Spalten statt zu versöhnen
Wenn bayerische Ministerpräsidenten billigen Beifall bekommen wollen, muss der Länderfinanzausgleich als Prügelknabe herhalten. Das war bereits unter Stoiber und Seehofer der Fall.
Diesmal droht Markus Söder - just like populistische Argumentation - mit dem Austritt Bayern aus dem Länderfinanzausgleich. Es ist das Gegenteil dessen, was der frühere Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und spätere Bundespräsident Johannes Rau als „versöhnen statt spalten“ bezeichnete.
Halten wir zunächst fest: Ein einseitiger Austritt aus dem Länderfinanzausgleich durch ein Bundesland ist juristisch nicht möglich. Der Länderfinanzausgleich ist im Grundgesetz (Art. 107 GG) verankert und kann nur durch Gesetzgebung mit einer qualifizierten Mehrheit von Bundestag und Bundesrat geändert oder beendet werden. Ein Bundesland kann also nicht eigenmächtig oder unilateral aus dem System aussteigen.
Bereits mehrfach gab es Klagen einzelner Bundesländer, darunter Bayern, vor dem Bundesverfassungsgericht, die sich gegen bestimmte Ausgestaltung oder Höhe der Zahlungen richteten, aber diese Klagen können das System selbst nicht einseitig aufheben. Der Weg ginge ausschließlich über die Änderung des Grundgesetzes.
Der Länderfinanzausgleich wurde zuletzt im Jahr 2020 reformiert, denn der klassische Länderfinanzausgleich war nur bis Ende 2019 befristet, u.a. aufgrund anhaltender Kritik besonders der Geberländer (v.a. Bayern), die sich über zu hohe Belastungen beklagten.
Nach langen Verhandlungen wurde die Systematik überarbeitet: Der direkte „Länderfinanzausgleich“ wurde abgeschafft und die Ausgleichsmechanik in den vertikalen Steuerverteilungsschlüssel integriert.
Der neue Finanzkraftausgleich soll die Finanzkraftunterschiede zwischen den Bundesländern verringern und überall gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen. Neben finanziellen Aspekten spielte auch der Wunsch nach mehr Transparenz und einfacheren Strukturen eine Rolle.
Während früher finanzstarke Länder wie Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen direkt sogenannte „Geberländer“ waren, werden die Ausgleichszahlungen seit 2020 ausschließlich über die Anteile an der Umsatzsteuer geregelt. Das heißt: Der Bund verteilt die eingenommene Umsatzsteuer unter den Ländern, indem er Zu- und Abschläge vornimmt – je nach Finanzkraft des jeweiligen Landes. Die Finanzkraft der einzelnen Länder wird, inklusive 75% des kommunalen Steueraufkommens, je Einwohner berechnet. Länder mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft erhalten Zuschläge zum Umsatzsteueranteil, Länder mit überdurchschnittlicher Finanzkraft Abschläge.
Ergänzend dazu gibt es direkte Zahlungen vom Bund an besonders finanzschwache Länder, um spezielle Bedarfslagen abzufedern (z.B. wegen struktureller Probleme oder geringerer Einnahmen auf kommunaler Ebene).
Finanzschwache Länder erhalten weiterhin, teilweise sogar umfangreicher, direkte Zahlungen vom Bund, um ihren Finanzbedarf zu decken. Ab 2020 werden Fehlbeträge bis fast zum Länderdurchschnitt (99,75 %) zu 80 % ausgeglichen. Das führt dazu, dass diese Länder fiskalisch meist nahe am Durchschnitt liegen und ihre finanzielle Situation spürbar aufgewertet wird. Nach Ausgleichszahlungen liegt die Finanzkraft der Länder – gemessen am Durchschnitt – enger beisammen (rund 98 % bis 108 %). Dadurch profitieren vor allem ostdeutsche Länder, Bremen und Berlin besonders; sie überschreiten ihren bisherigen Durchschnittswert zum Teil deutlich.
Das hohe Niveau des Ausgleichs bewirkt allerdings, dass finanzschwache Länder bei einer Verbesserung ihrer Wirtschaftslage (z.B. mehr Steuereinnahmen) einen Großteil zusätzlicher Einnahmen wieder abgeben müssen. Die Grenzbelastung kann für Empfängerländer 117 % erreichen.
Kritisch wird deshalb angemerkt, dass ein Zuwachs nutzlos wird und kaum Anreize für eigene Konsolidierung oder Wachstum bestehen würden.
Dem wird die Balance von Eigenverantwortlichkeit und Unterstützung entgegengesetzt: Der Finanzkraftausgleich wurde so gestaltet, dass eine ausgewogene Balance zwischen der Eigenverantwortlichkeit der Länder und der Unterstützung finanzschwacher Länder besteht. Damit erhalten diese Länder Hilfen, die ihnen die Möglichkeit bieten, eine Mindestfinanzausstattung zu sichern, während sie dennoch Anreize haben, ihre Wirtschaftskraft zu verbessern.
Der Ausgleich trägt zur Stabilisierung des Bundesstaates bei, indem er finanziell schwächere Länder unterstützt, wodurch das gesamte föderale System gestärkt wird. Dies wird als wichtiger Erfolgsfaktor für die gesamtdeutsche Solidarität gesehen.
Durch die Einführung eines linearen Ausgleichstarifs (zum Beispiel Abgaben von 63% der überdurchschnittlichen Finanzkraft statt progressiver Tarife) sollen Verzerrungen gemildert und die Anreizwirkungen für finanzstarke und finanzschwache Länder verbessert werden, was indirekt auch Konsolidierungsanreize verbessert.
Sowohl Bund als auch Länder haben ein gemeinsames Interesse daran, die Unterschiede in der Finanzkraft zu verringern, da größere Ungleichheiten zu höheren Belastungen für alle führen. Dieses gemeinsame Interesse kann Konsolidierungsanreize stärken.
Gleichwohl ist zutreffend: Bayern bleibt das mit Abstand größte Geberland, obwohl die Systematik formal geändert wurde. Die Belastung für Bayern ist weiterhin ausgesprochen hoch, sogar steigend: Im Rekordjahr 2025 überwies Bayern rund 6,67 Mrd.€ im ersten Halbjahr – mehr als die Hälfte des gesamten Ausgleichsvolumens.
Doch ist dies ein hinreichender Grund für Markus Söder, die Lunte an die gleichwertigen Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet zu legen? Natürlich nicht!
Deshalb hier acht Argumente gegen die Ankündigung Bayerns, in fünf Jahren nicht mehr in den Länderfinanzausgleich einzahlen zu wollen:
1. Infragestellung der föderalen Solidarität Der Länderfinanzausgleich ist ein zentrales Element des deutschen Föderalismus und dient dazu, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen herzustellen. Die offene Drohung mit dem Ausstieg schürt Ressentiments gegenüber anderen Bundesländern und stellt das Solidarprinzip grundsätzlich in Frage.
2. Kurzfristig politischer Nutzen statt nachhaltiger Lösung Die Forderung nutzt vor allem in Wahlkampfzeiten, um sich als starker Interessenvertreter der eigenen Region zu profilieren. Statt einer konstruktiven bundesweiten Debatte wird ein polarisierendes Thema für kurzfristige politische Effekte instrumentalisiert.
3. Vernachlässigung früherer eigenen Profite Bayern war bis in die 1980er-Jahre selbst lange Empfänger statt Geber im Länderfinanzausgleich. Das wird ausgeblendet, wenn heute einseitig die eigene Belastung betont und Empfängerländer diffamiert werden.
4. Irreführung durch selektive Zahlen und Zuspitzung Die Belastung Bayerns wird häufig durch absolute Rekordzahlen oder plakative Begriffe („unverschämte Höchstlagen“) emotionalisiert, ohne die relative Wirtschaftskraft oder steuerliche Rückflüsse komplex zu erklären.
5. Verschleierung von tatsächlichen Effekten Ökonomische Analysen zeigen, dass Bayern in Bezug auf Steueraufkommen und wirtschaftliche Vorteile oft besser abschneidet, als es die Zahlungen im Ausgleich alleine vermuten lassen. Teilweise werden Vorteile durch den Finanzausgleich überkompensiert dargestellt.
6. Vorschnelle Drohung statt Dialogbereitschaft Die harte und scheinbar ultimative Drohung („definitiv gekündigt“, „machen wir nicht mehr mit“) nimmt einer sachlichen, partnerschaftlichen Verhandlungsposition die Grundlage und klingt nach Maximalforderung.
7. Gefahr für Einheit in der föderalen Vielfalt Derartige Drohungen schüren ein Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle und fördern die Spaltung zwischen „Geber- und Nehmerländern“, was dem Bundesgedanken widerspricht.
8. Ignorieren juristischer und verfassungsrechtlicher Hürden Einseitig aus dem System auszusteigen wäre rechtlich kaum möglich. Die populistische Inszenierung ignoriert diese verfassungsgemäßen Grundlagen bewusst und suggeriert einfache Lösungen, wo komplexe Prozesse nötig sind.
Zusammengefasst: Der solidarische Föderalismus ist als Staatsstrukturprinzip im Grundgesetz verankert (Art. 20 GG) und sichert damit die Einheit des Bundesstaates Deutschland. Das solidarische Umverteilungssystem trägt wesentlich dazu bei, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu schaffen und zu erhalten. Ein Austritt Bayerns würde diesem solidarischen Prinzip, das die Stabilität und das Zusammenwirken aller Länder sichert, fundamental widersprechen. Solidarität zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern dient dem gesamtstaatlichen Zusammenhalt. Durch gegenseitige Hilfe wird verhindert, dass es zu starken regionalen Ungleichheiten und sozialen Spannungen kommt.
Der Föderalismus verteilt Macht, schützt Minderheiten und erhält Vielfalt sowie Einheit zugleich. Solidarität ist seine soziale Komponente.
Vor diesem Hintergrund sollte Markus Söder genau überlegen, ob er in den gegenwärtigen Zeiten populistisch spalten oder verantwortungsvoll Zusammenhalt fördern will.