Kulturkampf aus dem Kanzleramt? Wolfram Weimer und die Politik der Union
Als Nachfolger der grünen Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist vom designierten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) der konservative Medienunternehmer Wolfram Weimer vorgesehen. Ideologisch ist Wolfram Weimer auf der politischen links-rechts-Achse sehr weit von Claudia Roth entfernt, aber auch ein sehr gutes Stück von der früheren Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Sie repräsentierte stets den liberalen Flügel des »Merkelismus«.
In den Feuilletons der Print- und Onlinemedien wurde die Benennung von Wolfram Weimer gemischt bis kritisch aufgenommen.
Der Literaturkritiker und Autor Ijoma Mangold sieht in der ZEIT die Berufung von Weimer als bewusste kulturpolitische Provokation. Weimer stehe für liberal-konservative Positionen und das sei ein Kontrast zum linksliberalen Mainstream. Für enttäuschte CDU-Wählerinnen und Wähler sei er möglicherweise ein Trostpflaster, da er konservative Rhetorik liefere, wo sonst Ampelkontinuität herrschen würde. Aber mit Weimer werde der ausgegliederte Kulturkampf, so Mangold, wieder Teil der Regierung, obwohl Weimer selbst kein Scharfmacher sei.
Die Tageszeitung DIE WELT begrüßte die Benennung wenig überraschend und versprach sich von Wolfram Weimer, dass unter ihm sogenannte woke symbolpolitische Maßnahmen vermutlich abgeschafft würden.
Dirk Knipphals kritisierte die Personalie Weimer in der taz:
„Wer sich ein paar seiner Artikel durchliest, kann dabei schon mal spekulieren, dass der 60-Jährige fehlende Expertise durch Variationen von Sonntagsreden kompensieren zu können glaubt. Womöglich gab es von Merz die Spekulation mit Weimer, Position der AfD für konservative Kreise zurückerobern zu können. Aber tatsächlich sind die Grenzen fließend, von Brandbauer keine Spur. Es spricht tatsächlich viel dafür, dass Weimer geholt wird, um es den Linken, den sogenannten Gutmenschen, Bevormundern und moralischen Besserwissern, wie er im Vorwort zu seinem Buch formuliert, zu zeigen.“
Unbehaglich werden dürfte es aber auch wirklich konservativen Kulturmenschen, vermutet Knipphals in dem taz-Kommentar. Wie groß das Unbehagen ist, das kann man dann wiederum nicht in der taz, sondern in der FAZ, also der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nachlesen. Deren Herausgeber Jürgen Kaube hält das konservative Manifest, das Weimer 2018 publizierte, für ziemlich dünn:
„Wir fürchten uns schon jetzt etwas davor, was er im Amt alles zum Besten geben wird. Gewiss, es gibt Redenschreiber, aber Wolfram Weimer macht nicht den Eindruck, ein Bewusstsein von den intellektuellen Laubsägearbeiten zu haben, die er in seinem konservativen Manifest vorgelegt hat.
Gehört es denn nicht zum konservativen Tugendkanon, sich in eigener Sache ein wenig Mühe zu geben?“
Abschließend noch aus dem Kommentar von Ulrike Knöfel im Magazin SPIEGEL mit der Überschrift »Ein Heimatschützer macht jetzt Kulturpolitik«:
„Kulturstaatsminister ist nun mit Wolfram Weimer ein Mann geworden, der sich als Welterklärer geriert, aber dabei über eine erstaunlich kleine Welt spricht. Merz verrät durch diese Personalie, wie er wirklich tickt.“
Ob diese Befürchtungen tatsächlich zutreffen, wird sich zeigen. Unbestritten ist, dass der designierte Kulturstaatsminister im Kanzleramt Wolfram Weimer 2018 »Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit« publizierte, über das Jürgen Kaube im benannten FAZ-Beitrag schrieb.
Wolfram Weimer gründete 2004 das Magazin Cicero, das – ebenso wie das Magazin The European - in seiner Verlagsgruppe erscheint. Catalina Schröder beschrieb die Linie des Magazins Cicero im April 2017 in der Fachzeitschrift Journalist wie folgt: Im Cicero werde „AfD-Gedankengut so elegant verpackt, dass es beim ersten Hinhören gutbürgerlich klingt“
Zur Diskussion über die Personalie des künftigen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer sprach ich in der Sendung vom 30. April 2025 meines Podcasts Kunst der Freiheit mit der österreichischen Publizistin und Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Von ihr erschien 2021 im Suhrkamp Verlag das Buch Radikalisierter Konservatismus, das zum Bestseller und ausgezeichnet wurde.
BIHoff: Frau Strobl, die Nominierung des Publizisten Wolfram Weimer hat in der Kulturszene Zurückhaltung bis Entsetzen ausgelöst. Der Herausgeber der FAZ, Jürgen Kaube, schrieb nicht weniger als einen Verriss über Weimers Konservatives Manifest aus dem Jahr 2018.
Sie haben sich mit radikalisiertem Konservatismus am Beispiel des US-Präsidenten Trump, des österreichischen Ex-Kanzlers Kurz, des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson auseinandergesetzt. In welcher Linie sehen Sie Weimer, aber auch das von ihm gegründete Magazin Cicero?
Natascha Strobl: Schönen guten Tag aus Wien. Die Nominierung von Herrn Weimer ist natürlich ein klares Signal in Richtung radikalisierter Konservatismus. Herr Weimer bedient sich ja nicht nur der Methodik, sondern er ist ja ein Ideologe dieser Art des Denkens. Er ist ein Ideologe mit neurechtem Anstrich. Das zeigt sich einerseits in der Art, wie er denkt und das, was er schreibt. Es zeigt sich aber auch in den Grenzverwischungen. Dass er für die Sezession [deren verantwortlicher Redakteur Götz Kubitschek war und das bis 2024 in dem von Kubitschek geleiteten sowie vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem und verfassungsfeindlich eingestuften Institut für Staatspolitik erschien] geschrieben hat, was für Demokraten und Demokratinnen natürlich ein absolutes No-Go ist. Es zeigt sich aber eben auch in diesem Konservativen Manifest.
Dieses konservative Manifest versucht eine Art Blutkontinuität zu skizzieren, bei der wir mit unseren Ahnen in einer Kontinuität stehen und es unsere Aufgabe ist, den Erhalt der Nationen, der Kultur zu sichern. Das hat alles den Sound der Neuen Rechten. Da ist man schon sehr, sehr tief drinnen im ideologischen Teil des radikalisierten Konservativismus, ich würde sogar sagen der Neuen Rechten, bis hin in den intellektuellen Rechtsextremismus.
Dementsprechend ist die Nominierung eine Provokation für den Koalitionspartner SPD aber auch ein Signal „Hallo, wir können das auch“. Bis hierhin reichen wir als Unionspartei. Wir haben hier keinen Stopp und wir haben hier keine rote Linie, sondern wir reichen weit hinein in ein Spektrum, wo die Grenzen nicht mehr so klar sind. Wo es nicht mehr so klar ist, dass man nicht mit extremen Rechten zusammenarbeitet. Wo es nicht so klar ist, dass man nicht vielleicht doch auch mal nach Schnellroda [der Sitz des Instituts für Staatspolitik] hineinhört, auch wenn man nicht eins zu eins dasselbe denkt. Man akzeptiert sie zumindest als intellektuellen Sparingpartner.
Genau dort würde ich Herrn Weimer einordnen. In dieser Tradition steht er und ich sehe da auch keinerlei Anzeichen, dass er sich davon distanziert hätte oder dass er das jetzt anders sieht.
BIHoff: In Ihrem Buch Radikalisierter Konservatismus nennen Sie als ein Merkmal der Radikalisierung die Polarisierung zwischen dem „Wir“ auf der einen Seite und den „Anderen“ eben auf der anderen Seite. Sie beschreiben das Ziel radikalisierter Konservativer darin, ein gesellschaftliches Chaos zu erwirken, welches man später neu ordnen kann. Die permanente Polarisierung ist für die radikalen Konservativen das Mittel der Wahl und muss deshalb zum Normalzustand werden. Diese Konservativen stabilisieren nicht mehr oder bewahren, gleichen auch nicht aus, sondern wollen im Namen einer vermeintlich schweigenden Mehrheit, die ihr vermeintlich zustehende Macht einfordern. Wo steht aus Ihrer Sicht diesbezüglich gegenwärtig die Union?
Natascha Strobl: Ich habe die Unionsparteien bisher nicht dem radikalisierten Konservatismus zugeordnet, weil ich, vielleicht war da auch ein bisschen Hoffnung dabei, gedacht habe, dass das in Deutschland in der Form nicht möglich ist. Weil die Öffentlichkeit eine andere ist, weil die Zeitungslandschaft eine andere ist, weil die Parteien auch anders funktionieren, weil es da viel mehr Gegenkräfte gibt, auch im Konservatismus gegen diese Art der Politik.
Mittlerweile würde ich es ein bisschen anders sehen. Es gibt auf jeden Fall diese Versuche der Radikalisierung dieses ganzen parteipolitischen konservativen Spektrums.
Es ist immer so, dass es hier verschiedene Motive gibt.Die einen sagen, na ja, wir müssen das machen, weil wir nur so die extremen Rechte aufhalten können. Das heißt, die glauben vielleicht gar nicht wirklich daran, aber die glauben, dass es möglicherweise ein guter Move ist. Ein strategischer Moment, das zu machen.
Dann gibt es die, die wirklich daran glauben, die dann sagen, endlich können wir so sein, wie wir schon immer wollten. Wir mussten bis jetzt uns zurückhalten und immer schaumgebremst agieren, aber eigentlich ist das unsere wahre Form, unsere wahre Gestalt.
Jetzt ist ein Moment, wo diese beiden Kräfte aufeinandertreffen und sagen, ja, wir müssen so reden und so ausschauen und dieselben Themen beackern wie die AfD. So entsteht dann eine permanente Selbstlegitimierung. Wir machen das und die Linken regen sich auf. Das heißt, wir haben Recht. Wenn wir sie noch mehr provozieren und sich noch mehr aufregen, dann haben wir noch mehr Recht. Und in diesem Pfad beschreitet die Union gerade.
Wir haben das gesehen in Österreich und wir haben das gesehen in den USA, aber auch in Großbritannien, auch bei den Konservativen in Schweden, wohin das führt. Und es führt immer ausnahmslos dazu, dass die extreme Rechte stärker werden. Kurzfristig kann das auch bedeuten, dass die Konservativen dazu gewinnen, mittelfristig und langfristig gewinnen nur die extremen Rechte davon.
BIHoff: Im Magazin Monopol schreibt Tobi Müller: „Es geht auch um internationale Schaufenster: Der Bund ist nach dem Skandal um die Documenta Fifteen in den Aufsichtsrat der Ausstellung zurückgekehrt. In Italien fungiert mittlerweile ein rechtskonservativer Ex-Journalist als Präsident der Venedig-Biennale, Pietrangelo Buttafuoco gilt als verlängerter Arm von Giorgia Meloni.
Damit sind die zwei weltweit wichtigsten Kunstausstellungen indirekt in mindestens rechtskonservativer Hand. Das wird erst dann zu einem Problem, wenn diese Konstellationen zu Eingriffen in die künstlerische Leitung führen. Oder auch, wenn sich künstlerische Leitungen beeinflussen lassen.“ Wie bedeutsam ist aus ihrer Sicht, Frau Strobl, der Kulturkampf für den radikalen Konservatismus?
Natascha Strobl: Der Kulturkampf ist für die extremen Rechte zur Hauptwaffe geworden. Und die Arenen des Kulturkampfes sind vor allem der Bildungsbereich und eben der Kulturbereich. Der eine Bereich ist die Reproduktion der Gesellschaft. Das fängt schon im Kindergarten an. Also: wer spricht deutsch? Wir feiern die guten christlichen Feste, und so weiter...
Im Kulturbereich ist es natürlich dieses ganze Selbstverständnis einer Gesellschaft, die Avantgarde einer Gesellschaft. Wie präsentiert man sich? Was wird verhandelt? Was wird kritisch verhandelt und was nicht? Und deswegen ist dieser Zugriff auf diese vermeintlich liberalen Bereiche, auf diese Bereiche, wo vermeintlich die größten Fortschritte geschehen sind in den letzten Jahrzehnten, ist da kein Wunder. Man inszeniert sich quasi als Aufräumer, als würde dort alles furchtbar sein, als müsste man es denen jetzt einmal zeigen. Als würde dort Chaos herrschen, Sodom und Gomorrah, und man müsse dort nun mal mit eisernen Besen durchkehren.
Das ist etwas, was Meloni sehr stark macht. Das wird im Ausland vielfach nicht beachtet, weil Georgia Meloni mit ihrer eher sanften Außen- und Europapolitik und dem Versuch, sich eher sanft und konservativ zu geben, dazu beiträgt, dass oft übersehen wird, wie stark der Zugriff nach innen auf die Kultur ist. Darunter die Bibliotheken und der öffentlich-rechtliche Rundfunk.
Spätestens darin sieht man, dass es auch so was wie so eine hybride Partei geben kann, die nach außen versucht, im Chor der Konservativen mitzuwirken und nach innen aber klar so agiert, wie die extreme Rechte agiert. Nur haben wir es bei Meloni und ihrer Partei Fratelli d‘Italia tatsächlich mit einer rechtsextremen Partei zu tun.
Wenn nun Konservative damit beginnen, dasselbe zu tun – sich nach innen zu geben wie die extreme Rechte und nach Außen den Anschein, als wären sie weiterhin eine konservative Partei – dann wären diese Parteienspektren eigentlich deckungsgleich. Ein solcher Fall wäre eine Katastrophe für das demokratische Spektrum. Es zeigt deshalb, wie verbindend diese Kulturkämpfe sind. Diese Kulturkämpfe können zu einer gemeinsamen Waffe eines autoritären Spektrums werden, das in der Linken und im gesellschaftlichen Liberalismus seinen Hauptfeind erkennt.
BIHoff: Vielen Dank für das Gespräch.