Konkrete Solidarität statt Inszenierung
Der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU), wird in der heutigen Ausgabe des Tagesspiegel mit den Worten zitiert: „Die israelische Fahne wird so lange am Roten Rathaus hängen, bis die letzte Geisel frei ist – und daran wird sich nichts ändern“. Laut Tagesspiegel gelte Wegners „Mitgefühl den zivilen Opfern auf beiden Seiten: Den unschuldigen Menschen in Israel, die Opfer eines beispiellosen Terrorangriffs am 7. Oktober 2023 geworden seien, aber ebenso der leidenden Zivilbevölkerung in Gaza, die von der islamistischen Hamas bewusst in diesen Konflikt hineingezogen worden sei.
Unabhängig davon, dass ich mir einen Politikwechsel für die Bundeshauptstadt wünsche, in der die seit Jahren bestehende rechnerische progressive Mehrheit, auch wieder praktisch wirksam für die Memschen dieser Stadt wird, stimme ich Kai Wegner bei seiner Aussage zu.
Und widerspreche deutlich der Linksfraktion in der lokalen Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte, die das kommunale Bezirksamt per Antrag - über den heute alle Berliner Zeitungen ausführlich berichten - aufforderte, sich gegenüber dem Senat von Berlin dafür einzusetzen, die vor dem Rathaus gehisste Fahne des Staates Israel abzuhängen, die dort nach dem Terroranschlag der Hamas in Solidarität mit den israelischen Opfern, egal welcher Herkunft oder welchen Glaubens, aufgezogen worden war.
Die Flagge sei, so die Linksfraktion in Berlin-Mitte, ein „belastendes Symbol der aktuellen Kriegsführung“ für palästinensische Berlinerinnen und Berliner. Diese Feststellung will ich ich nicht bewerten, weil ich weder für noch gegen die Aussage evidenzbasierte Belege habe. Ich nehme jedoch an, dass für die in Berlin lebenden Israelinnen und Israelis und für Jüdinnen und Juden der Stadt, sowohl die Berichterstattung über den Antrag der lokalen Linksfraktion als auch eine infolgedessen abgehängte Fahne ebenso eine Belastung wäre. Und zwar unabhängig, wie sie zur israelischen Regierung und deren Besatzungs- und Siedlungspolitik, enthemmter Kriegsführung in Gaza und Vertreibungsplänen gegenüber der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung stehen.
Eine Linke, wie ich sie verstehe und für die ich stehe, differenziert nicht zwischen Opfern 1. und 2. Klasse.
Sie ist solidarisch an der Seite der Menschen. Deren konkreten Lebensverhältnisse hat sie im Blick und deren humanitäre, friedliche Verbesserung für ein Leben in Sicherheit und Demokratie will Die Linke erreichen.
In diesem Sinne steht das Existenzrecht Israels für Linke ebenso außer Frage, wie die unbedingte Notwendigkeit einer friedlichen, demokratischen und sicheren Heimstatt der Palästinenser:innen, wofür es jenseits einer föderalen oder Zweistaatenlösung bislang keine überzeugende Möglichkeit gibt.
Die Linke - egal ob in Berlin-Mitte, Wanne-Eickel, Chemnitz oder Kaufbeuren - sollte sich an der Fetischisierung von Flaggen nicht beteiligen. Das senkt keine Miete und ist die Musik der Rechten und Konservativen. Auf dieser Tanzfläche haben Linke nicht zu suchen. Ein Blick nach Sachsen-Anhalt oder Thüringen und die dort von AfD und Union betriebenen Symbolpolitik um Flaggen, die von konkreten Problemen ablenken soll, reicht aus.
Die Linke, für die ich mich einsetze, sagt sehr deutlich: Die terroristische Hamas verübte einen Massenmord am 7. Oktober. Sie hält bis heute Geisel gefangen und benutzt die palästinensische Bevölkerung als menschliche Schutzschilde für ihre Ziele der Vernichtung des Staates Israel, der eliminatorischen Auslöschung der Jüdinnen und Juden und die Errichtung eines autoritären Regimes. Ihr Aufstieg war auch eine Folge der Selbstdemontage der korrupten palästinensischen Selbstverwaltung.
Und sie verschweigt ebensowenig: Die rechte Regierung Netanjahus hat es faktisch aufgegeben, das Leben der Geiseln zu retten, und behandelt, wie Navid Kermani und Natan Sznaider bereits am 28. April 2025 in der Süddeutschen Zeitung in einem Gastbeitrag formulierten, die verzweifelten Angehörigen sogar als Störfaktor, weil sie daran erinnerten, dass die militärische Vernichtung der Hamas und die Befreiung der Geiseln nicht gleichzeitig zu erreichen seien.
Darüber hinaus betreibt die israelische Regierung systematisch die Zerstörung des verbleibenden palästinensischen Elends, die Vertreibung der Bevölkerung aus Gaza und deren jüdische Besiedlung.
Diese Politik werde durch den Stopp humanitärer Hilfen, offene Kriegsverbrechen und Pläne zur ethnischen Säuberung vorangetrieben, die in Washington diskutiert, in Tel Aviv als Regierungspolitik formuliert und von der Armee in Gaza bereits umgesetzt würden.
Für diese Politik gibt es, da stimme ich Kermani/Sznaider zu, keine moralische oder strategische Rechtfertigung, zumindest nicht, wenn man an einer lebenswerten Zukunft Israels interessiert sei. Vielmehr zerstört die Regierung Netanjahu all das, was den jüdischen Staat nach dem Holocaust ausgemacht hat: Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Demokratie und Weltoffenheit. Kritische Stimmen werden pauschal als antisemitisch diffamiert, während sich die Regierung gleichzeitig mit internationalen Rechtsextremen auf der in Jerusalem durchgeführten Antisemitismus-Konferenz verbündet.
Wenn Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner im Tagesspiegel pauschal Die Linke auffordert, sich mit „ihrer verstörenden – und längst nicht mehr unklaren – Haltung zum Antisemitismus auseinandersetzen“, sollten er, ebenso wie der im im Checkpoint-Newsletter undifferenziert empörte Tagesspiegel zur Kenntnis nehmen, was die selbe Zeitung in ihrer eigenen Berichterstattung ausführt: Die lokale Linksfraktion in Berlin-Mitte setzt sich in ihrem Antrag sowohl unmissverständlich für den Schutz jüdischer Einrichtungen und jüdischen Lebens im Bezirk ein, als auch berechtigt dafür, Palästinenser:innen vor „Diskriminierung, Repression und Rassismus“ zu schützen und die „pauschale Kriminalisierung palästina-solidarischer Proteste“ zu beenden, die gegen „Krieg und Besatzung“ demonstrieren.
Festzuhalten ist letztlich aber auch: Die Linke im Bezirksverband Mitte, die notorisch Anträge wie den hier in Rede stehenden im Kommunalparlament oder auf Parteitagen der Linken auf Landesebene und auf Bundesebene einbringt, weiß sehr genau, welche Öffentlichkeitspauke sie damit schlägt. Berichterstattung und Aufmerksamkeit in den Sozialen Netzwerken sind garantiert. Geholfen wird den Geiseln, Opfern und Angehörigen damit nicht.
Mein Verständnis einer Solidaritätsarbeit, bei der die konkrete Verbesserung des Lebens der Menschen in Israel und Palästina in Frieden und Sicherheit, im Zentrum steht, braucht solche symbolische Clickbait-Inszenierung nicht. Sie instrumentalisiert nicht die traumatischen Erfahrungen der in Berlin lebenden palästinensischen, israelischen oder jüdischen Menschen für politische Inszenierung.