Foodwatch, Dezernat Zukunft, Omas gegen Rechts und Co. - Wie politisch unliebsame Organisationen mit dem Gemeinnützigkeitsrecht unter Druck gesetzt werden
CDU und CSU behaupten, gemeinnützige Organisationen dürften sich nicht politisch äußern. Mit 551 Fragen an die Bundesregierung verunsichern sie gemeinnützige Organisationen, die sich für Demokratie und gegen rechts engagieren, wissenschaftliche Think-Tanks sowie Umwelt- und Verbraucherverbände. Die Ampelkoalition wollte das Gemeinnützigkeitsrecht modernisieren, ließ die Reform aber liegen. Jetzt droht eine von WELT, NIUS und anderen medial befeuerte restriktive Auslegung – mit weitreichenden Konsequenzen für NGOs.
Auf den letzten Metern des Bundestagswahlkampfs sorgte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz für Kritik. Beim Wahlkampfabschluss in München sagte er wörtlich: "Links ist vorbei. Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland" und fuhr fort, dass er wieder Politik für diejenige Mehrheit der Bevölkerung machen wolle, die "alle Tassen im Schrank" habe - und nicht "für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt".
Diese dichotome Sicht und abwertenden Aussagen erscheinen wenig geeignet, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, die als eine Schwäche des zeitgenössischen öffentlichen Gesprächs diagnostiziert wird.
Wer die Dynamik von Wahlkämpfen kennt, den Dauerstress und permanente öffentliche Beobachtung, die Anspannung im Schlussspurt, würde bei aller Kritik entschuldigend annehmen, dass diese Aussagen des Kanzlerkandidaten und Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU in der Hitze des Wahlkampfabschlusses fielen. Spontan und unüberlegt.
Angesichts der Bundestags-Drucksache 20/15035 erscheinen die Aussagen des designierten Bundeskanzlers in einem anderen Licht.
Zwei Tage vor der Bundestagswahl, aus der die Unionsparteien allen Umfragen gemäß als klarer Sieger hervorgingen sollten, reichte die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Deutschen Bundestag mit den Unterschriften von Friedrich Merz und Alexander Dobrindt eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Wissend, dass bis zum Amtsantritt der unionsgeführten Bundesregierung diese 551 Einzelfragen umfassende Kleine Anfrage von der amtierenden Bundesregierung nicht mehr beantwortet werden wird. Titel der Kleinen Anfrage: „Politische Neutralität staatlich geförderter Institutionen“.
In der Begründung zu der Kleinen Anfrage thematisieren die Fragesteller die Proteste gegen die CDU infolge der gemeinsamen Abstimmungen von Unionsfraktionen, FDP und BSW mit der rechtsextremen AfD. Sie unterstellen Organisationen, die zu den Protesten aufgerufen haben, unlautere und parteiische Ziele. Die Unionsfraktionen hinterfragen die politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen und argumentieren, dass gemeinnützige Vereine, die mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden, keine parteipolitische Einflussnahme betreiben dürften, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.
Besonders kritisiert wird die Förderung von Organisationen, die an den Protesten gegen die CDU beteiligt waren, etwa durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Es wird der Eindruck vermittelt, als ob die Förderung aus diesem Bundesprogramm mit dem Ziel erfolge, gegen die CDU zu mobilisieren. In dieser nicht auf Evidenz beruhenden Annahme der Fragesteller verstoße dies gegen das Gebot der politischen Neutralität, da staatliche Gelder nicht zur Unterstützung oder Bekämpfung politischer Parteien verwendet werden dürften.
Bemerkenswert ist, dass die Unionsfraktion in der Drucksache einleitend zwei Artikel aus der Tageszeitung Die Welt als Beleg für die Wahrhaftigkeit ihrer NGO-Kritik zitieren, darunter den Kommentar „Die gefährliche Macht der angeblichen NGOs“ des seit 31. Januar 2025 amtierenden Chefkommentators und Ressortleiters Meinungsfreiheit, Andreas Rosenfelder.
Der hinter der Paywall liegende Kommentar beginnt mit der Behauptung „Die NGOs sind in Deutschland längst ein Staat im Staate – und greifen, von der Bundesregierung mit Steuergeldern finanziert, in die demokratische Willensbildung ein. Wer eine andere Politik in Deutschland will, muss die manipulative Macht dieser verfassungswidrigen Institutionen brechen.“
Rosenfelder führt im Kommentar aus:
„Tatsächlich sind die regierungsnahen Strippenzieher der Anti-CDU-Proteste nur die Spitze eines politischen Eisbergs. Denn die NGOs sind längst ein Staat im Staate, ein Schattenstaat oder ‚Deep State‘, wie er im Buche steht. […] Sie verhindern als militante Diskursblockierer und Status-Quo-Verteidiger dringend notwendige Reformen – sei es in der Migrationspolitik, in der Sozialpolitik oder in der Energiepolitik. […] und sind, wie etwa die vermeintlich gemeinnützige Medienagentur ‚Correctiv‘ oder die dubiosen ‚Meldestellen für Hass im Netz‘, immer dann sofort zur Stelle, wenn es darum geht, abweichende Meinungen durch ‚Faktenchecks‘ als ‚Desinformation‘ zu diskreditieren.“
Rosenfelder bedient sich mehrerer klassischen rechtspopulistischen Narrativen, die sowohl im deutschen als auch im internationalen Diskurs verbreitet sind:
- Hierzu gehört zunächst das Narrativ des „tiefen Staates“ (Deep State), bei dem es sich um eine international verbreitete Verschwörungserzählung handelt, die nahelegt, dass demokratisch nicht legitimierte Netzwerke im Hintergrund die eigentliche Macht ausüben. Mit Blick auf die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Strukturen durch George Sorros, wird dieses Narrativ u.a. von Viktor Orbán repräsentiert.
- NGOs werden nicht als Ausdruck einer lebendigen Zivilgesellschaft verstanden, sondern als Manipulationsinstrumente dargestellt. Diese Darstellung ignoriert, dass viele NGOs genau das tun, was in einer Demokratie legitim ist: Sie setzen sich für bestimmte Themen ein, üben Kritik an politischen Entscheidungen und mobilisieren Bürger:innen.
- Indem NGOs unterstellt wird, gezielt „Oppositionsparteien zu bekämpfen“, wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben: Nicht rechtsextreme Positionen oder demokratiefeindliche Tendenzen werden kritisiert, sondern jene, die sich dagegen engagieren. Nicht die gemeinsame Abstimmung der demokratischen Parteien CDU/CSU und FDP mit der AfD ist kritikwürdig, sondern bei den Protesten handele es sich statt Empörung um von rot-grün staatlich geförderte Demonstrationen.
- Rosenfelder konstruiert ein extremes Bild von Staat und Gesellschaft als völlig getrennte Sphären. In modernen Demokratien ist eine enge Verbindung zwischen Staat und Zivilgesellschaft jedoch normal und erwünscht: Viele zivilgesellschaftliche Organisationen erhalten Förderungen, weil sie Aufgaben übernehmen, die im öffentlichen Interesse liegen (z. B. Umweltschutz, Menschenrechte, soziale Arbeit). Die Behauptung, es gebe eine „verfassungswidrige Einflussnahme“, bleibt unbelegt. Tatsächlich gibt es keine rechtliche Grundlage für ein generelles Verbot staatlicher Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen.
- Der Rosenfelder-Kommentar nennt gezielt politische Gegner – die Grünen, die SPD, journalistische Projekte wie Correctiv – und stellt sie als Teil eines undemokratischen Systems dar. Diese Strategie dient dazu, eine dichotome Welt zu konstruieren: Hier die „Wahrheit“ (verkörpert durch CDU/CSU und vermeintliche Kritiker:innen), dort das „System“, das unterdrückt und manipuliert. Die Konstruktion eines solchen Freund-Feind-Denkens ist typisch für populistische Rhetorik.
- Indem „Faktenchecks“ pauschal als „Diskreditierung abweichender Meinungen“ dargestellt werden, wird das Prinzip einer faktenbasierten Auseinandersetzung selbst infrage gestellt. Dies entspricht der gängigen Strategie, Kritik an Desinformation als Teil einer politischen Verschwörung umzudeuten.
Indem sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz, diesen Kommentar von WELT-Chefkommentator Rosenberger als Begründung einer die Scholz-Regierung kontrollierenden Kleinen Anfrage inhaltlich vollumfänglich zu eigen macht, muss er sich auch die normative Feststellung Rosenbergers als politisches Statement seiner künftigen Regierungspolitik zurechnen lassen:
„Ein politischer Neuanfang in Deutschland, das zeigt dieser Tage, wird nur dem gelingen, der es schafft, die undemokratische Macht der NGOs zu brechen.“
Demokratie lebt von der Zivilgesellschaft
Halten wir deshalb noch einmal fest: Demokratie lebt von pluralen Akteuren und nicht von einem „reinen“ Staat. Es ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich wünschenswert, dass NGOs mit Steuergeldern gefördert werden, wenn sie gesellschaftlich relevante Arbeit leisten. Schließlich erhalten auch Parteien, Unternehmen und Kirchen staatliche Unterstützung – NGOs künstlich auszuklammern, wäre willkürlich und würde den demokratischen Diskurs einseitig beschränken.
Zudem sind NGOs keine „verlängerten Arme der Regierung“. Viele dieser Organisationen stehen in einem kritischen Verhältnis zur Regierung – auch zu jener, die sie finanziert. Die Behauptung, sie würden lediglich eine „Fortsetzung der Regierungspolitik mit anderen Mitteln“ betreiben, ignoriert die Vielfalt zivilgesellschaftlicher Akteure und die zahlreichen NGOs, die unabhängig von staatlichen Geldern agieren oder sich explizit gegen bestimmte Regierungsentscheidungen positionieren.
Ein weiteres zentrales Problem des Textes ist das Fehlen konkreter Belege für die Behauptung einer „verfassungswidrigen Einflussnahme“. Obwohl schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden, bleibt der Nachweis aus. In Deutschland gibt es strenge Regelungen zur staatlichen Förderung, und wenn eine verfassungswidrige Einflussnahme tatsächlich vorläge, müsste sie juristisch nachgewiesen werden.
Nicht zuletzt ist die Rhetorik von den „militanten Diskursblockierern“ problematisch. NGOs wird pauschal demokratische Legitimität abgesprochen, während ihnen Manipulation unterstellt wird – allerdings ohne belastbare Beweise. Eine solche Argumentation erinnert an internationale Angriffe auf NGOs in autoritären Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Organisationen gezielt kriminalisiert werden. Auch die Diskreditierung von Faktenchecks folgt einem Muster, das in den USA unter Donald Trump oder in Ungarn unter Viktor Orbán zu beobachten war. Damit wird eine kritische Presse- und Zivilgesellschaft nicht als essenzieller Bestandteil der Demokratie anerkannt, sondern als Bedrohung dargestellt – ein Ansatz, der letztlich die demokratische Debattenkultur selbst infrage stellt.
Die Angriffe auf die Gemeinnützigkeit von Organisationen wie Amnesty International, dem Recherchenetzwerk Correctiv und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren sind Ausdruck einer politischen Auseinandersetzung über die Rolle der Zivilgesellschaft in der Demokratie. Die Debatte dreht sich um die Frage, inwieweit politische Betätigung mit dem Status der Gemeinnützigkeit vereinbar ist. Dabei zeigt sich eine restriktive Auslegung des Gemeinnützigkeitsrechts durch die Finanzverwaltung, die von politischen Akteuren genutzt wird, um missliebige Organisationen unter Druck zu setzen.
Gemeinnützigkeitsrecht als Knüppel
Das Gemeinnützigkeitsrecht in Deutschland basiert auf der Abgabenordnung (AO). Nach § 52 AO werden bestimmte Zwecke als gemeinnützig anerkannt, darunter Bildung, Wissenschaft, Umweltschutz und Völkerverständigung. Die politische Willensbildung ist jedoch kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck. Laut Bundesfinanzhof (BFH) dürfen gemeinnützige Organisationen politische Aktivitäten nur insoweit entfalten, wie sie der Verwirklichung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dienen und sich in "geistiger Offenheit" vollziehen.
Dieses restriktive Verständnis wurde in mehreren Fällen angewendet, um Organisationen die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Prominente Beispiele sind:
- Attac: Die globalisierungskritische Organisation verlor 2014 ihre Gemeinnützigkeit, da sie laut Finanzamt Frankfurt am Main "allgemeinpolitische Ziele" verfolge. Der BFH bestätigte diese Entscheidung 2019 und stellte klar, dass politische Kampagnen nicht mit der Gemeinnützigkeit vereinbar seien.
- Campact: Die Organisation verlor 2019 ihren Status, weil sie durch Kampagnen direkt auf politische Entscheidungen Einfluss nahm.
- VVN-BdA: Der antifaschistische Verband wurde 2019 als nicht gemeinnützig eingestuft, nachdem er in einem Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch beeinflusst“ bezeichnet worden war.
Verschiedene politische Akteure nutzen das restriktive Gemeinnützigkeitsrecht, um kritische Organisationen zu delegitimieren. Besonders die AfD forderte in der Vergangenheit gezielt den Entzug der Gemeinnützigkeit für zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Dies geschieht beispielsweise durch Anfragen in Parlamenten oder Anzeigen bei Finanzämtern.
Diese Methode übernimmt die CDU/CSU nunmehr wenige Wochen vor der Übernahme der Regierung. Das ist nicht weniger als ein Statement. Im bereits erwähnten WELT-Kommentar führte Rosenberger aus:
„In Deutschland ist dieses demokratische Prinzip bedroht – aber anders, als gerade überall behauptet wird, nicht in erster Linie durch die AfD. Bei der handelt es sich bislang noch um eine Oppositionspartei ohne jede Option auf exekutive Macht. Eine sehr viel weniger beachtete Gefahr geht ausgerechnet von jenen Organisationen aus, die sich als Vertreter der Zivilgesellschaft und Retter der Demokratie ausgeben.“
Anders als die AfD hat die CDU/CSU künftig exekutive Macht in Deutschland. Und mit der Kleinen Anfrage werden folgende Organisationen als Gefahr für das demokratische Prinzip in Deutschland stigmatisiert:
- Die Recherche- und Medieninstitutionen Correctiv gGmbH, Verein Neue deutsche Medienmacher*innen e. V. sowie Netzwerk Recherche e.V.
- Omas gegen Rechts Deutschland e.V.
- das Netzwerk Campact e.V.
- der globalisierungskritische Attac Trägerverein e.V.
- die Amadeu Antonio Stiftung, die eine Vielzahl von Demokratieprojekten fördert und initiiert und in Thüringen u.a. Träger des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft ist, zu der die Antisemitismus-Dokumentationsstelle RIAS Thüringen gehört
- die Tierschutzorganisationen Peta Deutschland e. V. sowie Animal Rights Watch e. V.
- die Verbraucherschutzorganisationen Foodwatch e. V. und Deutsche Umwelthilfe e.V.
- die Umweltorganisationen Greenpeace e.V. und BUND e.V.
- die wissenschaftlichen Think-Tanks Dezernat Zukunft e. V., Agora Agrar gGmbH, Agora Energiewende gGmbH.
Wie bizarr die hoch ideologisierte Denkweise hinter der Kleinen Anfrage der künftig stärksten Regierungsfraktion ist, offenbart sich beispielsweise in der Einzelfrage Nr. 278:
„Ist der Bundesregierung der Artikel der Wirtschaftswoche „Die Genossin und der Milliardär“ bekannt, worin Zeit-Moderatorin Anna Mayr mit den Worten zitiert wird ‚Das Dezernat hat sich im Grunde gegründet, um die Schuldenbremse zu zerstören“, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung diesen Sachverhalt vor den Anforderungen des parteipolitischen Neutralitätsgebots?“
Verschleppte Reform des Gemeinnützigkeitsrechts durch die Ampel
Hätten die Ampelparteien ihren Koalitionsvertrag konsequent umgesetzt, würde heute das Damoklesschwert Gemeinnützigkeitsrecht nicht mehr über zivilgesellschaftlichen Institutionen schweben. Denn seinerzeit formulierten SPD, Grüne und FDP:
- "Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch
die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke. Wir verbinden dies mit Transparenzpflichten für größere Organisationen." (S. 117)
- "Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus […] (S. 123)
- "Wir wollen das zivilgesellschaftliche Engagement durch die Stärkung gemeinnütziger Tätigkeit über Grenzen hinweg fördern. Wir wollen EU-Rechtsformen für Vereine und Stiftungen, die Äquivalenzprüfungen für Gemeinnützigkeit aus anderen Mitgliedstaaten vereinfachen und so grenzüberschreitende Spenden und Kooperationen EuGH-konform erleichtern.“ (S. 132f.)
- "Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Wir schaffen handhabbare, standardisierte Transparenzpflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung." (S. 165)
Diese Vorhaben wurden nicht umgesetzt. Zwar wurde im Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes, zu dem am 7. Oktober 2024 eine öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag stattfand, mit dem Vorschlag einer Demokratieklausel zumindest der Rechtsrahmen eröffnet, demzufolge sich gemeinnützige Organisationen im Einzelfall politisch äußern dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren, doch geht dies immer noch erheblich an den Zielen vorbei, die ursprünglich von den Ampelparteien formuliert wurden.
Die aus rund 200 Organisationen bestehende Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) machten in ihren Stellungnahmen in der Anhörung (Allianz hier und GFF hier) deutlich, welche Erwartungen sie an eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts stellen. Sie kritisierten, dass die gegenwärtige Rechtslage zu massiver Rechtsunsicherheit führt und demokratisches Engagement behindert. Die Allianz verweist darauf, dass selbst die EU-Kommission Deutschland für sein restriktives Gemeinnützigkeitsrecht kritisiert hat, da es den zivilgesellschaftlichen Raum einschränke.
Die beiden Organisationen formulierten drei Ziele:
- Die Klarstellung, dass politische Betätigung im Rahmen gemeinnütziger Zwecke zulässig ist: Gemeinnützige Organisationen sollen sich auch zu aktuellen politischen Themen äußern dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.
- Die Einführung neuer gemeinnütziger Zwecke, etwa zur Förderung der Demokratie, der Grund- und Menschenrechte sowie der Antidiskriminierung.
- Die Abschaffung der "geistigen Offenheit" als Kriterium, das Rechtsradikale nutzen, um demokratisch aktive Organisationen anzugreifen, indem sie auf eine "neutrale" Darstellung aller politischen Positionen pochen.
Den Diskurs entgiften
In einem LinkedIn-Kommentar zur Einordnung der Bundestagswahl formulierte Prof. Dr. Maja Göpel u.a. die Notwendigkeit, den Diskurs sofort zu entgiften und zu zivilen Debatten zurückzufinden. Die Begründungen, Ziele und Wirkungen von Politik evidenzbasiert transparent darzulegen sowie die Regierungsverantwortung der Lösung gesellschaftlicher Sorgen widmen. All diese Empfehlungen widersprechen der Ausrichtung der Kleinen Anfrage in der BT-Drs. 20/15035 mit der Unterschrift des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz.
Erinnern wir deshalb noch einmal daran, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine entscheidende Rolle in der politischen Willensbildung spielen, indem sie Missstände aufdecken, politische Entscheidungsträger mit Fachwissen unterstützen und gesellschaftliche Debatten anstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass nicht nur Parteien, sondern auch Verbände und Initiativen legitime Akteure der Demokratie sind.
Die Angriffe auf die Gemeinnützigkeit von Organisationen wie Amnesty International und Correctiv sind Teil einer größeren politischen Auseinandersetzung um den zivilgesellschaftlichen Raum. Die restriktive Auslegung des Gemeinnützigkeitsrechts schafft Rechtsunsicherheit und bietet autoritär-populistischen Kräften eine Angriffsfläche, um kritische Organisationen zu delegitimieren. Die christdemokratische und die christsoziale Union als Parteien der Mitte sollten der Versuchung widerstehen, sich mit einer solchen Haltung gemein zu machen. Die Kleine Anfrage sollte deshalb zurückgezogen oder einvernehmlich in die Rundablage wandern.
Stattdessen sollte die nächste Koalition eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts verabreden, um die Rolle der Zivilgesellschaft zu schützen und zu stärken.

Ich bin Sozialwissenschaftler und Vater. Knapp drei Jahrzehnte war ich tätig als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister und Chef der Staatskanzlei. Zuletzt erschien von mir im VSA-Verlag: "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird".
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog zu Gesellschaftspolitik, Kultur & Kunst, Parteien sowie jüdischem Leben.