05.05.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Interview aus dem Podcast »Kunst der Freiheit«

"Willkommen an der Front, Fräulein Katz."

„Die Erinnerung an den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer nimmt manchmal sonderbare Wege”…

…schrieb Martin Rath im rechtspolitischen Magazin Legal Tribune Online anlässlich des 50. Todestages des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, der auch als Nazijäger bekannt ist.

Sonderbare Wege waren nicht ungewöhnlich für den Juristen Fritz Bauer, der selbst alles andere als gewöhnlich war in der westdeutschen Nachkriegsjustiz. Er stach dort vielmehr deutlich heraus: Bauer war sozialdemokratischer Jurist, er war jüdischer Herkunft und als Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold hatte er die Weimarer Republik vor dem Naziunrecht zu verteidigen versucht. Er war im KZ inhaftiert und später im schwedischen Asyl.

Diese Biographie unterschied ihn von denjenigen »furchtbaren Juristen«, die dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat treu ergeben und fleißig gedient hatten, um nach dem Krieg weitgehend nahtlos ihre Karriere in der Justiz fortzusetzen. Bauer war einer der wenigen Nachkriegsjuristen, die sich aktiv darum bemühten, die Verbrechen der Nationalsozialist:innen aufzuarbeiten und NS-Verbrecher:innen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Gegen harte Widerstände – aus der Gesellschaft und aus der Justiz selbst.

Fritz Bauer arbeitete mit dem israelischen Geheimdienst bei der Suche nach Adolf Eichmann zusammen und wurde vor allem bekannt durch den Frankfurter Auschwitz-Prozess.

Welche sonderbaren Wege die Erinnerungen an Fritz Bauer gehen können, berichtete Marcel Schneider im Gespräch mit mir in der Sendung vom 23. April 2025 des Podcasts KUNST DER FREIHEIT. Marcel Schneider ist Chef vom Dienst des Rechtsmagazins Legal Tribune Online und er spielte das Computerspiel »The Darkest Files« durch.

BIHoff: Ich beginne mal spieltypisch und etwas martialisch mit dem Zitat „Willkommen an der Front, Fräulein Katz.“ Was hat es mit der Begrüßung auf sich und wer ist Esther Katz?

Marcel Schneider: Mit diesem Spruch begrüßt uns Fritz Bauer in »The Darkest Files«. Esther Katz ist der fiktive Name der Staatsanwältin, deren Rolle wir in dem Spiel einnehmen. Und Bauer begrüßt uns auf diese, nicht gerade ermutigende Weise, weil er gleich klarmachen will: bei der Arbeit für die Staatsanwaltschaft, die NS-Verbrecher verfolgt, da wird es jede Menge Gegenwind geben.

Man muss sich auch immer vor Augen führen, Mitte der 1950er Jahre, in der die Handlung spielt, hielten viele Deutsche die Arbeit von Fritz Bauer und seinem Team für Steuergeldverschwendung, wenn nicht sogar für Verrat.

BIHoff: Worum geht es in dem Spiel »The Darkest Files«? Und muss man Volljurist:in sein, um bei dem Spiel Erfolg zu haben?

Marcel Schneider: In dem Spiel gehen wir aus Sicht von Staatsanwältin Esther Katz NS-Verbrechen nach. Da sind dann Zeugen und Verdächtige, die wir laden und befragen können, damit sie uns die Ereignisse aus ihrer Sicht der Dinge schildern. Dabei widersprechen sich die Zeugen und Verdächtigen natürlich, weil am Ende niemand ein Täter gewesen sein möchte. Deshalb sind zusätzlich verschiedenste Dokumente in der Fallakte zu sammeln. Das sind alte Polizeiberichte, Fotos, Akten über NSDAP, Parteimitgliedschaften, Waffenregister, Einträge und noch jede Menge mehr.

Unsere Aufgabe besteht darin, alle diese Informationen auszuwerten und an einer Theorie zu tüfteln, wie sich das Verbrechen abgespielt haben könnte. Anschließend bringen wir die Angeklagten vor Gericht. Dabei löst sich dann auf, ob wir mit unserer Theorie richtig liegen – oder eben auch falsch. Das ist so ein bisschen wie das Brettspiel Cluedo, das vielleicht der ein oder die andere kennt, nur halt sehr viel komplexer und auch sehr viel brutaler.

Zwei juristische Staatsexamen braucht man zum Lösen des Spiels natürlich nicht. Man muss aber, und da sage ich jetzt ganz bewusst für alle, die eher auf actiongeladene Games stehen, einige Zeit und Hirnschmalz investieren, denn die Falllösungen, die sind nicht leicht und die haben es in sich.

BIHoff: Gibt es etwas bei dem Spiel »The Darkest Files«, was Sie, Herr Schneider, tatsächlich beeindruckt hat oder was Sie sich vielleicht zusätzlich gewünscht hätten?

Marcel Schneider: Beeindruckt hat mich, wie das Spiel ohne großes Tamtam eine wirklich beklemmende Atmosphäre aufbaut. Hier gibt es keine aufwendigen 3D-Cutscenes, laute Explosionen oder Geschrei, wie das in anderen Spielgenres üblich ist. Und trotzdem ist die Atmosphäre in dem Spiel krass verdichtet. Zum Beispiel werden wir in der Rolle von Esther Katz von Passanten angepöbelt. Wir bekommen Hassbriefe, die mit Hakenkreuzen garniert sind. Und unser Büro wird ständig ramponiert. Da werfen die Leute zum Beispiel die Scheiben ein.

In diesen Momenten wird einem erst mal so bewusst, wie mutig Fritz Bauer und sein Team zu ihrer Zeit waren. Den Mut zu haben, entgegen der damaligen öffentlichen Stimmung überhaupt das NS-Unrecht zu sühnen.

Ein bisschen ärgerlich fand ich, dass die Richter in den Verfahren mit diesem typischen Holzhammer dargestellt werden, wie man ihn von amerikanischen Gerichten kennt. Auch, dass die Verteidiger die ganze Zeit „Einspruch eurer Ehren“ rufen. Das ist so ein amerikanisches Ding. Die deutsche Justiz kennt sowas nicht. Und bei einem Spiel wie »The Darkest Files«, das von dem Bezug zur damaligen Realität und Geschichte lebt, da macht das die Stimmung dann natürlich schon so ein bisschen kaputt.

BIHoff: Wie finden sie diese Form von Erinnerungskultur, die sich in besonderer Weise der Tätergesellschaft widmet? Mir scheint das eine ganz gute Fortsetzung der Arbeit von Fritz Bauer zu sein.

Marcel Schneider: Auf jeden Fall. Auch wenn ich mich gerade über den Richterhammer geärgert, den es so an den deutschen Gerichten ja gar nicht gibt, wird das Spiel durch dieses Detail keineswegs weniger gut. Im Gegenteil. Als Computerspiel ist es natürlich ein Medium, dass die ganzen Themen wie Drittes Reich, Nazi-Deutschland und Tätergesellschaft interaktiv erlebbar macht.

Wenn man da aus der Ich-Perspektive von der Staatsanwältin Katz im Detail Akten liest und sich dann bewusst macht, was da gerade so in den letzten Kriegstagen für unfassbar brutale Dinge passiert sind, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn ich im Geschichtsunterricht irgendwann mal ein Buch darüber gelesen habe. »The Darkest Files« ist als Computerspiel ein völlig neues Erlebnis zu der Thematik, in der man über Fritz Bauer und die tatsächliche deutsche Geschichte etwas lernt. Insofern würde ich sagen, guter Deal.#

BIHoff: Vielen Dank für das Gespräch.

»The Darkest Files« ist online seit dem 25. März 2025 und erhältlich bei der Plattform Steam. Entwickler sind die deutschen Spieleentwickler Paintbucket Games. Das Studio machte bereits vor einiger Zeit mit dem Spiel »Through the Darkest of Times« auf sich aufmerksam. In diesem Strategiespiel bestand die Aufgabe darin, Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu leisten, nachdem sie 1933 an die Macht gekommen sind. Ein in jeder Hinsicht aktuelles historisches Spiel.