24.09.2025
Benjamin-Immanuel Hoff

“Freedom and democracy is not about political violence”

Der bekannte und in den USA in der von Trump geführten Make America Great Again (MAGA)-Bewegung populäre rechte Aktivist Charlie Kirk wurde am 9. September 2025 während einer öffentlichen Veranstaltung an der Utah Valley University in Orem durch einen gezielten Gewehrschuss ermordet. Der Täter, Tyler Robinson, bekannte sich später in sozialen Medien zur Tat und gab als Motiv an, Kirk wegen dessen Hassrede getötet zu haben. Das Attentat verschärfte die politische Polarisierung in den USA weiter und führte zu einer Welle gegenseitiger Schuldzuweisungen; sowohl von rechter als auch von linker Seite wurde das Klima der Gewalt thematisiert. Die US-Politik reagierte parteiübergreifend mit Verurteilung der Tat. So z.B. der linke Senator Bernie Sanders, dessen Zitat die Überschrift dieses Beitrags bildet. Präsident Trump hingegen nutzte das Ereignis für die Mobilisierung seiner Anhängerschaft. Der Präsident und seine Regierung inszenieren ebenso symbolische wie zugleich die autoritative Umgestaltung der US-amerikanischen Gesellschaft vertiefende Handlungen, wie z.B. „die Antifa“ zu einer terroristischen Organisation zu erklären.

In der Sendung vom 17. September 2025 unseres Podcasts KUNST DER FREIHEIT sprach Katrin Petermann mit dem Leiter des Amerika-Büros der Rosa-Luxemburg Stiftung, Stefan Liebich über die Situation in den USA, während der Politikwissenschaftler und Populismusforscher, Prof. Dr.  Marcel Lewandowsky, im Gespräch mit mir die hiesige Situation analysierte. Nachfolgend sind beide Gespräche dokumentiert.

 

Gespräch mit Stefan Liebich (Rosa-Luxemburg-Stiftung, New York)

Source: Rosa-Luxemburg-Stiftung

KPetermann: Charlie Kirk ist vielen in Deutschland wohl erst nach seinem Tod ein Begriff geworden. In den USA dagegen galt er schon länger als der Star der MAGA-Bewegung. Wer war Charlie Kirk?

SLiebich: Ich muss zugeben, dass ich bis zum Sommer Charlie Kirk auch nicht genauer kannte. Aber ich las im Sommer einen interessanten Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit, geschrieben von meinem Freund, dem Journalisten Lukas Hermsmeier, der hier in New York lebt.

Lukas war in Tampa, Florida zu Gast bei einer Veranstaltung der Organisation Turning Point, die von Charlie Kirk gegründet wurde. Und er beschrieb Charlie Kirk als den 31-jährigen Strippenzieher der US-amerikanischen Rechten, als jemanden, der wöchentlich mit Donald Trump telefonierte, der Stammgast beim konservativen Fernsehsender Fox News war.

Die politischen Ziele von Kirk waren in seinen Worten, dass Männer die Versorger sein müssen, Frauen zurück an den Herd gehören, dass Abtreibung Sünde ist – selbst bei einer Vergewaltigung. Und Kirk behauptete anti-weißen Rassismus hier in den Vereinigten Staaten.

Seine Organisation Turning Point übersetzt Wendepunkt, ist an 3.500 Orten aktiv und wächst. Die Witwe von Charlie Kirk hat gesagt, sie wird seine Arbeit fortsetzen und forcieren. Und ja, man kann es nicht anders sagen, die Arbeit von Charlie Kirk war erfolgreich. Donald Trump legte bei unter 30-Jährigen – im Vergleich zur Wahl 2020 – bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr um 10 Prozentpunkte zu.

Das alles zeigt, dass Charlie Kirk nicht irgendwer gewesen ist, sondern eine einflussreiche Person. Und das zeigt auch, warum seine Ermordung so eine Erschütterung auf Seiten der amerikanischen Rechten hervorgerufen hat, vor allem auch beim US-Präsidenten Donald Trump.

KPetermann: Die politische Geschichte der Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg ist geprägt von zahlreichen Attentaten. In einer Rede, die der linke Senator Bernie Sanders auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte, erinnert er an diese Morde, die Menschen aus allen politischen Lagern trafen.

Er warb für eine Gesellschaft, in der niemand Angst haben muss, wegen seiner Ansichten ermordet oder bedroht zu werden. Hier einige kurze Auszüge:

“A free and democratic society, which is what America is supposed to be about, depends upon the basic premise that people can speak out, organize and take part in public life without fear, without worrying that they might be killed, injured or humiliated for expressing their political views. In fact, that is the essence of what freedom is about and what democracy is about.

Freedom and democracy is not about political violence. It is not about assassinating public officials. It is not about trying to intimidate people who speak out on an issue.

Every American, no matter what one's political point of view may be, must condemn all forms of political violence and all forms of intimidation. We must welcome and respect dissenting points of view. That's what our constitution is about. That's what our Bill of Rights is about. That in fact is what freedom is about.”

Diese Worte hätte man eigentlich von einem Präsidenten erwartet, aber nicht von Donald Trump. Wie läuft die Debatte nach dem Attentat? Was sagen Trump und die MAGA-Bewegung auf der einen Seite, die Demokraten und Linksliberalen auf der anderen?

SLiebich: Die Debatte nach der Ermordung lohnt einer genaueren Betrachtung. Denn wie so häufig ist nicht alles schwarz-weiß. Der Gouverneur des Bundesstaates Utah, in dem Charlie Kirk ermordet wurde, Spencer Cox von den Republikanern, hat sich dafür eingesetzt, dass es eine verbale Abrüstung gibt, dass man – und das ist ja eigentlich das Normalste der Welt aber hier in den USA eben gegenwärtig nicht – zu einer Politik zurückkehrt, die nicht auf Gewalt in der politischen Auseinandersetzung setzt.

Für diese Aussage wurde er von Steve Bannon als eine „nationale Schande“ bezeichnet. Steve Bannon war Präsidentschaftsberater im Weißen Haus in Donald Trumps erster Amtszeit, saß dann später im Gefängnis und ist jetzt wieder zurückgekehrt zu seinem ursprünglichen Job als rechter Blogger.

Trump selbst hat ohne, dass es irgendeinen Beleg oder Beweis dafür gibt, alle Schuld für politische Gewalt hier im Land den Linken, den Demokraten zugeschoben. Ich habe im Internet niemanden auf der linken Seite gesehen, der die Ermordung von Charlie Kirk gefeiert hätte. Aber ich sehe viele, viele Kommentare von der rechten Seite, die sagen, dass jeder, der sich auch nur ein bisschen kritisch über die politischen Ansichten von Charlie Kirk äußert, gemeldet werden soll. Es gibt Meldeportale, Journalisten, die aus dem Ausland kommen, werden öffentlich kritisiert. Dabei wird das State Department getaggt, sodass das Außenministerium sehen kann, wer das war. Es gab schon die Aussage vom Außenministerium, dass kritischen Journalisten in dieser Hinsicht, die sich kritisch äußern zu Charlie Kirk, dass denen ein Visum entzogen werden soll.

Also man sieht, die Debatte hier ist nicht anders als früher.

KPetermann: Manche Beobachter:innen meinen, das Attentat könne ein Wendepunkt sein, hin zu noch mehr Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Wie siehst du das und welchen Ausblick würdest du geben?

SLiebich: Es wäre wünschenswert, dass ein schrecklicher Mord wie dieser zu einem Innehalten führen würde. Es war bekanntlich leider nicht der einzige Mord, sondern es wurden auch Amtsträger der demokratischen Partei angegriffen und getötet – daran erinnert Bernie Sanders in seiner Rede, aus der du zitiert hast. Bernie Sanders hat historische und aktuelle politische Morde an Demokraten und Republikaner benannt. In diesem Sinne wäre es wichtig, dass man noch mal bedenkt, an welchem Status der politischen Auseinandersetzung wir hier inzwischen angekommen sind. Aber leider, leider kann ich dieses Signal nicht erkennen. Wir sind nach wie vor in einer Situation, wo zugespitzt wird und wo Appelle zur Abrüstung nicht gehört werden.

Ich will noch Zoran Mamdani aufmerksam machen, der Bürgermeisterkandidat hier in New York City ist. Er wurde aufgestellt von den Demokraten nach einer internen Vorwahl und ist selbst Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA), einer der größten organisierten linken Gruppen hier in den USA. Mamdani hat nach der Ermordung in einer wichtigen Rede ganz klar für Gewaltlosigkeit plädiert. Er hat die Ermordung völlig zu Recht verurteilt und er hat auf einen Punkt hingewiesen, der die USA eben von anderen Ländern unterscheidet: Politische Gewalt, verbale Gewalt gibt es überall auf der Welt, auch in Deutschland. Auseinandersetzungen im Internet, wir sehen das, die gibt es und die spitzen sich zu. Es gibt auch Menschen mit mentalen Problemen überall auf der Welt. Der Unterschied zu den USA ist, dass es hier massenweise Waffen in privaten Händen gibt. Das ist der Kernpunkt, gegen den man neben der politischen Zuspitzung vorgehen müsste.

Leider gibt es keinerlei Anzeichen, dass das diese wichtigen Hinweise von Zoran Mamdani hier in den USA angepackt werden.

KPetermann: Lieber Stefan, vielen Dank für das Gespräch.

 

Gespräch mit Prof. Dr. Marcel Lewandowsky (Populismusforscher an der Universität Halle-Wittenberg)

Source: Marcel Lewandowsky / Privat

BIHoff: Die Tagesschau beschrieb Charlie Kirk als politischen Aktivisten, der gerne auch mit Andersdenkenden diskutierte und sich für Redefreiheit eingesetzt habe. Ich empfand das, freundlich ausgedrückt, unterkomplex.

Parallel ist zu konstatieren, dass rechte Medienplattformen die etablierten Medien wiederum dafür kritisieren, wenn sie Kirks politische Position als Hetze oder als rassistisch bezeichnet haben. Sie werfen dieser Berichterstattung vor, linke Propaganda zu sein und die Motive der Ermordung zu verfälschen. Wie nimmst du die mediale Widerspiegelung in den deutschen Medien und den sozialen Netzwerken hierzulande wahr?

MLewandowsky: Was mich überrascht hat, war, dass es in der reichhaltigen Berichterstattung deutscher Medien über die Ermordung von Charlie Kirk eine aus meiner Sicht unzureichende Einordnung der politischen Person Charlie Kirk und seines entsprechenden Wirkens gab. Charlie Kirk war ein rechtsextremer Aktivist, der durchaus auch illiberale Positionen vertrat. Das ist meines Erachtens zu wenig wiedergegeben worden.

Vielmehr wurde er als häufig als konservativer Influencer eingeordnet. Nun könnte man einwenden, dass sich der Konservatismus in den USA – in Gestalt der republikanischen Partei – sehr, sehr stark radikalisiert hat. Aber im allgemeinen Verständnis und in seiner Herkunft meint der Begriff „konservativ“ dennoch etwas anderes als das, was wir von Charlie Kirk oder auch von großen Teilen der republikanischen Partei derzeit hören, lesen und sehen können. Insofern fand ich diese Einordnung auch im deutschen Mediendiskurs unzureichend.

BIHoff: Viele rechte Stimmen stellen Kirk als Märtyrer dar und vergleichen seine Ermordung teils mit der Wirkung des Mordes am Bürgerrechtler Martin Luther King. Besonders auffällig erscheint mir, wie häufig die Tat genutzt wird, um auf eine angebliche Bedrohung der Meinungsfreiheit und eine zunehmende Gewalt von links hinzuweisen, wobei die politische und mediale Linke für Hetze und gesellschaftliche Spannung verantwortlich gemacht wird. Wie bewertest du diese Tonalität und auch die Instrumentalisierung?

MLewandowsky: Bemerkenswert ist tatsächlich, dass diese Instrumentalisierung der Kirk-Ermordung innerhalb des rechten Spektrums Wirkung zeigt, unabhängig von der tatsächlichen politischen Intention und der Identität des Attentäters Tyler Robinson. Das rechte Narrativ wird also völlig unabhängig davon aufrechterhalten.

Man sieht auch hier eine Strategie der Neuen Rechten: das Schaffen von Feindbildern, um einerseits die eigenen Reihen zu schließen und andererseits die politische Polarisierung weiter voranzutreiben.

So ist auch das Agieren von Donald Trump zu verstehen. Der hatte sich bereits sehr früh mit einem Statement zum Tode Charlie Kirks gemeldet. Er lastete die Ermordung Kirks pauschal „der Linken“ und „den Demokraten“ an. Das dient sowohl der Diffamierung des politischen Gegners als auch dessen grundsätzliche Delegitimierung als politischen Mitbewerber. Mit der Folge, dass dadurch Maßnahmen legitimiert werden sollen, die sich gegen die inkriminierte politische Linke allgemein und die Demokratische Partei im Speziellen richten. Wenn man so will, ist das aus dem „Authoritarianism Playbook“. Im Übrigen eine sehr gängige Strategie autoritärer Regime.

BIHoff: Wir sprachen hier in KUNST DER FREIHEIT im Zusammenhang mit deinem Buch „Die globale Rechte“ (vgl. Sendung vom 17. August 2025) auch über Konservative in Deutschland und warum es politisch fahrlässig ist, die Union mit der AfD in einen Topf zu werfen. Nun ist mir aufgefallen, dass auch Unionspolitiker und Aktivisten der Jungen Union in sozialen Medien das Narrativ übernommen haben, Kirk sei ein Kämpfer westlicher Werte und freier Debatten gewesen. Woher rührt diese Auffassung auch auf der konservativen Seite?

MLewandowsky: Zunächst glaube ich, dass dabei in Teilen auch ganz banales Unwissen eine Rolle spielt. Da sitzen einige einem medialen Diskurs auf und beteiligen sich an einer Einordnung, die im Einzelnen gar nicht hinterfragt wird. Selbst Akteure im konservativen Spektrum, das gilt übrigens für Akteur:innen aller politischen Richtungen insgesamt, sind nicht automatisch alle hoch informiert oder professionell. Da werden dann schlicht und einfach Narrative übernommen, ohne groß darüber nachzudenken. Das ist sicherlich ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, würde ich vermuten.

Andererseits ist durchaus zu beobachten, dass sich der Konservatismus – teilweise zumindest – radikalisiert hat. Wir finden im konservativen Spektrum Strategien, die wir bislang vorrangig von der Neuen Rechten kennen.

Auch in konservativen Parteien ist dies teilweise der Fall. Denken wir etwa an die Republikaner in den USA. Und wir sehen auch, dass solche Kulturkampfstrategien, um diesen Begriff mal zu verwenden, auch innerhalb der Union angewendet werden. Das gilt keineswegs für die CDU oder CSU in Gänze, sondern für Akteur:innen in den Unionsparteien. Das ist auch hier im Fall Kirk und der Diskussion darüber zu beobachten. Da geht es um maximale Abgrenzung nach links, da geht es um Polarisierung.

Ich hatte bereits in unserem Gespräch hier im Podcast darauf hingewiesen, dass die Übernahme solcher neurechten Vorbilder durch konservative Parteien, also demokratische konservative Parteien, sich als schädlich für die Konservativen selbst in multiplen Parteien-Systemen erweisen. Denn zwangsläufig müssen die Konservativen irgendwann begründen, warum sie statt mit der extremen Rechten zusammenzugehen, in Koalitionen gemeinsam zu regieren, mit den anderen demokratischen Parteien, Sozialdemokraten, Grünen oder auch weiter links stehenden Parteien zusammenarbeiten.

Worauf ich hinaus will: jenseits aller normativen Fragen, die sich mit der Adaption neurechter Politikmechanismen verbinden, ist eine solche Strategie für die Christdemokratie problematisch.

BIHoff: Lieber Marcel, vielen Dank für deine Einschätzung.