15.05.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Interview aus dem Podcast »Kunst der Freiheit«

»Fahrenheit 451« und Literaturnetzwerke der Neuen Rechten

Grafik von der Webseite: https://www.neue-rechte-altes-denken.de/

Vor einigen Jahren sorgten rechte Verlage auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main für große Aufmerksamkeit und Erregung. Einer der bekanntesten neurechten Verleger ist Götz Kubitschek. Er gilt als Ideologischer Ankerpunkt für den AfD-Rechtsextremisten Björn Höcke aber auch für die sogenannte Identitäre Bewegung.

Literaturpolitische Aktivitäten der deutschsprachigen Neuen Rechten haben ein neues Niveau erreicht sagt Prof. Dr. Torsten Hoffmann von der Universität Stuttgart. Literaturpolitik ist kein politischer Nebenschauplatz, sondern eines der wichtigsten Aktionsfelder der neurechten Thinktanks, so der Leiter des Forschungsprojekts »Neurechte Literaturpolitik« im Rahmen des von der Universität Stuttgart geförderten Projekts »Wehrhafte Demokratie. Demokratische Gesellschaft und totalitäre Herausforderung«. Darüber sprach ich mit ihm in der Sendung vom 14. Mai 2025 des Podcasts Kunst der Freiheit.

BIHoff: Neben dem Buch »1984« von George Orwell gehören Film bzw. Buch »Fahrenheit 451« zu den Klassikern der Kritik an Diktaturen und der Einschränkung von Meinungsfreiheit. Fahrenheit 451 beschreibt dabei die Temperatur, bei der in dieser dystopischen Erzählung Bücher verbrannt werden, weil durch das Verbot von Büchern das eigenständige Denken unterdrückt werden soll. 

Die neurechte Bewegung hat sich diese Erzählung »Fahrenheit 451« inzwischen angeeignet, hat sie neu geframed und auf ihren Schild gehoben. Welche Motivation steckt dahinter, ein solches diktaturkritisches Buch zum Symbol zu erheben?

Prof. Hoffmann: Die Motivation sich mit diesem Buch »Fahrenheit 451« zu beschäftigen, ist relativ vielfältig. Zum einen geht es darum, dass sich die Neue Rechte ganz grundsätzlich als Lesebewegung inszenieren will. Die Neue Rechte bemüht sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus. Und da spielt das Lesen der Umgang mit Büchern eine Riesenrolle. Dieses Buch eignet sich dafür besonders, weil eben das Lesen verboten werden soll in diesem Staat, der da beschrieben ist und diese Situation überträgt die Neue Rechte auf die bundesrepublikanische Gegenwart.

Denn die Neue Rechte will sich, zweitens, selbst als Opfer eines vermeintlichen Redeverbots inszenieren. Und das ist eben sinnvoll für sie oder produktiv. Weil sie sich dann als Verteidigerin der Freiheit als Widerstandsbewegung inszenieren kann und das ist für die Neue Rechte, das ist für die neurechten Narrative ganz zentral. Insofern wollen diese Gruppen und Personen mittlerweile auch an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus anschließen, interessieren sie sich für die Widerstandsgruppe »Weiße Rose«, für das Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 und so weiter. Weil sich diese Akteure selbst als widerständig inszenieren wollen.

Und drittens geht es auch letztlich um einen Kampf um diese dystopischen Texte. Sie haben es angesprochen, Herr Hoff, auch »1984« von Orwell, oder »Brave New World« von Arthur Huxley sind solche Beispiele. Indem man sich mit den Opfern dieser Texte identifiziert, kann man, so das neurechte Kalkül, auch die gegenwärtige Demokratie ganz grundsätzlich diskreditieren. Auf diesem Wege wird dann das lanciert, was beispielsweise der österreichische Rechtsextremist der dortigen sogenannten Identitären Bewegung, Martin Sellner, in seinen Büchern immer wieder schreibt: dass wir es in Deutschland mit einem sanften Totalitarismus, mit einer Demokratiesimulation zu tun hätten. Dies zusammengenommen spielt für diese, ja, Aneignung des Buchs 'Fahrenheit 451' eine Rolle.

Die Neue Rechte gründete bereits 2023 eine sogenannte »Aktion 451« gegründet, bei der es – im Anklang an dieses Buch – darum geht, an Universitätsstädten Lesekreise zu gründen, um den Diskurs an den Unis zu verschieben und zu kapern. Götz Kubitschek, den Sie schon erwähnten, spricht ganz explizit davon, dass es darum geht, ideologisch neutrale oder tendenziell für links gehaltene Romane zu kapern für die Zwecke der Neuen Rechten. Das ist ein Verfahren, das wir insgesamt beobachten können, dass von dieser Seite versucht wird, Texte, Person, Diskurse nach rechts zu verschieben, sich anzueignen und eben für die eigene Sache fruchtbar zu machen.

BIHoff: Vor einigen Jahren sorgten die rechten Verlage auf den Buchmessen noch für große Aufregung. Bei der diesjährigen Frühlingsbuchmesse in Leipzig war faktisch kein bekannter rechter Verlag mehr vertreten. Die Hoffnung, dass sich das Problem damit erledigt hätte, ist nach Ihrer Forschung gegenstandslos. Vielmehr hat sich das Handlungsfeld der neurechten Literaturpolitik inzwischen verschoben und das mit Erfolg. Bitte erzählen sie uns mehr dazu.

Prof. Hoffmann: Man kann beobachten, dass sich die Strategie der Neuen Rechten in den letzten Jahren verschoben hat. In den Jahren 2017/2018 ist es gelungen, mit Aktionen speziell auf der Frankfurter Buchmesse Aufmerksamkeit zu erzeugen. Überhaupt diese rechten Verlage bekannt zu machen. Die Berichterstattung war sehr darauf konzentriert. Dann hat man irgendwie gemerkt, dass diese großen Publikumsmessen in Frankfurt und Leipzig sich nicht mehr so eignen, auch weil die Messen ein bisschen ihre Strategie umgestellt haben. Es war nie verboten, dass die rechten Verlage da auftreten, aber es wurde ein bisschen darauf geachtet, wie die sich da inszenieren können, so dass das nicht mehr so attraktiv war und man kleine alternative Buchmessen organisiert hat. Das waren im Übrigen oft AfD Politikerinnen, die das initiiert haben und dann gab es Treffen, wo diese neurechten Verlage ihre Sachen ausgestellt haben. Das waren aber bisher eigentlich immer kleinere Veranstaltungen, die mehr die eigene Klientel adressiert haben und die der Selbstversicherung dienten.

Im laufenden Jahr 2025 soll nun zum ersten Mal versucht werden, wirklich eine rechte Publikumsmesse zu initiieren. Das geht zurück auf die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die seit Jahren ganz intensiv mit dieser neurechten Szene kooperiert. Also beispielsweise mit der Ehefrau von Götz Kubitschek, Ellen Kositza, ein Videoformat hat, wo im Stil des literarischen Quartetts aus dem ZDF, Bücher besprochen werden. Und diese Susanne Dagen hat jetzt eine Messe angemeldet, die am ausgerechnet am 9. und 10. November dieses Jahres in Halle/Saale stattfinden soll. Und zwar auf dem Messegelände. Kurzum: es geht darum jetzt auch ein breiteres Publikum zu bekommen.

Die Messe ist nicht mehr explizit als rechte Messe gekennzeichnet. Sie heißt einfach »Seitenwechsel«. Was natürlich eine Anspielung darauf ist, dass man hofft, durch Bücher die Menschen davon zu überzeugen, die politischen Seiten zu wechseln. Es ist insofern ein politisches Programm, das sich aber nicht eindeutig als solches zeigt. Deshalb ist es wichtig, darüber zu informieren, damit Verlage, die jetzt überlegen, ob sie als Aussteller auf diese Messe gehen, worum es dort geht:  Normalisierung neurechter Ideologie, wie Susanne Dagen es nennt.

Sie versteht sich selbst als eine Scharnierperson zwischen diesen neurechten Diskursen und einem breiteren Publikum. Sie ist sehr gut vernetzt, speziell in der ostdeutschen Literaturszene. Sie hat ein sehr aktives und zum Teil auch wirklich großartiges Kulturhaus über Jahre geführt, in dem viele Autor:innen waren. Darunter viele Autor:innen, die sich keineswegs als rechts verstehen, während Susanne Dagen immer weiter nach rechts abgedriftet ist. Trotzdem hat sie weiterhin gute Kontakte und insofern auch tatsächlich eine Scharnierfunktion hinein in nicht-rechte Milieus. Die will sie jetzt nutzen und das sollte man auf jeden Fall im Blick haben.

BIHoff: Sie ordnen die neurechte Literaturpolitik in eine Strategie der sogenannten Meta-Politik ein. Und sie können sehr plausibel darlegen, dass die Neue Rechte exzellent in der Lage zu sein scheint, die vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci entwickelte Strategie der kulturellen Hegemonie, von rechts zu okkupieren und anzuwenden. Wie stellt sich das dar?

Prof. Hoffmann: Metapolitik ist grundsätzlich ein Ansatz, der darauf abzielt, mittel- und langfristig dadurch erfolgreich zu sein, dass man das Denken der Menschen verändert, die Weltanschauung verändert und dann erst in zweiter Linie danach auch parteipolitisch, also parlamentarisch erfolgreich ist. Das heißt es geht der neuen Rechten jetzt gar nicht darum, kurzfristige Wahlerfolge zu generieren, sondern eben metapolitisch, vorpolitisch das Denken zu verändern. Wobei man in Klammern ergänzen muss, dass die Kontakte jetzt zur Parteipolitik, also zur FPÖ in Österreich und zur AfD in Deutschland sehr viel intensiver geworden sind in den letzten fünf Jahren auch mit den großen Erfolgen dieser Parteien. Man kann beobachten, dass sich beispielsweise Kubitschek in den 2010er-Jahren eher noch davon abzuheben versucht hat eher so ein bisschen elitär herabgeschaut hat auf Parteipolitik. Und mittlerweile sehr offen mit denen kooperiert, auch von „wir“ spricht, wenn er Wahlerfolge der AfD bespricht. Also, diese Trennung ist de facto nicht aufrechtzuerhalten.

Aber der Schwerpunkt der Neuen Rechten ist eben diese Metapolitik und da ist es ganz wichtig, Kulturarbeit zu machen, da man eben über Kultur und speziell über Literatur sehr gut in die Köpfe der Menschen reinkommt. Zwei Strategien sind dabei ganz zentral:

Zum einen geht es, wie Sie gesagt haben, umso eine Rechtsverschiebung des Diskurses. Das heißt, man will den Kanon ändern. Also das, was an Schulen, an Unis aber auch sonst gelesen wird nach rechts verschieben. Indem man konservative bis rechtsextreme Autoren lanciert. Auch faschismusaffine Texte empfiehlt zur Lektüre. Indem man sich für Autoren interessiert, die zumindest zeitweise dem Nationalsozialismus nahestanden, wie Gottfried Benn. Dies dient auch dazu, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren, wie beispielsweise die Wehrmacht oder einzelne Funktionsträger des Nationalsozialismus. Und das funktioniert eben über diese literarischen Texte. Man kann beobachten, dass oft in diesen literaturbezogenen Essays radikalere Positionen vertreten werden als in offen politischen Texten der Neuen Rechten. Weil dies unter dem Deckmantel der Literatur einfacher möglich ist, indem man Lektüreempfehlungen gibt für faschistische Texte.

Zum anderen soll neben dieser diskursiven Rechtsverschiebung die Literaturpolitik genutzt werden, um Aufmerksamkeits- und Sympathiegewinne zu erzielen. Hierzu wird sich grundsätzlich als Lesebewegung inszeniert, die auf die Bedeutung des Lesens, gerade in Zeiten der Konkurrenz mit Neuen Medien insistiert. Dadurch soll Sympathie im – noch nicht rechten – Bildungsbürgertum aber auch in akademischen Kreisen erzeugt werden.

Kubitschek hat in einem sehr lesenswerten Essay mit dem Titel »Selbstverharmlosung“ von 2017 – im Übrigen digital kostenlos nachzulesen auf der Seite der von Kubitschek betriebenen Zeitschrift »Sezession« und des entsprechenden Blogs – klar dargelegt, dass es mit der Metapolitik auch darum geht, die „emotionalen Barrieren“ zu senken, die man in nicht-rechten Kreisen noch gegenüber der Neuen Rechten hat. Und dafür ist Literatur ganz wichtig. Indem man Literatur bespricht und lobt. Ganz bewusst nicht nur rechte Texte, sondern auch Bücher beispielsweise von Lutz Seiler oder Iris Wolf, die letztes Jahr auf der Shortlist des deutschen Buchpreises stand, jetzt aktuell Wolf Haas. Also Texte, die nun wirklich überhaupt nicht rechtsaffin oder zum Teil sogar anti-rechts sind.

Diese Texte werden bewusst gelobt, um die Reichweite zu verbreiten, Leser:innen zu gewinnen. Leser:innen, die vielleicht im Internet googeln, weil sie nach einer Rezession suchen und dann unwissentlich auf die Seiten der Zeitschrift »Sezession« kommen. Man muss sich klarmachen, dass sich die Neue Rechte schon seit Langem für Literatur interessiert. Vor den Zeiten des Internets drückte sich dieses Interesse insbesondere in deren deren Zeitschriften aus, die man nur gelesen hat, wenn man sie abonnierte. Das Internet bietet nun eine maximale Reichweite für die Zeitschriften und Blogs, da Leser:innen nun wissentlich und unbeabsichtigt auf deren Texte stoßen. Wenn man beispielsweise nach einer Rezension von Iris Wolf googelt. Insofern ist diese Literaturpolitik enorm wichtig, um Kreise zu erreichen, die bisher nichts mit den Neuen Rechten zu tun haben.

BIHoff: Neurechte Literaturpolitik findet crossmedial statt in Form von Texten, Videos, Podcasts etc. Dies führt dazu, dass inzwischen Literaturbesprechungen aus neurechten Zeitschriften im Schulunterricht eingesetzt werden, weil sie so wunderbar einfach zugänglich sind. Welche Handlungserfordernisse ergeben sich daraus für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung, die Landeszentralen für politische Bildung u.a.?

Prof. Hoffmann: In der Tat ist zu beobachten, dass an Schulen und an Unis – zwar noch nicht in großem Ausmaß, doch vereinzelt – mit diesen neurechten Medien gearbeitet wird. Weil Schüler:innen, die beispielsweise nach einem Gedicht von Gottfried Benn auf YouTube suchen, relativ oben auf der Trefferliste ein Gespräch aus Schnellroda, dem Sitz von Götz Kubitschek und dessen sogenannten Institut für Staatspolitik – angezeigt bekommen. In dem Video unterhält sich Götz Kubitschek mit Erik Lehnert, dem damaligen Leiter des sogenannten Instituts für Staatspolitik, 90 Minuten lang über Gottfried Benn. Das Gespräch plätschert so dahin und da gibt es durchaus auch informative Passagen. Überhaupt kann man sagen, dass die wirklich ein Interesse an Literatur haben. Das möchte ich gar nicht in Abrede stellen, aber dies ist immer damit verbunden, dass beispielsweise geschichtsrevisionistische Positionen vertreten werden. Die werden so nebenbei mit verabreicht. Den Schülerinnen und Schülern, die sich dieses Video anschauen ist in der Regel nicht klar, wer in diesem Video eigentlich spricht und wie das, was dort gesprochen wird, politisch einzuordnen ist bzw. wie das politisch instrumentalisiert wird.

Aus diesem Grunde halte ich es, wie Sie in Ihrer Frage schon deutlich machten, für sehr wichtig, dass insbesondere Menschen, die an Bildungsinstitutionen arbeiten, wissen, dass die Neue Rechte intensiv im literarischen Feld unterwegs ist. Darüber zu informieren ist nicht ganz unheikel, denn es spricht wenig dafür, nun an Schulen oder Universitäten auf diese ganzen neurechten Podcasts, Videos und Texte hinweist. Es kann schließlich nicht das Ziel sein, unfreiwillig zum Werbegehilfen dieser Szene zu werden. Aber zumindest die, die im Bildungsbereich arbeiten, sollten erkennen, wenn auf irgendwelchen Thesenpapieren, Referaten oder Hausarbeiten – bewusst oder unbewusst – mit Medien der Neuen Rechten gearbeitet wird. Im zweiten Schritt sollten die Akteur:innen im Bildungswesen in der Lage sein, darauf hinzuweisen, mit wem man es da zu tun hat und was an neurechter Ideologie da vielleicht mittransportiert wird. Um ein Bewusstsein dafür zu erzeugen, dass auch der Kulturbereich nicht politisch neutral ist. Und speziell von der Neuen Rechten so intensiv bespielt wird, wie man das von anderen politischen Gruppierungen oder Strömungen in den letzten Jahrzehnten nicht beobachten konnte.

BIHoff: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Das im Dezember 2024 erschienene Heft der »Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« widmet sich dem Schwerpunkt Neurechte Literatur und Literaturpolitik. Die Texte des Heftes sind open access also frei zugänglich.

Zur Person:

Prof.Dr. T. Hoffmann (Uni Stuttgart)

Prof. Dr. Torsten Hoffmann (*1973) ist Abteilungsleiter Neuere Deutsche Literatur II am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart.

Nach dem Lehramtsstudium (Erstes Staatsexamen) und der Promotion an der Universität Göttingen, war er einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Deutsche Philologie, bevor er eine Juniorprofessur an der Universität Frankfurt am Main erlangte.

Er habilitierte wiederum in Göttingen, war Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), nahm eine große Zahl an Gastdozenturen im Ausland und eine Vertretungsprofessur wahr, bevor er seit 2018 an der Universität Stuttgart tätig ist. Seither hat er verschiedene internationale Gastprofessuren wahrgenommen.

Prof. Hoffmann ist seit bald einer Dekade im Vorstand der Internationalen Rilke-Gesellschaft, der er seit 2021 als Präsident vorsteht.