Netanjahus Verrat am Zionismus
"Nicht der Zionismus und die Existenz eines jüdischen Staates sind zu verurteilen, sondern der Verrat dieser Regierung am Zionismus im Namen des Zionismus"
Im gestrigen Feuilleton der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte der Historiker Prof. Dr. Michael Brenner einen Gastbeitrag unter dem Titel: Die Zerstörung des Zionismus. Brenner, der bereits 2019 im Verlag C.H.Beck eine mit 128 Seiten knappe und sehr lesenswerte "Geschichte des Zionismus" veröffentlichte, erneuert in der Süddeutschen Zeitung seine Überzeugung:
"Theodor Herzl, David Ben Gurion und selbst der Vordenker der rechten Likud-Partei Vladimir Zeev Jabotinsky träumten von einem säkularen Land, in dem Araber gleiche Rechte haben. Die israelische Regierung unter Netanjahu verrät diese Visionen."
Den religiös orthodoxen und politisch liberalen Philosoph Yeshayahu Leibowitz zitiert Brenner mit dem bekannten Ausspruch: „Wir haben den Sechs-Tage-Krieg am siebten Tag verloren.“ Und der Historiker betont:
"Die aus rechten und religiösen Parteien gebildete Regierung Netanjahus hat sich von den elementaren Prinzipien verabschiedet, die einst den Zionismus aller politischen Strömungen geeint haben. [...] Die Hunderttausenden Menschen, die unlängst wieder in Tel Aviv und anderen Städten auf die Straßen gingen, um die Freilassung der während des furchtbaren Massakers vom 7. Oktober 2023 entführten Geiseln sowie ein Ende des Krieges und ein demokratisches Israel zu fordern, zeigen der Welt, dass die Idee eines Zionismus noch lebt, der für Ausgleich, Gerechtigkeit und Koexistenz der Völker steht. Sie rufen uns zu: Nicht der Zionismus und die Existenz eines jüdischen Staates sind zu verurteilen, sondern der Verrat dieser Regierung am Zionismus im Namen des Zionismus."
Aus meiner Sicht sollte Michael Brenners Beitrag exakt für diese Position die Grundlage der gegenwärtigen Debatten über den Umgang mit unseren Partnerinnen und Partnern in Israel sein. Das Gegenteil davon praktizierten u.a. die SPD-nahe und auf eine ebenso lange wie verdienstvolle Geschichte zurückblickende Jugendorganisation SJD Die Falken, als sie den Ausschluss der israelischen Organisationen Hashomer Hatzair und No’al aus dem internationalen Falken-Dachverband nicht verhinderten. Die Autorin Erica Zingher erinnerte in der taz vor drei Tagen daran:
"Viele [der] Mitglieder [von Hashomer Hatzair] kämpften im Untergrund gegen die Nationalsozialisten. Erst 2012 wurde Hashomer in Deutschland wiedergegründet, als Zeichen, dass jüdisches linkes Leben hier wieder Platz hat."
Zutreffend hält Erica Zingher fest, dass jüdische Gruppen offenbar nur dazugehören sollen, wenn sie sich brav antizionistisch verhalten. Doch mit internationaler Solidarität hat das nichts zu tun. Sie stellt deshalb die rhetorische Frage:
"Was bleibt von einem Internationalismus, wenn er jüdische Jugendbewegungen hinauswirft, die seit Jahrzehnten für eine gerechtere Welt kämpfen?"
Nicht viel, weshalb sich der Kreis zu Michael Brenners aufklärerischer Position zum Zionismus und dem Verrat an der Idee durch Netanjahus Rechtskoalition schließt.