herausforderungen für Museen heute, denn als öffentlich geförderte Räume sollen Museen allen Menschen offenstehen. Darin besteht allgemein Einigkeit. Allerdings verbindet ein Teil der Bevölkerung Museen nicht mit Räumen, in denen sie sich gerne aufhalten und auch wohlfühlen. Vielmehr gelten Museen noch immer als voraussetzungsvolle Tempel, die einer bestimmten Klasse vorbehalten sind.

Und tatsächlich sind Museen angereichert mit Verhaltensregeln, mit enormer Komplexität und vor allen Dingen auch mit sozialer Distinktion. Ich selbst bin in der DDR aufgewachsen und auch Kind einer Arbeiterfamilie. Ich habe erst im Studium gelernt, in Museen und in andere Kultureinrichtungen zu gehen. Dadurch erwarb ich kulturelles Kapital, das mich befähigte, mitzureden und an akademischen Debatten überhaupt erst mal teilzuhaben.

In bürgerlichen Kreisen hatte ich lange das Gefühl der Scham und zugehörig fühle ich mich, wenn ich ehrlich bin, bis heute nicht richtig. Benennen konnte ich das Gefühl lange nicht. Bis ich „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon gelesen habe. Diese Lektüre war für mich ein Augenöffner.

Aus den genannten Gründen ist mir das Tagungsthema, also auch aufgrund meiner persönlichen Geschichte, wichtig.

BIHoff: Soziale Klasse verstanden als soziales Verhältnis und strukturelle Positionen zählt zwar gesellschaftlich zu den prägendsten, aber im Kulturbereich nach wie vor unterbelichteten Kategorien gesellschaftlicher Ungleichheit. Welche strukturellen Ursachen hat das aus ihrer Sicht, wenn doch bereits in den 1970er Jahren der normative Anspruch von Kultur für alle erhoben worden ist?

DMölders: Sie haben vollkommen recht. In den 1970er Jahren war Kultur für alle ein starkes und auch wichtiges Leitbild. Übrigens ist diese Formel eng mit dem Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann verbunden. Er vertrat in seiner gleichnamigen Schrift von 1979 bereits die Auffassung, dass Kultur viel stärker als demokratischer Prozess gedacht werden und Kultur auch aus der kulturellen Produktion von unten entstehen sollte. Das muss man sich mal vorstellen, 1979.

In der Praxis setzte sich dann zunächst durch, dass Museumspädagogik und Didaktik nachhaltig als wichtige Felder der Museumsarbeit etabliert worden sind. Heute gehört die Vermittlung zurecht zu den wichtigsten musealen Berufsfeldern, auch wenn in der Zusammenarbeit zwischen KuratorInnen und VermittlerInnen durchaus noch Luft nach oben ist.

Aber auch die Stärkung des Veranstaltungsbereichs hat zur Öffnung von Museen beigetragen. Als Beispiel: Museumsnächte und andere Großveranstaltungen werden von mehreren tausenden Menschen besucht. Das sind echte Erfolgsformate.

Mit der Hinwendung zum Thema Herkunfts- und Geschlechtsdiversität seit den 2000er Jahren gelten Museen dann zunehmend als Orte der Vielfalt und in den vergangenen 20 Jahren war der Slogan Kultur für alle häufig mit dem Anspruch verbunden, Museen und ihre Inhalte barrierefrei zugänglich zu machen. Summa summarum sind Museen also schon längst nicht mehr die bürgerlichen Musentempel, die sie einmal waren.

Nur die Klasse und die soziale Herkunft spielen in der Museumsarbeit – und hier meine ich auch die Inhalte – interessanterweise seit den 1980er Jahren keine bedeutende Rolle mehr. Natürlich haben wir mit den Industrie-Museen auch Museen, die sich dezidiert mit Arbeit und Arbeiter:innenklasse beschäftigen, allerdings aus einer historischen Perspektive und Arbeiterinnen sind häufig so dargestellt, dass bei den Besucher- bzw. Betrachterinnen irgendwie, finde ich, so ein Gefühl der Betroffenheit entsteht und ein differenziertes auch mal positives Bild von Arbeit. Arbeiter:innen finden wir in den Museen doch eher selten.

Museen bemühen sich darum, sich möglichst freizuhalten vom Kitsch, von der Unterhaltung, von der Trivialisierung und das ist meines Erachtens auch legitim. Nur erreichen wir mit rein bürgerlichen Themen eben nicht alle Menschen. Dessen müssen wir uns bewusst sein und uns dann auch hinterfragen, ob wir mit dieser Haltung nicht Ungleichheit immer wieder reproduzieren.

BIHoff: Welche Themen werden auf der zweitägigen Veranstaltung, die Ihr Museum mit ausrichtet, aufgerufen werden und welche Erkenntnisse erhoffen sie sich für eine diskriminierungskritische und auch klassenbewusstere Museumsarbeit?

DMölders: Wir haben die Tagung bewusst breit angelegt. Wir starten mit zwei Impulsvorträgen. Zum einen spricht der Sozialwissenschaftler Alex Demirovic zur Bedeutung von Klasse und dem Klassenbegriff heute. Francis Seeck ist Professor:in für Soziale Arbeit und wird über Klassismus als Diskriminierungsform reden.

Wir gehen dann anschließend mit Vertreter:innen aus verschiedenen Kultursparten in eine Podiumsdiskussion. Mit dabei sind der Journalist und Autor Dietmar Daht, die Kuratorin und Stadtforscherin Katharina Böttger, der Autor und Soziologe Ilija Matusko und die Dramaturgin Alexandra Hennig.

In dieser Diskussion möchten wir unter anderem herausarbeiten, inwieweit es von Kultursparte zu Kultursparte Unterschiede im Klassenzugang und auch im Klassismus gibt. Darüber hinaus interessieren uns die jeweiligen Ansätze der Überwindung von Klassismus.

Die Hinwendung zur Museumsarbeit erfolgt dann durch einen Vortrag von Nina Gorgus zur Museumsarbeit des Historischen Museums Frankfurt in den 1970er und 1980er Jahren, der eine dezidiert marxistische Perspektive zugrunde lag.

Der erste Tag endet schließlich mit einer performativen Lesung von den Working Class Daughters.

Am zweiten Tag gehen wir gemeinsam mit allen Teilnehmenden in Workshops und fragen danach, wie Klasse und Klassismus in den vier großen Museumsbereichen – also Sammeln und Dokumentieren, Ausstellen, Vermitteln – sowie die jeweiligen Strukturen und das Personal wirken.

Im Idealfall kommen wir aus den Workshops mit konkreten Handlungsfeldern heraus, an denen wir in der alltäglichen Museumsarbeit Klassenungleichheiten und vor allem auch Diskriminierung aufgrund sozialer Klasse reduzieren können. Hierzu gehört auch, dass wir uns Streiks- und Klassenbildungsprozesse jenseits industrieller Arbeit anschauen. Es wird hierzu einen Vortrag geben von Alexander Gallas, der zu Streiks forscht und arbeitet.

Von der Tagung erhoffen wir uns einen doppelten Effekt: Einerseits mehr Bewusstsein dafür, dass Klassismus im Kulturbereich real ist und nicht einfach nur ein Randthema. Und andererseits ganz konkrete Impulse für die Praxis. Welche Veränderungen wir in Organisationen, Programmarbeit und Personalpolitik brauchen, damit Museen Klassenungleichheiten nicht weiter reproduzieren.

Wenn wir das ernst nehmen, davon bin ich überzeugt, können Museen auch wirklich zu Orten werden, die nicht nur über gesellschaftliche Ungleichheit sprechen, sondern aktiv zu einer gemeinwohlorientierten, demokratischen Gesellschaft beitragen.

BIHoff: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei dieser Tagung.

Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei und sie wird organisiert von Joachim Bauer vom Institut für Kunst und materielle Kultur der TU Dortmund, Dominik Hüninger vom Deutschen Hafenmuseum in Hamburg, sowie meiner Gesprächspartnerin Doreen Mölders vom Historischen Museum Frankfurt am Main.

Weiterführende Informationen:

Im Podcast KUNST DER FREIHEIT sprachen wir in der Sendung „Jenseits des White Cube“ (9. März 2025) mit der Kuratorin am Gropius Bau Berlin, Julia Grosse, u.a. über soziale Klassen in der Museumsarbeit, praktische Interventionen des Ausstellungshauses Gropiusbau in den Berliner Stadtraum und Erfahrungen bei einer, Klassismus als Problem verstehenden Ausstellungsarbeit.