So viel Silber im Grau – Kunst aus der DDR in Jena
Im vergangenen Jahr befasste sich MDR KULTUR mit der Frage, wie künftig mit DDR-Kunst in den Beständen der Museen umgegangen werden sollte. Dazu befragte der Sender 34 mittelgroße und große Kunstmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zudem beteiligten sich in Kooperation mit dem Meinungsbarometer rund 19.000 Mitglieder der MDRfragt-Community online.
Drei Viertel der befragten potenziellen Museumsbesucher:innen äußerten den Wunsch, weiterhin Kunstwerke aus der DDR in Ausstellungen zu sehen. 77 Prozent gaben an, dass Kunstwerke aus der DDR für sie eine wichtige Rolle spielten.
Die vom MDR zitierten Museumsakteur:innen legten unterschiedliche Schwerpunkte bei der Präsentation von DDR-Kunstwerken.
Der Leiter des Leonhardi-Museums Dresden, Bernd Heise, forderte, Künstler:innen sichtbarer zu machen, die in der DDR aus kulturpolitischen Gründen kaum berücksichtigt wurden. Annegret Laabs, Direktorin des Kunstmuseums Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg, plädierte dafür, die Rolle von DDR-Künstlerinnen stärker zu betonen.
Wie das Œuvre von Künstlerinnen aus der DDR diskursiv und umfassend präsentiert werden kann, beweist vorbildhaft das Brandenburgische Landesmuseum für Moderne Kunst (BLMK). In seinem Standort Dieselkraftwerk Cottbus war zwischen Mai und August dieses Jahres die Ausstellung „Unbeschreiblich weiblich. Frauenbilder in der DDR“ zu besichtigen. In der Potsdamer Investitionsbank Brandenburgs sind noch bis zum 23. September 2025 rund 50 Werke von DDR-Künstler:innen in der Ausstellung „herzwärts will. Umbrüche 1982-1997. Künstlerinnen aus der DDR“ öffentlich zugänglich.
Anlässlich des 100. Geburtstags des langjährigen Präsidenten des DDR-Verbandes Bildender Künstler, Willi Sitte, präsentierte das Kunstmuseum Moritzburg in Halle dessen Werke in einer viel beachteten Ausstellung. Gegenüber dem MDR äußerte sich dessen Direktor, Thomas Bauer-Friedrich, dahingehend, dass auch Künstler wie Sitte „zum kulturellen Bildgedächtnis“ der DDR gehörten und deshalb gezeigt werden sollten: „Selbst Werke, die problematisch sind, müssen gezeigt werden, um eben auch das Problematische erfahrbar zu machen“. Sonderlich neu ist diese Auffassung nicht, denn neben Ausstellungen, die bereits zu Sittes 90. Geburtstag stattfanden, wurde schon 2006 die „Willi-Sitte-Stiftung für realistische Kunst“ in Merseburg gegründet.
Kunst spiegelt Identität
Peter Arlt, emeritierter Professor für Kunstgeschichte und Kunsttheorie der Universität Erfurt, äußerte sich 2009 im Rahmen des erneut entflammten deutsch-deutschen Bilderstreits in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät. Er betonte, dass Kunstwerke zwar die Bedingungen ihrer Entstehung widerspiegeln, sich aber nicht vollständig aus ihnen erklären. Ihre Bedeutung gehe nicht mit dem Ende dieser Bedingungen verloren. In der Kunst der DDR zeigten sich alle prägenden Merkmale der DDR-Identität – einschließlich einer ‚Überwältigungsrhetorik‘, die zwar mit anderen totalitären Systemen vergleichbar sei, jedoch nicht zur Gleichsetzung führen dürfe. Zudem sei Kunst in der DDR zu einer Form kollektiver Selbstverständigung geworden. Nach Befragungen hatte sie für Kunstinteressierte größeren Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen als Presse, Rundfunk und Fernsehen – und fast den gleichen wie die Literatur.
Der deutsch-deutsche Bilderstreit wurde durch die verbale Eskalation von Georg Baselitz ausgelöst. Er behauptete, in der DDR habe es keine Künstler:innen, sondern „einfach Arschlöcher“ gegeben. Gestützt wurde diese Abwertung durch Gerhard Richter, der erklärte: „Kunst braucht Freiheit, um sich entwickeln zu können. In Diktaturen gibt es daher keine Kunst, nicht einmal schlechte.“ Inzwischen ist dieser Streit selbst zum Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung geworden. Eine Debatte an den Dresdner Kunstsammlungen, bekannt als „Dresdner Bilderstreit“, fragte, ob DDR-Kunst in Ausstellungen zu wenig präsent sei. Sie zeigte ebenso wie zahlreiche jüngere Ausstellungen und Forschungsergebnisse, dass sich die 2013 von Karl-Siegbert Rehberg geäußerte Sorge nicht bestätigte. Rehberg hatte befürchtet, offene Abwertung sei durch eine informelle, aber wirksame Ausgrenzung ersetzt worden.
Allein die Bilddatenbank zur DDR-Kunst, gehostet von der TU Dresden in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden umfasst mehr als 20.000 Werke in 165 Sammlungen und wird ergänzt durch eine Wissenswerkstatt, die durch umfassende Hintergrundinformationen wie Interviews, themengebundenen Dossiers die individuelle und selbständige Möglichkeit bietet, sich die bildende Kunst der DDR zu erschließen.
Ebenfalls online dauerhaft zugänglich ist seit dem vergangenen Jahr die vom Institut für Auslandsbeziehungen präsentierte Zusammenstellung von 40 Künstler:innen aus dem Sammlungskonvolut des Zentrums für Kunstausstellungen (ZfK), das 1973 als eigenständige Organisation durch das Ministerium für Kultur der DDR gegründet wurde und Ausstellungen im In- und Ausland organisierte. Mit der Online-Ausstellung „Publik machen“ gibt das ifa „einen ersten Einblick in ein Konvolut, das rund 10.000 Werke von 630 Künstler:innen umfasst. Die Sammlung des Zentrums für Kunstausstellungen (ZfK), beinhaltet Arbeiten auf Papier wie Aquarelle, Tusche- oder Handzeichnungen, Druckgrafiken in Form von Lithografien oder Radierungen, Kleinplastiken, Mappen und Künstlerbücher.“
Kunstsammlung Jena öffnet ihre DDR-bezogene Sammlung
Kunstwerke aus der Zeit der DDR umfassen zwar etwas weniger als ein Drittel des Bestandes der Kunstsammlungen Jena, sind aber gleichwohl ein wesentlicher Sammlungsbestandteil. Unter dem Titel: „So viel Silber im Grau. Kunst aus der DDR“ eröffnet die städtische Kunstsammlung seit Ende August und noch bis Mitte November dieses Jahres auf zwei Etagen den Blick auf die Werke von 134 Künstler:innen der DDR. Dieser erstmals seit 1989 ermöglichte Einblick erfolgt im Kontext einer Neuerfassung des DDR-bezogenen Sammlungsbestandes. Dem soll zum Ende dieses Jahres noch ein als Druckexemplar zugänglicher Bestandskatalog folgen.
„Viele der ausgestellten Arbeiten werden erstmals präsentiert und zeugen von einem Kunstraum, der durch die Fülle der Handschriften und die Aktualität der Bildsprachen überrascht und neu entdeckt werden will“ formulieren die Ausstellungsmacher:innen am Eingang der Bilderschau – und versprechen nicht zu viel. Im Gegenteil: Die Ausstellung zeigt eine große künstlerische Vielfalt. Sie wird durch die dichte Hängung in den kleinen Räumen des spätgotischen Gebäudes noch verstärkt.
Angesichts dessen drängt sich eine Frage auf: Warum betont die Kunstsammlung Jena in ihrer digitalen und analogen Kommunikation, sie habe „kaum Hauptwerke versammelt, „aber neben wichtigen Gemälden von Bernhard Heisig, Alexandra Müller-Jontschewa oder Horst Sakulowski entdeckungswürdige Bildkonvolute“.
Ich behaupte, dass – aus gutem Grund – kein westdeutsches Kunstmuseum, insbesondere jenseits der Metropolen, eine solche Bescheidenheit an den Tag legen würde. Auch die Kunstsammlung Jena sollte auf derlei unnötige Verzwergung verzichten.
Allein die vier ausgestellten Werke des Meisters der ostdeutschen Abstraktion, Hermann Glöckner, sind atemberaubend. Eine Faltgrafik von 1979 zeigt zwei ineinander verflochtene Rauten in Schwarz und Weiß auf rotem Grund. Dazu kommen drei Siebdrucke. Zusammen verweisen sie auf das Œuvre von Hermann Glöckner, geboren 1889. Er gehörte nach dem Ersten Weltkrieg der Dresdner Sezession Gruppe 1919 an und nach dem Zweiten Weltkrieg der nur drei Jahre bestehenden Gruppe Der Ruf. Diese Künstler:innen orientierten sich stark an der klassischen Moderne und wurden Ende der 1940er Jahre zur Zielscheibe der SED-Kampagne gegen die Abstraktion.
Von Alexander Müller-Jontschewa ist in Jena das 1985 entstandene großflächige Werk „Der Turm“ zu sehen. Die knapp sechzig Jahre nach Glöckner geborene Künstlerin stammte aus Bulgarien. Vor zwei Jahren widmete ihr das Panorama-Museum Bad Frankenhausen zu ihrem 75. Geburtstag eine große Retrospektive. Ab 1967 studierte sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort kam sie mit jener Strömung der Malerei in Kontakt, die heute als „Leipziger Schule“ bekannt ist und wurde eine herausragende Vertreterin deren zweiter Generation.
Die Zurückhaltung der Ausstellungsmacher:innen in Begleittexten zur Ausstellung ist nachvollziehbar. Vielleicht wollten sie damit auch unnötige Kontroversen vermeiden. Doch weniger ist nicht immer mehr. Manchmal sogar zu wenig.
Insbesondere bei diesem detailreichen und in seinen verwendeten Motiven erläuterungsbedürftigen Werk wäre, quasi als Sehhilfe für die Betrachtenden, eine begleitende Kommentierung des Bildes ebenso wünschens- wie lohnenswert.
Kurt Hanfs „Held der Arbeit“, ganz im Stil des sozialistischen Realismus, im Blaumann mit Schürze und Handschuhen scheint unmittelbar dem Stahlwerk Unterwellenborn entsprungen. Der sozialistische Aktivist wird kontrastiert durch Horst Sakulowskis vermutlich mehr als 20 Jahre später entstandenes „Porträt nach Dienst“ (1976). Das Bild zeigt eine Frau, die vor Erschöpfung im Sessel eingeschlafen ist. Aus einer Tasche am Boden ragt ein Stethoskop, das sie als Ärztin erkennen lässt. Der sie umgebende Raum löst sich in Nebelschwaden auf, während schemenhafte Telefone den Arbeitsstress symbolisieren. Auch diese Frau engagiert sich, doch ist die Bildsprache von Sakulowski, ebenfalls Absolvent der HGB Leipzig, ein kritischer Realismus, der sich heroistischer Bildsprache entzieht.
Diese stummen Dialoge, die crossover stattfinden, benötigen wiederum keine Erläuterung, sondern nicht mehr als ein offenes Auge und die Bereitschaft, Klischees über die Kunst und die Lebensrealitäten in der DDR in Frage zu stellen. Für viele Besucher:innen sind bestimmte Themen der ausgestellten Grafikmappen nicht mehr selbsterklärend. Das gilt besonders für Nachgeborene oder Menschen, die nicht in der DDR aufgewachsen sind. Selbst Begriffe wie das „Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend“ sind kaum noch bekannt. Daran ändert auch der Standort Jena im Gebiet der früheren DDR nichts. Hier tut Erläuterung und etwas mehr Aufwand für die historisch-politische Bildung not.
Die Kunstsammlung Jena erhielt in diesem Frühjahr einen Teilnachlass des Sammler-Ehepaares Christel und Hartwig Prange. Werke aus diesem Nachlass der Sammlung Prange sind in der Jenaer Ausstellung zu sehen. Das Ehepaar betrieb in den 1980er Jahren eine private Galerie im örtlichen Club des DDR-Kulturbundes, in der über 30 Ausstellungen zeitgenössischer Künstler:innen stattfanden. Es lag nahe, dass der Veterinär und die Textilkünstlerin nach der Friedlichen Revolution an der Wiedergründung des Jenaer Kunstvereins beteiligt waren. Der glückliche Umstand dieser Schenkung erweitert nicht nur künstlerisch die gegenwärtige Ausstellung, sondern verweist zudem auf die keineswegs einfache Rolle privater Galerien und Sammler:innen in der DDR. Sie kommen in der Reflektion über Kunst der DDR trotz der exzellenten Forschungsarbeit von Yvonne Fiedler über private Galerien in der DDR „zwischen Autonomie und Illegalität“, die bereits 2012 beim Ch. Links-Verlag erschienen ist, weiterhin zu selten vor.
Umso bedeutsamer sind Ehrungen, wie sie vor einiger Zeit dem Ehepaar Anita (inzwischen verstorben) und Günter Lichtenstein aus dem ostthüringischen Göpfersdorf zuteilwurde. Sie erhielten das Bundesverdienstkreuz für ihre im mitteldeutschen Raum beispiellose Sammlung insbesondere ostdeutscher Künstler:innen. Seit den 1950er Jahren sammelte das Paar Malerei und Grafik und macht Kunst und Künstler:innen durch Ausstellungen öffentlich.
Zu wünschen bleibt, dass die Kunstsammlung Jena im Zuge der Neuerfassung ihres DDR-bezogenen Sammlungsbestandes weitere Ausstellungsideen kreiert und damit zur fortdauernden Wahrnehmung von und Auseinandersetzung mit der stilistischen und inhaltlichen Vielfalt der Künstler:innen aus der DDR beiträgt.
SO VIEL SILBER IM GRAU. Kunst aus der DDR - 23. August 2025 – 16. November 2025. Kunstsammlung Jena, Markt 7, 07743 Jena. Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr, Montag geschlossen