17.03.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Medien

Wenig hilfreiches Parteien-Bashing. Studie zur Reform der Rundfunkräte.

Die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung hat sich mit Studien zur Medienlandschaft einen Namen gemacht. Mit der neuesten Untersuchung zur Zusammensetzung der Rundfunkgremien „Im öffentlichen Auftrag“ tut sie sich keinen Gefallen. Im Bemühen, vermeintliche parteipolitische Einflussstrukturen in den Rundfunkgremien offenzulegen, praktiziert sie eine überdehnte Definition von Staatsnähe. Ungewollt liefert sie denjenigen Argumente, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohnehin delegitimieren wollen. Davon hat die AfD in Rheinland-Pfalz bereits Gebrauch gemacht.

 

Einige der interessantesten Studien zum Wandel im deutschen Mediensystem und dem Journalismus sind der Otto-Brenner-Stiftung zu verdanken. Die zum Andenken an den legendären früheren IG Metall-Vorsitzenden gegründete Wissenschaftsstiftung setzt seit Jahren sowohl einen Schwerpunkt auf die Unterstützung kritischen Journalismus als auch auf die kritische Beobachtung medialer Entwicklungen. So prüfte Janis Brinkmann 2023 die Reportageformate des Jugendsenders funk wie Y-Kollektiv oder STRG_F und diskutierte, dass die durch sie konstruierte Wirklichkeit politische und wirtschaftliche Themen ebenso weitgehend ignorierte, wie die Lebenswelt des ländlichen und peripheren Raums. Ein Jahr zuvor widmete sich Henning Eichler der Frage, ob bei der Optimierung journalistischer Formate von ARD und ZDF für die Verbreitung in sozialen Netzwerken eine algorithmische Logik an die Stelle redaktioneller Autonomie tritt und wie wertegebundener Journalismus darauf reagieren könnte. Weitere Studien widmeten sich der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen, oder dem Bedeutungsverlust der Gatekeeper-Funktion des lokalen Journalismus. Angesichts dessen durfte man gespannt sein, zu welchen Erkenntnissen Peter Stawowy im Arbeitspapier Nr. 76 der Otto-Brenner-Stiftung Im öffentlichen Auftrag. Zusammensetzung und Arbeitsweise der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien kommt.

Der Autor der Studie lebt in Dresden, ist Journalist, Kommunikationsberater und berichtet in seinem Blog Flurfunk über Medien in Mitteldeutschland. Er war Sachverständiger im Auftrag der ARD und arbeitete verschiedentlich an Genehmigungen für öffentlich-rechtliche Telemedienangebote mit, den sogenannten Dreistufentests.

Die nach ihrem Erscheinen am 27. Februar 2025 bereits breit rezipierte Untersuchung (vgl. neben anderen FAZ, Übermedien, taz) nimmt die gegenwärtigen Strukturreformen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk im Anschluss an den 3. und 4. Medienänderungsstaatsvertrag sowie die Veröffentlichung der Ergebnisse der Zukunftskommission zum Anlass, die Arbeitsweise der Aufsichtsgremien in den Sendeanstalten zu überprüfen. Die Studie erhebt schon mit dem Titel Im öffentlichen Auftrag den Anspruch, an die 2013 ebenfalls von der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlichte Untersuchung Fritz Wolfs Im öffentlichen Auftrag. Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge (OBS-Arbeitsheft Nr. 73) anzuschließen.

Im Jahr der Veröffentlichung der Wolf-Studie gründete sich im hessischen Oberursel die AfD. Eine zufällige Parallelität. Weniger zufällig ist der Antrag, mittels dessen die AfD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz die Stawowy-Studie zum Ausgangspunkt einer Debatte im Ausschuss für Digitalisierung, digitale Infrastruktur und Medien am 13. März 2025 machte (LT-Vorlage 18/7056). Sie fühlt sich durch zentrale Aussagen der Untersuchung bestätigt in ihrer Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den die Rechtspopulisten gemeinhin als vermeintlichen Staatsfunk diskreditieren.

Das erscheint klärungsbedürftig, denn die Angriffe der Rechtsextremen auf die Medienvielfalt allgemein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Besonderen, die ich an anderer Stelle in meinem Beitrag »Grundfunk« statt Vielfalt. Wie die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk radikal schrumpfen will genauer betrachtete, stehen im Gegensatz zur Arbeit der Otto-Brenner-Stiftung und auch von Peter Stawowy.

Parteien, Staatsnähe und Rundfunkaufsicht

Ausgehend von der Annahme, dass bei der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Aufsichtsgremien wie den Fernseh- und Rundfunkräten sowie den Verwaltungsräten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, prüft Stawowy die Zusammensetzung dieser Gremien und strukturelle Defizite ihrer Arbeitsweise, für die er am Ende der Untersuchung Reformvorschläge unterbreitet. Hierfür untersucht er die neun Rundfunk- und Verwaltungsräte der ARD-Anstalten sowie die Gremien von ZDF und Deutschlandradio.

In der meinungsstarken aber methodisch durchaus kritikwürdigen Untersuchung, auf deren Mängel Klaus Sondergeld in einem ausführlichen Zwischenruf zum Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung eingeht, wird aus Annahmen schnell, möglicherweise vorschnell, eine Schlussfolgerung. Das macht sie zitierfähig in der medialen Rezeption aber hilft nicht zwingend beim politischen Umgang mit den Untersuchungsergebnissen. Dem von ihm gezogenen Schluss beispielsweise, dass „die Medienpolitik offenkundig wenig Vertrauen in die Gremien hat“, fehlt nachgewiesene Evidenz.  

Problematisch ist insbesondere der von Stawowy angestrebte Nachweis, dass in den Rundfunkgremien die höchstrichterlichen Vorgaben zu den Obergrenzen der staatsnahen Mitglieder nicht eingehalten würden. Seine Argumentation stützt sich auf eine erweiterte Definition von Staatsnähe, die nicht nur Regierungsvertreter:innen, sondern auch Parteimitglieder in gesellschaftlichen Organisationen umfasst. Damit öffnet er jedoch Interpretationen Tür und Tor, die das populistische Narrativ einer vermeintlichen Selbstbedienungsmentalität der sogenannten Kartell- oder Altparteien befördern. Gerade die AfD hat dieses Narrativ zu einem zentralen Bestandteil ihres politischen Geschäftsmodells gemacht. Die Vorstellung, dass sich Parteien den Staat zur Beute machten, findet hier eine scheinbare Bestätigung, obwohl die institutionelle Realität deutlich komplexer ist.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen in Deutschland seit jeher in einem Spannungsfeld zwischen staatlicher Kontrolle und gesellschaftlicher Unabhängigkeit. Stawowy erinnert daran, dass Wolf 2013 feststellte: „Dabei durchzieht ein zentrales Motiv die Rundfunkgeschichte ebenfalls von Anfang an: Die politischen Parteien versuchten sehr schnell, über die Gremien Einfluss auf die Politik der Sender zu bekommen“ (Wolf 2013: 7).

Seither hat sich die Welt jedoch verändert. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2014 im sogenannten ZDF-Urteil (Az. 1 BvF 1/11), dass die Rundfunkgremien staatsfern organisiert sein müssen und höchstens ein Drittel ihrer Mitglieder aus dem staatlichen oder staatsnahen Bereich stammen darf. Dies anerkennt Peter Stawowy, auch wenn er die Dauer der Umsetzungszeiträume, z.B. beim MDR kritisiert. Diese Kritik ist berechtigt. Im MDR zeigen sich freilich die Unterschiede zwischen einer Mehrländeranstalt und Sendeanstalten, bei denen das Sendegebiet einer Gebietskörperschaft entspricht, wie beim Bayerischen, dem Westdeutschen oder dem Saarländischen Rundfunk und Radio Bremen.

Als staatsnah gilt eine Person, wenn sie a) Regierungsmitglied, Parlamentsabgeordnete:r oder in anderer Weise Vertreter:in von Legislative bzw. Exekutive ist, oder b) von staatlichen Stellen oder politischen Parteien entsandt wird, oder c) in einem Abhängigkeitsverhältnis zu staatlichen Akteur:innen steht, das ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Das Gericht betont, dass der Begriff der Staatsnähe eng auszulegen ist. Entscheidend sei demnach nicht die bloße Parteimitgliedschaft, sondern ob eine Person unmittelbar oder mittelbar mit staatlichen Institutionen verbunden ist oder deren Interessen vertritt.

Das BVerfG setzt sich in seinem Urteil ausführlich mit Fallkonstellationen auseinander, in denen von gesellschaftlichen Gruppen entsandte Mitglieder staatsnah sein könnten. Hierzu gehört beispielsweise ein unter die Kriterien a-c fallendes Mitglied, weil sich die entsendende Organisation davon Vorteile verspricht. Gleichzeitig erörtert das Gericht in Rz. 79 seiner Entscheidung, dass gerade nicht jede bloße Parteimitgliedschaft als staatsnah anzusehen ist:

„Wann eine solche Mitwirkung in herausgehobener Verantwortung in einer politischen Partei gegeben ist, bedarf der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Denkbar wäre etwa, auf Ämter oberhalb der Kreis- oder Bezirksebene abzustellen. Auch im Übrigen obliegt die Ausgestaltung der Inkompatibilitätsregelungen dem Gesetzgeber. Zu deren Verstärkung kann er für politische Amtsträger auch an die Statuierung von Karenzzeiten denken, nach deren Ablauf diese erst als staatsferne Mitglieder in die Rundfunkanstalten bestellt werden können. Insgesamt hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Unvereinbarkeitsregelungen der staatsfernen Mitglieder einen erheblichen Wertungs- und Typisierungsspielraum.“  

Diese verfassungsgerichtliche Argumentation findet bei Stawowy keine Berücksichtigung. Sie wird inhaltlich nicht einmal erörtert. Dies wäre jedoch sowohl zu erwarten als auch notwendig, wenn Stawowy die Behauptung aufstellt, der Einfluss der Politik in den Rundfunkräten sei nicht nur abstrakt zu hoch, sondern es würde systematisch gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verstoßen. Denn darauf läuft die von ihm präsentierte Zählweise hinaus, mit der er einen staatsnahen Anteil von 41 Prozent ermittelt, obwohl laut ZDF-Urteil maximal 33 Prozent zulässig sind.

Die höhere Zahl ergibt sich aus einer veränderten Berechnungsmethode, die hier der Einfachheit halber als Stawowy-Zählung bezeichnet wird. Darin wird - abweichend von der Definition des BVerfG - als politiknah definiert, wenn dem Rundfunkratsmitglied „über unsere eigene Recherche eine eindeutige Zugehörigkeit zu einer Partei nachgewiesen werden konnte. […] Hierfür reichte zum Beispiel die Kandidatur für ein Stadtratsmandat, die frühere Tätigkeit als Abgeordnete*r oder ein anderes, öffentlich nachweisbares Engagement für eine Partei.“

Die Stawowy-Zählung überzeugt weder aus der Logik des ZDF-Urteils noch lebensweltlich:

  1. Das BVerfG hatte in der oben zitierten Rz. 79 seiner Entscheidung aus 2014 deutlich gemacht, dass parteipolitisches Engagement auf der lokalen Ebene (Kreistag, Stadtrat, Bezirksparlament) nicht als staatsnah anzusehen sei. Darüber setzt sich Stawowy ohne weitere inhaltliche Argumentation hinweg.
  2. Tatsächlich gibt es eine gewisse Evidenz, dass ehemalige Abgeordnete, auch ehemalige Regierungsmitglieder (sowohl  Minister:innen als auch Staatssekretär:innen) nach dem Ausscheiden aus dem politischen Amt durch gesellschaftliche Gruppen in Rundfunk- und Fernsehräte entsendet werden. Das BVerfG hat diese Fallkonstellation antizipiert und daraus das Erfordernis von Karenzzeiten abgeleitet, wie sie in einzelnen Ländern bereits in den entsprechenden Minister:innengesetzen enthalten sind (vgl. ThürMinG). Eine solche Phase des „politischen Abklingbeckens“ wird von Stawowy jedoch nicht betrachtet. Für ihn gibt es eine Ewigkeitsbindung der politischen Amtsinhaber:innen, was ein faktisches Entsendeverbot für diese Personen zur Folge hätte. Dabei dürfte anzunehmen sein, dass gerade das frühere Engagement in einem Landesparlament oder einer Landesregierung, die aktive Player der medienpolitischen Debatte sind, ein Kompetenzargument für die entsendenden Verbände sind, bei denen bislang in der Regel kein harter Wettbewerb um Mitgliedschaften in Rundfunkräten erkennbar ist.
  3. Das Kriterium des „anderen, öffentlich nachweisbaren Engagements für eine Partei“ ist in seiner Unbestimmtheit willkürlich. Ist bereits die Teilnahme an einer Parteiveranstaltung, z.B. als für eine gesellschaftliche Gruppe geladene Expert:in, ein Beitrag auf Social Media oder das Teilen bzw. Likens eines Beitrags einer Partei oder einer Politiker:in nachweisbares Engagement. Die möglichen Ausprägungen ließen sich so beliebig fortsetzen, wie das Kriterium ausgestaltet ist.

Doch nur durch diese Willkürlichkeit kann Stawowy behaupten:

„Es finden sich in nahezu allen Rundfunkräten Vertreter:innen gesellschaftlicher Organisationen, die in ihrem Berufsleben auf eine politische Karriere zurückblicken können, die aber nicht zu der BVerfG_Definition von ‚staatlich-politischer Entscheidungsmacht‘ […] oder im Wettbewerb um ein hierauf gerichtetes öffentliches Amt oder Mandat passen.“ (Stawowy 2025: 25)

Weder liefert Stawowy eine solide theoretische Begründung für die von ihm vorgenommene willkürliche Ausweitung des Begriffs der Staatsnähe, noch überzeugt die Argumentation lebensweltlich. Deshalb ist es umso überraschender, dass sich die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung in Gestalt von Benedikt Linden im Vorwort zur Studie die Argumentation und die Stawowy-Zählung vollumfänglich zu eigen macht.

In beiden deutschen Teilgesellschaften, wenn auch in Ost und West auf unterschiedlichem Niveau, ist eine Entkopplung von traditionellen Mitgliedsorganisationen zu beobachten. Parteien, Gewerkschaften, Kirchen verlieren an Bindekraft. Dieser Rückgang ist problematisch, weil diesen Organisationen nicht nur eine vermittelnde Rolle zwischen Staat und Gesellschaft zukommt, sondern auch eine Werte-prägende Funktion zukommt. Parteien sind Orte der demokratischen Willensbildung, Gewerkschaften kämpfen für Arbeitnehmer:innenrechte und prägen das gesellschaftliche Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und die Humanisierung der Arbeitswelt, während Kirchen für einen relevanten Teil sozialer Infrastruktur und Netzwerke Sorge tragen.

Eine Vielzahl demokratietheoretischer Ansätze und Studien kommen zu der Erkenntnis: Parteimitgliedschaft bedeutet nicht Staatsnähe. Parteien sind integrale Bestandteile der Demokratie, aber sie sind nicht gleichzusetzen mit staatlicher Kontrolle. Sie vermitteln gesellschaftliche Interessen in den politischen Prozess, sind pluralistisch organisiert und bieten eine Plattform für politische Partizipation. Parteimitglieder agieren nicht automatisch als „Parteisoldat:innen“, sondern bringen vielmehr auch kritische Positionen in den politischen Diskurs ein. Wer eine Parteimitgliedschaft als Staatsnähe interpretiert, verkennt nicht nur die Bedeutung demokratischer Willensbildung, sondern leistet auch einem populistischen Narrativ Vorschub, das darauf abzielt, Parteien zu diskreditieren um in der Folge demokratische Institutionen insgesamt zu delegitimieren.

Sogenannte politische Freundeskreise

„Als Freundeskreise gelten informelle Zusammenschlüsse aller Gremienmitglieder einer politischen Richtung, die vor allem der Mehrheitsmobilisierung bei bestimmten Abstimmungen dienen. Neben den sogenannten roten und schwarzen Freundeskreisen soll es auch graue Freundeskreise geben (oder gegeben haben), in denen sich Vertreter*innen kirchlicher und andere zivilgesellschaftlicher Organisationen vernetzen, die sich keiner der beiden politischen Farben zuordnen wollen oder können“, formulierte Wolf in seiner Studie (Wolf 2013: 34). Stawowy nimmt auf Wolf ebenso Bezug wie auf Leonard Dobusch, der die Freundeskreise als „völlig undurchsichtige informelle Gruppen“ dämonisiert, ein „schon länger problematisches ‚Regime der Freundeskreise‘“ erkennen will und statt dieser informellen Zusammenschlüsse für die Bildung von Fraktionen in den Rundfunk- und Fernsehräten plädiert. Da Stawowy keine eigene zusätzliche Positionierung zu den Freundeskreisen vornimmt, wird angenommen, dass er diese Auffassungen teilt.

Die sogenannten Freundeskreise in dieser Weise in ihrer Bedeutung zu überhöhen, ist wenig hilfreich. Tatsächlich handelt es sich eher um Scheinriesen, wie den Herrn Tur Tur aus der Jim Knopf-Erzählung.

Eigene Erfahrungen im ZDF-Fernsehrat machen deutlich, dass es sich bei den Freundeskreisen um im weiteren Sinne weltanschauliche informelle Zusammenschlüsse von Gremiumsmitgliedern handelt, die eher einer liberal-konservativen bzw. einer eher progressiven Richtung angehören. Unbestritten dürfte die Funktion dieser Zusammenschlüsse in einer Zeit, als das deutsche Parteiensysteme von zwei Volksparteien Union bzw. SPD und einer dritten Partei dominiert wurde, und vor dem ZDF-Urteil eine höhere innere Verbindlichkeit aufgewiesen haben. Die Welt hat sich weitergedreht. Die Zahl der Parteien ist gestiegen, die Parteibindung hat abgenommen. Entsprechend anachronistisch wirkt aber im ZDF-Fernsehrat die dualistische Sitzordnung, in der sich – dem Westminster-Parlament nachempfunden – zwei Freundeskreise gegenübersitzen. Dabei gibt es inzwischen eine stattliche Zahl von Mitgliedern, die sich trotz Zugehörigkeit zu einem Freundeskreis, zu denjenigen Kolleg:innen setzen würden, die sie persönlich mögen oder aus anderen Kontexten kennen, wäre die Sitzordnung weniger starr nach Freundeskreisen festgelegt.

Denn entgegen dem Zerrbild, dass auch Stawowy zeichnet, verbindet die Mitglieder der sogenannten Freundeskreise nicht parteisoldatische Disziplin. Gemeinsam ist ihnen, so es sie überhaupt noch gibt, vielmehr das Interesse, den fachlichen Austausch über die Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt und der jeweiligen Sendeanstalt im Kreis von in einem weiten Sinne politisch nahestehenden Personen zu führen. Unberücksichtigt bleibt bei Stawowy zudem, dass in Mehrländeranstalten wie beispielsweise dem MDR die verbindende Prägung der jeweiligen Ländergruppe, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, höher ist, als diejenige der politischen Freundeskreise. Denn wenn es um Ressourcen für das jeweilige Landesfunkhaus geht, sticht die regionale Zugehörigkeit die weltanschauliche Nähe. Im MDR-Rundfunkrat sitzen die Mitglieder zwar grundsätzlich nach Landesgruppen, gleichwohl ist die Sitzordnung offen.

Dort haben die Freundeskreise auch in Folge der vielen parteiungebundenen neuen Mitglieder stark an Bedeutung verloren, wie mir kommuniziert wurde. Abstimmungen im Freundeskreis fanden, wenn es sie überhaupt noch gibt, eher zu ausgewählten Personalien stattfanden und dort auch nur noch in einer Rumpfgruppe.

Dementsprechend kontraproduktiv wäre eine Fraktionsbildung in den Rundfunk- und Fernsehräten, wie sie Dobusch empfiehlt. Der Scheinriese Tur Tur würde institutionell aufgepäppelt. Und in einer insgesamt gesellschaftlich polarisierten Diskursstruktur würden institutionalisierte Fraktionen zu Polarisierung und Gruppendenken beitragen, die Fraktionslogik fördert aber Kompromisse erschwert. Verfestigte Strukturen führen gemeinhin zu schwerfälligeren Entscheidungen und verringerter Anpassung, während Innovationen erschwert werden. Also exakt zu denjenigen Mustern, die als ein generelles Problem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei der Umsetzung von Reformen kritisch erörtert werden. Informelle Netzwerke wie die bestehenden Freundeskreise, so es sie überhaupt noch gibt, mögen intransparent wirken, sind aber flexibler und ermöglichen fluide Mehrheiten, die sich an Sachthemen orientieren.

Als ich selbst noch dem ZDF-Fernsehrat angehörte, hatte ich im sogenannten Werneke-Freundeskreis – benannt nach dem ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke – den Vorschlag unterbreitet, dass zu grundsätzlichen Fragen der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber auch der Medienentwicklung insgesamt, die dem Freundeskreis nahestehenden politischen Stiftungen, das wären die Otto-Brenner-Stiftung ebenso wie die parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung einen progressiven Medienkongress durchführen. Der sollte zugleich dazu dienen, die interessierten und nahestehenden Mitglieder aus allen Rundfunk- und Fernsehräten zusammenzubringen. Wenn Freundeskreise in diesem Sinne dazu beitragen würden, die Debatte zu bereichern und zu strukturieren, wäre es allemal besser, als an Einflusslegenden in Studien zu stricken oder Prozesse zu bürokratisieren. Die Otto-Brenner-Stiftung hätte aus ihrer Expertise in eine solche Debatte sicherlich manches einzubringen.

Reformvorschläge

Am Ende der Untersuchung unterbreitet Peter Stawowy acht Reformvorschläge. Gemessen an der in der Studie an einzelnen Stellen geäußerten Kritik bzw. meinungsstarken Thesen, kommen sie vergleichsweise zahm daher. Bei der in Ziffer 1 vorgeschlagenen grundsätzlichen Überprüfung der Kontrollstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach Einführung des neuen Medienrates dürfte es sich nach meinem Verständnis auch nicht um einen Reformvorschlag handeln, denn Prüfungen sind gemeinhin noch keine Reform.

Die in Ziffer 2 vorgeschlagene abstrakte Veränderung der Besetzungsverfahren in den Gremien untersetzt Stawowy nicht mit eigenen Vorschlägen. Sie sind bestenfalls angedeutet. In seinem Zwischenruf bemängelt Klaus Sondergeld zutreffend, dass auf Seiten der Medienwissenschaft „eine Theorie gelingender Repräsentation der Beitragszahler:innen in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ fehlt. Zuzustimmen ist ihm auch, wenn er im Hinblick auf Stawowy ausführt, dass manche seiner normativen Überlegungen einen Aufwand erfordern würden, „den man sich gut überlegen muss - finanziell, aber vor allem in Form von zeitlichen Ansprüchen an die ehrenamtlich tätigen Gremienmitglieder. Deren Möglichkeiten sind auf Kante genäht, es sei denn, man möchte noch mehr Ruheständler haben oder Verbands- und Kirchenfunktionärinnen, bei denen das Gremien-Engagement zur Stellenbeschreibung gehört. Die Alternative ist aus meiner Sicht nicht Hauptamtlichkeit, sondern Realismus. Womöglich gibt es Zwischenlösungen; der RBB probiert bezahlte Nebentätigkeit im Verwaltungsrat.“

Überzeugender als Stawowys „Reformvorschlag“ Nr. 2 sind deshalb Sondergelds Hinweise auf die tatsächlich bereits bestehende Praxis, u.a. den Reformstaatsvertrag:

„Die Aufgabe wäre, mit Blick auf ein Gremium mit begrenzter Mitgliederzahl ein gerechtes Repräsentationsmodell der Gesamtbevölkerung eines jeweiligen Sendegebiets plausibel zu machen, in dem also tatsächlich die „Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen“ (BVerfG 1961) mit Begründung ihrer Bedeutsamkeit in jeweils angemessener Repräsentanz vorkommen.

Ein praktischer Schritt in die richtige Richtung könnte sein, dass das Bremer Modell weiter Schule macht, nach dem Bürger:innen sich auf ausgeschriebene Sitze im Rundfunkrat bewerben und von einem Parlamentsausschuss gewählt werden können. So sieht auch der neue SWR-Staatsvertrag in § 14 Abs. 9 die Wahl von Mitgliedern aus der Mitte der Gesellschaft der beteiligten Bundesländer durch Fachausschüsse der jeweiligen Landtage vor. Bewerben können sich 18- bis 25-Jährige, zudem ein begrüßenswerter Ansatz, die Altersmischung im Rundfunkrat zu verbessern.“

Überzeugender ist Stawowy dort, wo er sich den Themen Programmbeobachtung und Programmqualität sowie Programmbeschwerden widmet. Stawowy plädiert in den Reformvorschlägen 4-6 dafür:

  • Das öffentlich wahrnehmbare Aufgabenspektrum der Aufsichtsgremien deutlich und sehr klar hin zur Programmbeobachtung zu verschieben und deren Ergebnisse transparenter zu dokumentieren.
  • Die Ergebnisse sämtlicher Programmbeobachtungen sollten öffentlich mit dem Publikum rückgekoppelt werden.
  • Die Beschwerde- und Eingabeverfahren sollten zur besseren Vergleichbarkeit vereinheitlicht

werden. Dazu gehört eine öffentliche Dokumentation der Programmbeschwerden in allen Stufen, schon vom Eingang bei der Intendanz an. Der Bericht des ZDF-Intendanten an den Rundfunkrat und die Berichtsform von Radio Bremen könnten hier als Vorbild dienen.

Ob diese Vorschläge geeignet sind, eine tatsächliche Verbesserung herbeizuführen, wäre zu prüfen. Es wäre allemal lohnenswerter, als – wiederum mit Sondergeld gesprochen –  eine „durch pauschale Gremienkritik und Parteienschelte genährte Vorstellung, aus dem Medienrat könnte oder sollte sich, u.U. vereint mit der Kommission für die Ermittlung des Finanzbedarfs KEF, dereinst eine Medienaufsichtsbehörde entwickeln“.

Mag sein, dass die Thesen von Peter Stawowys Untersuchung Im öffentlichen Auftrag durch mediale Rezeption die öffentliche Wahrnehmung der Otto-Brenner-Stiftung erhöht haben. Ob sie sich mit dieser Studie einen Gefallen getan hat, kann bezweifelt werden.

 

Transparenzhinweis:

Der Autor war von 2014 bis 2024 als Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Chef der Staatskanzlei für Medienpolitik zuständig und gehörte bis Anfang 2024 dem ZDF-Fernsehrat an.