Mehr Resilienz für unser Kulturgut
Vor 20 Jahren brannte in Weimar die Herzogin Anna-Amalia-Bibliothek. Die Rettung eines bedeutsamen Teils ihrer historischen Buchbestände gelang deshalb, weil die Weimarer Feuerwehr ein gutes Verständnis für die besonderen Bedürfnisse der Kultureinrichtungen hatte und weil es bereits so etwas wie einen Weimarer Notfallverbund für Kulturgutschutz gab.
Doch in vielen Kommunen sind Notfallpläne für den Kulturgutschutz unvollständig oder nicht flächendeckend vorhanden sagt Constanze Fuhrmann. Sie ist Kulturgutschutzexpertin bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und erste stellv. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz. Sie war Gesprächsgast in der Sendung vom 11. September 2025 meines Podcasts KUNST DER FREIHEIT.
BIHoff: Frau Fuhrmann, Sie sagen, dass die Bedeutung des Kulturgutschutzes in Zeiten von Stapelkrisen, militärischen Konflikten und Naturkatastrophen zunimmt. Woran machen Sie das fest?
CFuhrmann: Wir sehen das ganz konkret. Der Ukraine-Krieg zeigt uns täglich, wie systematisch Kulturgut von russischer Seite angegriffen wird. Es werden gezielt Museen, Bibliotheken und historische Städte attackiert. Es findet also eine systematische Zerstörung kultureller Identität statt. Und das lässt auch die Vulnerabilität von Kultureinrichtungen in unserem eigenen Land noch bewusster werden.
Gleichzeitig sind wir hier in Deutschland immer häufiger mit Extremwetterereignissen konfrontiert. Denken Sie allein an die Flut im Ahrtal. Die Forschung ist hier ganz klar – durch den Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit solcher Extremereignisse um das bis zu neunfache. Mit anderen Worten: das Problem wird künftig nicht kleiner, sondern größer. Das wiederum führt uns vor Augen, dass Kulturinstitutionen, Kulturgut unterschiedlichen Bedrohungen ausgesetzt ist und Krieg oder Naturkatastrophen sind dabei nur zwei Beispiele.
Doch gerade in Krisenzeiten sind Kunst und Kultur besonders wichtig für Identität und für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb ist es erforderlich jetzt zu handeln und die richtigen Strukturen schaffen, solange wir noch können. Kulturgutschutz ist meiner Meinung nach keine Kür, sondern eine Pflichtaufgabe.
BIHoff: Das Zivil- und Katastrophenhilfegesetz nennt bereits in § 1 Abs. 2 Nummer 7 ausdrücklich "Schutzmaßnahmen für Kulturgüter" als staatlichen Zivilschutzauftrag. Angesichts dessen müsste man annehmen, dass alle staatlichen Ebenen auf die Umsetzung dieses Auftrags vorbereitet sind. Darüber hinaus müssten doch auch Mittel dafür zur Verfügung stehen, da der Bundestag unter anderem beschlossen hat, dass die Ausgaben für Verteidigung, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste ab der Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr von der Schuldenbremse umfasst sind. Die Realität sieht jedoch offenbar anders aus.
CFuhrmann: Sie sprechen einen zentralen Punkt an. Tatsächlich haben wir solide, rechtliche Grundlagen, das Zivilschutz-Katastrophenhilfegesetz, die Haager-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten und durch die neue Verfassungsänderung auch eine erweiterte Finanzierungsmöglichkeit.
Das Problem liegt aber immer noch in der Umsetzung und der entsprechenden Priorisierung. Wenn Sie sich den aktuellen Koalitionsvertrag anschauen, Bevölkerungsschutz, Cyberresilienz, kritische Infrastruktur sind darin explizit genannt. Der Kulturgutschutz aber leider nicht. Dieses Missverhältnis spiegelt sich als logische Folge in der praktischen Politik wider. Die verfügbaren Mittel werden nicht zweckgebunden für den Kulturgutschutz eingesetzt.
Es wird kein entsprechender Rahmen geschaffen. Hinzu kommt das strukturelle Problem vor Ort, dass sich viele Kommunen ihrer Verantwortung nicht immer vollumfänglich bewusst sind bzw. nicht über die nötigen finanziellen und personellen Kapazitäten verfügen. Darüber hinaus sind auch die Zuständigkeiten zwischen Kultureinrichtungen, Katastrophenschutz und Behörden nicht immer so klar geregelt, wie wir uns das wünschen würden.
Die Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal hat genau dieses Defizit deutlich gemacht. Vielerorts fehlten schlichtweg die Notfallpläne und die Kommunikationsstrukturen.
Weil dieses Problem an vielen Orten besteht und wir gegenwärtig noch entsprechend schlecht aufgestellt sind, ist eine systematische Integration von Kulturgutschutz in bestehende Sicherheitsstrategien mit klaren Strukturen, entsprechenden Mitteln und flächendeckenden Notfallplänen nötig. Dazu gehört auch, dass funktionierende Netzwerke zwischen der Feuerwehr oder anderen Blaulichtorganisationen, Kultureinrichtungen und Verwaltung, wie sie in Weimar beispielsweise existierten, zum Standard werden müssen.
BIHoff: Was müssten Bund, Länder und Gemeinden aus ihrer Sicht tun, um den Kulturgutschutz zu verbessern? Gibt es Vorbilder in Deutschland, an denen sich andere Bundesländer und Kommunen orientieren?
CFuhrmann: Gehandelt werden muss auf allen Ebenen. Die Bundesregierung hat dem Zivilschutz hohe Priorität eingeräumt, wie ich eingangs bereits erwähnte. Es sind umfangreiche Maßnahmen geplant und in Anbetracht der aktuellen Gefährdungslage ist das sicherlich auch der richtige Schritt. Wir plädieren dafür, den Kulturgutschutz als wichtigen Teil des Zivilschutzes nicht mehr außen vor zu lassen, sondern seiner Bedeutung entsprechend zu berücksichtigen.
Dafür haben wir mit der neuen Ausnahmeregel in Artikel 109 Grundgesetz auch das richtige Instrument. Zusätzliche Mittel für den Zivilschutz sind jetzt möglich. Und das muss auch dem Kulturgutschutz zugutekommen. Als Deutsche Gesellschaft für Kulturgutschutz fordern wir eine explizite Verankerung in den neuen Sicherheitsstrategien. Sonst greifen Schutzmaßnahmen unkoordiniert und im Ernstfall zu spät.
Konkret folgt daraus die Sensibilisierung aller Beteiligten, von den Behörden bis zu den Kultureinrichtungen. Viele wissen gar nicht, welche spezifischen Anforderungen der Kulturgutschutz in Notfällen hat. Es heißt aber auch konkret, bestehende Strukturen zu stärken – sowohl finanziell, als auch organisatorisch, damit sie im Ernstfall auch funktionieren. Denn es fehlen schlichtweg vor Ort oftmals die nötigen Kapazitäten. Viele Kultureinrichtungen verfügen gegenwärtig nicht über die notwendigen Personalkapazitäten um angemessen strategisch und konzeptionell vor einer Notlage agieren und im Ernstfall reagieren zu können. Nötig sind deshalb auch Fortbildungsprogramme und abgestimmte Einsatzpläne, um vor Ort die entsprechenden Kompetenzen aufzubauen. Sachsen beispielsweise macht das seit den 1990er Jahren wunderbar vor mit einer Landestelle, regelmäßigen Fortbildung, etablierten Kooperationen. Es gibt Städte wie Dresden oder auch Köln, die funktionierende Notfallverbünde entwickelt haben und nach wie vor auch entwickeln.
Das Problem besteht immer noch darin, dass solche Strukturen meist erst nach Krisen entstehen. Doch wir müssen präventiv handeln im Hier und Jetzt. Und dazu müssen die einzelnen Kommunen, die einzelnen Kultureinrichtungen entsprechend befähigt werden.
BIHoff: Im Februar formulierten Sie gemeinsam mit anderen europäischen Akteuren "Sieben Empfehlungen an die Europäische Union zur Stärkung des Schutzes von Kulturerbe in Fällen bewaffneter Konflikte und Katastrophen". Welche Empfehlungen waren das und wie wichtig ist die europäische, länderübergreifende Zusammenarbeit in diesem Bereich?
CFuhrmann: Die Empfehlungen haben ein ganz klares Ziel und zwar die Haager-Konvention stärker in die EU-Politik zu integrieren. Konkret fordern wir eine EU-weite Kulturgutschutzstrategie.
Wir fordern europäische Standards für Notfallpläne, spezialisierte Kulturgutschutzeinheiten, die Sicherung kritischer Infrastruktur für den Erhalt des kulturellen Erbes. Das ist natürlich nicht nur wichtig, es ist auch hochaktuell.
An den russischen Angriffen auf die Ukraine sehen wir täglich, wie die Zerstörung von Kulturgut als Waffe eingesetzt wird. Kulturgutschutz ist eindeutig kein Nischenthema mehr, sondern ist bedeutsam für die Bewahrung kultureller Identität und gehört ganz klar ins Zentrum der EU. Resilienzpolitik, die europäische Zusammenarbeit, ist hier ganz entscheidend. Krisen kennen eben keine Grenzen und unser Fachwissen ist europaweit verteilt. Das heißt, im Ernstfall müssen wir dieses Wissen auch entsprechend schnell bündeln können. Dazu gehört das übergreifende Verständnis dafür, dass Kulturgutschutz eine gesamteuropäische Aufgabe ist.
BIHoff: Vielen Dank Frau Fuhrmann für dieses Gespräch.
Hintergrund:
Anfang September 2025 konkretisierte Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) seine Pläne für den Zivilschutz und versprach deutlich mehr Geld. Bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode sollen demnach zehn Milliarden Euro in den Zivil- und Bevölkerungsschutz fließen, sagte der Politiker der Bild-Zeitung. Dobrindt nannte als Beispiele digitale Warnsysteme, zusätzliche Schutzräume und 1.500 zusätzliche Katastrophenschutzfahrzeuge. Der Innenminister sprach von einem "Pakt für den Bevölkerungsschutz", der auch gemeinsame Krisenübungen von Rettungsdiensten, Hilfsorganisationen, THW und Bundeswehr vorsieht.
Die Ausgabe 7-8/2023 von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates widmete dem Kulturgutschutz in Krisenzeiten einen Schwerpunkt und fragte: Wie resilient ist der Kulturbereich? Sowohl Constanze Fuhrmann als auch Benjamin-Immanuel Hoff steuerten seinerzeit Beiträge zu der Ausgabe bei, die kostenfrei abrufbar sind.
Informationen zum staatlichen Kulturgutschutz finden Sie auch beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).