Stabiles Vertrauen, brüchiger Diskurs: Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2024
Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2024 beleuchtet, wie sich Vertrauen und Misstrauen gegenüber Medien in Deutschland in einem Jahr außergewöhnlicher geopolitischer und innenpolitischer Umbrüche entwickelt haben. Die Autor:innen untersuchten, wie politische Dynamiken, gesellschaftliche Spannungen und mediale Veränderungen das Vertrauen in etablierte Medien beeinflussten – und kamen zu differenzierten Ergebnissen.
Das Jahr 2024 war geprägt von tiefgreifenden politischen Veränderungen: international durch die Fortsetzung des Ukrainekriegs und den eskalierenden Gazakrieg, national durch das Ende der Ampel-Koalition und Neuwahlen. Auch Trumps Wiederwahl in den USA und Elon Musks Unterstützung für die AfD prägten den öffentlichen Diskurs. Solche Ereignisse machten die Frage nach Medienvertrauen besonders relevant, weil mediale Deutungen gesellschaftlicher Konflikte in solchen Zeiten umkämpft sind.
Die Studie stellt fest: Trotz dieser Umbrüche blieb das Medienvertrauen insgesamt stabil. Öffentlich-rechtliche Sender wurden weiterhin als vertrauenswürdigste Mediengattung wahrgenommen, obwohl sie den niedrigsten Wert seit Beginn der Langzeitstudie erreichten. Medienzynische Einstellungen – also generelles Misstrauen gegenüber der Integrität des Mediensystems – nahmen seit 2020 leicht zu. Gleichzeitig wuchs die Wahrnehmung, dass der öffentliche Diskurs stark verroht sei, was mit einem sinkenden Vertrauen in Medien und Politik korrelierte.
Die Autor:innen, Nayla Fawzi, Marc Ziegele, Tanjev Schultz, Nikolaus Jackob, Ilka Jakobs, Christina Viehmann, Oliver Quiring, Christian Schemer und Daniel Stegmann von den Universitäten Mainz und Düsseldorf sowie dem GeSiS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, argumentieren, dass Medienvertrauen nicht isoliert betrachtet werden darf: Es ist eng mit politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Polarisierungen verbunden. Populistische Akteure wie die AfD oder Donald Trump nutzten gezielt Medienkritik, um sich als Alternative zu präsentieren und etablierte Medien zu delegitimieren. Diese Dynamik habe das Potenzial, bestehende gesellschaftliche Spannungen weiter zu verschärfen.
Blickt man zurück, zeigt sich: Schon vor zehn Jahren war von einer „Vertrauenskrise“ der Medien die Rede – empirisch ließ sich diese aber nicht nachweisen. Auch während der Covid-19-Pandemie stieg das Vertrauen in Medien kurzfristig an und kehrte danach auf das Vorniveau zurück. Die Autor:innen betonen, dass die Gruppe der Medienkritiker:innen zwar lautstark, aber zahlenmäßig stabil blieb. Gleichzeitig habe sich der Ton der Medienkritik verschärft, was die öffentliche Wahrnehmung beeinflusse.
Methodisch beruht die Studie auf einer repräsentativen Telefonumfrage mit 1.203 Teilnehmer:innen ab 18 Jahren, durchgeführt zwischen November und Dezember 2024. Neben Fragen zum allgemeinen Medienvertrauen wurden auch Aspekte wie Mediennutzung, Kritik, politische Einstellungen und erstmals die wahrgenommene Verrohung des öffentlichen Diskurses erhoben.
In den Ergebnissen zeigt sich: 47 % der Befragten vertrauen den Medien bei wichtigen Themen wie Umwelt, Gesundheit oder Politik – ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr, aber immer noch unter den Höchstwerten der Pandemiezeit. Das Misstrauen sank auf 20 %. Besonders junge Menschen, Menschen mit höherer Bildung und Sympathisant:innen von Grünen, Linken und SPD vertrauen den Medien überdurchschnittlich stark, während AfD- und BSW-Anhänger:innen besonders skeptisch sind.
Im Vergleich mit anderen Institutionen liegen Medien im Mittelfeld: Mehr Vertrauen genießen Wissenschaft (72 %) und Justiz (63 %), weniger Vertrauen erfahren Politik (19 %) und Kirchen (14 %). Bei den Mediengattungen bleibt der öffentlich-rechtliche Rundfunk Spitzenreiter, verliert jedoch an Zustimmung. Private Rundfunkanbieter und Boulevardmedien erreichen sehr niedrige Vertrauenswerte. Soziale Netzwerke gelten als besonders wenig vertrauenswürdig, was wohl mit Debatten über Desinformation und KI zusammenhängt.
Ein neuer Aspekt der Studie war die differenzierte Betrachtung sogenannter Alternativmedien. Linke Angebote wie Nachdenkseiten oder Jungleworld genießen mehr teilweises Vertrauen (19 %) als rechte Angebote wie Reitschuster oder Tichys Einblick (7 %). Besonders kritisch bewerten die Deutschen die Berichterstattung zum Gazakrieg (27 % Vertrauen), während Ukrainekrieg (40 %) und Klimawandel (45 %) deutlich höhere Vertrauenswerte erreichen.
Ein Drittel der Befragten fühlt sich von den Medien nicht ausreichend repräsentiert, insbesondere Menschen mit niedriger oder mittlerer Bildung, hoher Zukunftsangst und Sympathien für Parteien am linken oder rechten Rand. Die Autor:innen betonen hier, dass etablierte Medien prüfen sollten, wie sie mehr thematische und lebensweltliche Vielfalt abbilden können, ohne extremistische Narrative zu verstärken.
Besorgniserregend ist der Anstieg medienzynischer Einstellungen: Aussagen wie „Die Medien untergraben die Meinungsfreiheit“ oder „Die Bevölkerung wird systematisch belogen“ finden mehr Zustimmung als noch vor zwei Jahren. Auch wenn sich dies bislang nicht in einem allgemeinen Vertrauensverlust niederschlägt, warnen die Autor:innen, dass ein langfristiger Anstieg des Zynismus das Vertrauen schwächen könnte.
Ein besonders zentraler Befund betrifft die Wahrnehmung der Verrohung des öffentlichen Diskurses: Mehr als die Hälfte der Deutschen nimmt wahr, dass in öffentlichen Debatten zunehmend normverletzend kommuniziert wird – etwa durch Sturheit, Unterbrechungen, absichtliches Verschweigen wichtiger Fakten oder Beleidigungen. Diese Wahrnehmung geht empirisch mit einem geringeren Vertrauen in Medien und Politik sowie einem höheren Medienzynismus einher.
Im Fazit betonen die Autor:innen, dass Deutschland – anders als Länder wie die USA oder Frankreich – bislang keine generelle Medienvertrauenskrise erlebt. Die Herausforderungen für den Journalismus liegen weniger im Vertrauensverlust als in einer Reichweiten- und ökonomischen Wertschätzungskrise, verstärkt durch wachsende Konkurrenz nicht-journalistischer Inhalte. Zugleich warnen sie vor den Folgen zunehmender Polarisierung, Zynismus und Diskursverrohung. Der Journalismus müsse hier gegensteuern: durch transparente Arbeitsweise, Medienbildung und eine kluge Differenzierung zwischen konstruktiver Kritik und politisch motivierten Delegitimierungsversuchen.