25.03.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Gesellschaft

Frauen in die Politik: Was Männer tun können.

Heute konstituiert sich der Deutsche Bundestag für seine 21. Legislaturperiode. Von den insgesamt 630 Abgeordneten sind 204 Frauen. Der Frauenanteil unter der Kuppel des historischen Reichstagsgebäudes liegt damit bei 32,4 Prozent. Dies bedeutet einen Rückgang im Vergleich zur vorherigen Legislaturperiode. Dort lag der Frauenanteil bei 34,8 Prozent und damit nur etwas mehr als einem Drittel aller Abgeordneten, obwohl 51 Prozent der Bevölkerung weiblich sind. Die Verteilung des Frauenanteils variiert stark zwischen den Fraktionen: Bündnis 90/Die Grünen: 61,2%; Die Linke: 56,2%; SPD: 41,7%; CSU: 25%; CDU: 22,6%; AfD: 11,8%.

Auch im Jahr 2025 ist politische Repräsentation nicht geschlechtergerecht. In Brandenburg und Thüringen scheiterten Paritätsgesetze vor Gerichten – mit dem Verweis auf die Freiheit der Parteien. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Entscheidungen, indem es Beschwerden gegen das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs abwies. Die Hauptgründe für das Scheitern der Paritätsgesetze waren:

  1. Eingriff in die Parteienfreiheit: Die Gesetze wurden als nicht gerechtfertigter Eingriff in die Freiheit der Parteien betrachtet, ihre Kandidaten selbst auszuwählen.

  2. Verletzung der Wahlgleichheit: Das Bundesverfassungsgericht deutete an, dass Paritätsvorgaben dem Grundsatz der Chancengleichheit aller Kandidaten widersprechen könnten.

  3. Konflikt mit dem Demokratieprinzip: Die Richter sahen im Demokratieprinzip keinen Auftrag, Parlamente zwingend hälftig mit Männern und Frauen zu besetzen.

  4. Interpretation des Gleichberechtigungsauftrags: Das Gericht interpretierte den Auftrag zur "tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung" im Grundgesetz als Garantie der Chancengleichheit, nicht der Ergebnisgleichheit.

Die strukturelle Ungleichheit in der politischen Repräsentanz wird so formal als rechtlich zulässig erklärt – und in der Praxis zementiert. 

Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele wie Belgien, das bereits 1994 ein Paritätsgesetz einführte. In Frankreich bestehen seit dem Jahr 2000 Parité-Regelungen auf allen politischen Ebenen. Dort ist der Frauenanteil in der Nationalversammlung auf 44,4 Prozent gestiegen, in den Regionalparlamenten auf 47,6 Prozent und in kommunalen Parlamenten auf 48,5 Prozent. Spanien verabschiedete 2007 ein Paritätsgesetz und ist mit einem Frauenanteil im Parlament von 47,4 Prozent Spitzenreiter in der EU. 

Portugal, Slowenien und Luxemburg haben ebenfalls gesetzliche Quoten zwischen 40% und 50% für die Besetzung von Wahllisten eingeführt. 

Länder wie Finnland und Schweden erreichen hohe Frauenanteile in Parlamenten auch ohne Paritätsgesetze, sondern durch freiwillige Parteienverpflichtungen, die auf einer entsprechenden politischen Kultur basieren und deshalb Wirkung zeigen, statt Lippenbekenntnisse zu bleiben.

Demgegenüber bleibt es in Deutschland gemeinhin den Frauen selbst überlassen, sich um mehr Parität zu bemühen. In Gremien, Netzwerken und Panels zur Gleichstellung sind meist nur Frauen zu sehen.

Ein Männerpanel zur Parität?

In diesem Kontext wurde ich zum Kongress für politische Kultur der gemeinnützigen Hertie-Stiftung eingeladen. Das Motto: „Demokratie – gemeinsam weiter denken.“ Es geht um die Rolle von Hochschulen für Gesundheit, um Fragen der sozialen Infrastruktur – und um die Verfasstheit unserer Demokratie.

Ich nehme dort am Round Table „Frauen in die Politik! Was können Männer tun?“ unter der Moderation von Julia Karnahl teil. Thomas de Maiziére und ich. Es handelt sich um ein Panel mit ausschließlich männlichen Sprechern. Der Gedanke der Organisator:innen der Hertie-Stiftung hinter dieser zunächst einmal - auch für mich frappierenden Konstellation: Wenn über Gleichstellung gesprochen wird, sind meist nur Frauen im Raum. Dabei ist Allyship – also solidarisches Verhalten von Privilegierten gegenüber benachteiligten Gruppen – wichtig. Wenn Parität wirklich als gemeinsame Aufgabe verstanden werden soll, dann müssen auch Männer Verantwortung übernehmen – öffentlich, hörbar und konkret. Deshalb soll dieses Panel Männer dazu ermutigen, aktiv Verantwortung zu übernehmen, statt Gleichstellung als „Frauenthema“ zu behandeln. 

Dennoch wirft die Konstellation berechtigte Fragen auf: Ist es richtig, als Mann darüber zu sprechen, was Frauen brauchen, um in der Politik gleichberechtigt zu sein? Mich erreichte die nachvollziehbare Kritik, dass dadurch genau das Machtgefälle reproduziert wird, das eigentlich überwunden werden soll.

Stimmen einholen statt nur zu sprechen

Weil ich sowohl den methodischen Ansatz der Organisator:innen verstehe und durch meine Teilnahme unterstütze als auch die nachvollziehbare Kritik, entschied ich mich, den Input für das Panel nicht allein aus meiner (männlichen) Perspektive zu entwickeln. Stattdessen versandte ich per Textnachricht an Politiker:innen aus der Linken, dem BSW, den Grünen, der SPD und der CDU aber auch Wissenschaftler:innen und Gewerkschafter:innen die Bitte, mir ihre spontane Einschätzung zu schicken: Was können/sollen/müssen Männer tun, um Parität in der Politik zu erreichen?

Die Antworten kamen erstaunlich schnell und waren ebenso deutlich wie vielfältig.  Einige Rückmeldungen bezogen sich kritisch auf die Idee des Männerpanels zum Thema Gleichstellung.

„Vielleicht sollten Männer einfach mal nichts machen. Und Frauen machen lassen.“

„Diese Frage ist schon falsch gestellt. Warum müssen Männer überhaupt gefragt werden, was sie tun sollen?“

„Ihr gründet eine kleine Selbsthilfegruppe – das ist okay. Aber ihr solltet dabei nicht vergessen, dass ihr Teil des Problems seid.“

„Ich finde es gut, dass Männer darüber sprechen. Aber es wäre noch besser, wenn sie es nicht unter sich täten.“

„Irritation gehört zum Fortschritt. Wenn es sich komisch anfühlt, als Mann über Gleichstellung zu sprechen, dann ist das vielleicht ein Zeichen, dass ihr an der richtigen Stelle kratzt.“

Ich teile diese Ambivalenz. Aber ich glaube auch: Männer, die Verantwortung tragen, müssen sich öffentlich zur Gleichstellung bekennen. Und sie müssen sie nicht nur unterstützen – sondern ermöglichen.

Aus den Rückmeldungen habe ich zentrale Themen und Perspektiven versucht zu bündeln. Was folgt, ist ein Resonanzraum – kein Katalog.

1. Strukturen ändern: Politik darf kein Ausnahmezustand sein

Viele Stimmen forderten ganz konkrete strukturelle Veränderungen:

„Warum muss Politik eigentlich immer Ausnahmezustand sein? Sitzungen bis in die Nacht, ständig erreichbar, kein Raum für Familie, Ehrenamt, Freizeit. Das ist nicht nur abschreckend für viele Frauen – es ist unzeitgemäß.“

„Sitzungstermine tagsüber, Kinderbetreuung bei Parteiveranstaltungen, Teammodelle auch für Führungspositionen – das würde Politik für viele erst möglich machen.“

„Setzt euch für Arbeitszeitverkürzung ein. Nicht nur für Frauen, sondern für alle. Dann wird Raum für Care-Arbeit frei – und damit für politische Beteiligung.“

Politik ist oft nicht mit Fürsorgeverantwortung vereinbar. Diese Realität trifft Männer und Frauen – aber sie belastet Frauen strukturell stärker. Wer das ändern will, muss das System umbauen – nicht nur individuelle Vereinbarkeit ermöglichen.

2. Macht teilen, Netzwerke öffnen

Nicht wenige Rückmeldungen betonten, wie informell Macht verteilt wird:

„Der Einstieg ist nicht das Problem. Der Aufstieg ist es. Und der funktioniert über Ähnlichkeit. Wer ähnlich ist, kommt weiter – und das sind meistens Männer.“

„Macht verdammt nochmal die Tür auf. Und zwar nicht nur, wenn euch keine Frau einfällt, die ihr vorschieben könnt. Sondern grundsätzlich.“

„Sponsoring statt Mentoring. Männer sollen ihre Kolleginnen nicht nur fördern – sondern sie aktiv sichtbar machen, empfehlen, einbinden. Auf Augenhöhe.“

Politik lebt von Netzwerken. Und Männer sind oft die Gatekeeper. Wer Gleichstellung will, muss Macht abgeben – nicht symbolisch, sondern real.

3. Haltung zeigen: Verhalten reflektieren, Redeanteile verschieben

Ein zentraler Punkt vieler Rückmeldungen war die persönliche Haltung:

„Klappe halten. Und dann: Zuhören. Nicht wiederholen, was eine Frau gesagt hat, als sei es deine Idee. Nicht unterbrechen. Nicht überreden. Einfach mal zuhören.“

„Redeverhalten ist Macht. Wer redet, setzt die Themen. Männer müssen lernen, Raum zu geben – nicht nur rhetorisch, sondern konkret.“

„Seid ehrlich zu euch selbst: Warum kommen Männer immer noch schneller nach oben? Welche Privilegien nehmt ihr in Anspruch, ohne sie zu bemerken?“

Reflexion ist kein Ersatz für Strukturveränderung – aber Voraussetzung für wirksames Handeln. Es braucht Männer, die ihre Position in Frage stellen – nicht sich selbst, sondern die Selbstverständlichkeiten, auf denen ihre Karriere beruht.

4. Quote – weil es anders nicht geht

Die Forderung nach verbindlichen Quoten war deutlich und nicht nur Mitte-Links angesiedelt:

„So lange das alles so weiterläuft: 100 Prozent Frauenquote. Punkt.“

„Quote ist nicht Bevorzugung. Sie ist die notwendige Korrektur eines strukturellen Ausschlusses.“

„Ohne Quote ändert sich nichts. Das hat die Vergangenheit oft genug gezeigt.“

Zugleich wurde deutlich: Quote allein reicht nicht – aber ohne Quote geht es nicht. Sie ist nicht das Ziel, sondern das Werkzeug, um gleiche Chancen überhaupt erst zu ermöglichen.

5. Politikkultur verändern

Auch die politische Kultur selbst wurde thematisiert – oft mit spürbarer Frustration:

„Ich war als einzige Frau in einer Verhandlungsgruppe. Die Männer haben geredet, referiert, sich selbst inszeniert. Stundenlang. Es war so mühsam.“

„Warum wird Politik immer an der Bar gemacht? Warum braucht es nächtelange Sitzungen, in denen die Lautesten sich durchsetzen?“

„Emotionalität ist kein Makel. Fürsorge ist kein Randthema. Wenn Politik nur aus Macht und Wettbewerb besteht, bleibt die Hälfte der Perspektiven außen vor.“

Eine andere politische Kultur heißt nicht: weniger Konflikt. Sondern: andere Aushandlungsformen. Mit anderen Stimmen. Und anderen Maßstäben für Bedeutung.

6. Care-Arbeit ist politisch

Care-Arbeit wurde nicht als „Frauenthema“, sondern als Machtfrage beschrieben:

„Sorgearbeit bleibt an Frauen hängen. Auch in der Politik. Männer müssen aktiv übernehmen – nicht symbolisch, sondern wirklich.“

„Wir brauchen Betreuungsangebote während Sitzungen, mehr Anerkennung für Teilzeit, weniger Mobilitätszwang.“

„Wenn Männer nicht auch Care-Verantwortung tragen, bleibt politische Gleichstellung eine Illusion.“

Gleichstellung funktioniert nur, wenn Zeit gerecht verteilt ist. Wer Care-Arbeit ignoriert, stabilisiert bestehende Ungleichheiten.

Deutlich wird: Es geht nicht um die eine richtige Lösung, sondern um die strukturellen, kulturellen und persönlichen Fragen, die Männer sich stellen müssen. Was also können Männer tun? Vielleicht ist die wichtigste Antwort: Platz machen. Der Hinweis, der übrigens am meisten an mich zurückgemeldet wurde.

Platz zu machen, nicht als Geste, sondern als Praxis. Nicht um weniger zu sein, sondern um mehr möglich zu machen. Macht zu teilen heißt, auf als selbstverständlich erachtete Privilegien zu verzichten – und andere Perspektiven wirksam werden zu lassen. Gleichstellung ist kein Projekt für Frauen. Sondern eine Aufgabe für die gesamte Demokratie.

All das ist nicht neu. Die Debatten über Gleichstellung in der Politik sind so alt wie die Parlamente selbst – und die strukturellen Ungleichheiten genauso hartnäckig wie die Ausreden, sie nicht zu ändern. Jede Legislaturperiode ist auch eine Gelegenheit. Der 21. Deutsche Bundestag hat sich heute konstituiert – wieder mit einem deutlich zu niedrigen Frauenanteil. Jetzt ist deshalb der richtige Zeitpunkt, ernsthaft dafür zu sorgen, dass sich das im 22. Bundestag ändert. Nicht symbolisch, sondern strukturell.

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