06.02.2025
Benjamin-Immanuel Hoff
Rezension

Fünf Bücher gegen die AfD - und die Frage, wie wir sie stoppen

Jurist:innen, Wissenschaftler:innen und Politiker:innen fordern: Die AfD muss verboten werden. Im Bundestag wurde die Debatte eröffnet – doch gleichzeitig bröckelt die Brandmauer. In einer Sammelrezension stelle ich fünf Bücher vor, die sich mit den Strategien, Netzwerken und der gesellschaftlichen Wirkung der AfD und des autoritären Populismus beschäftigen.

Am Donnerstag, den 30. Januar 2025 debattiert der Deutsche Bundestag erstmals über die zwei Gruppenanträge (BT-Drs. 20/13750, BT-Drs. 20/14105), die darauf abzielen, die Verfassungswidrigkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen.

Der Tag der Debatte hätte nicht besser gewählt sein können. Auf den Tag genau 92 Jahre zuvor wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Am Vortag und am Tag nach der Debatte über ein AfD-Verbot stimmten die Fraktionen von CDU/CSU, AfD, FDP und der Gruppe des BSW erstmals planmäßig gemeinsam für parlamentarische Initiativen der Unionsfraktion zur Migrationspolitik. Erreichte ein Entschließungsantrag am Mittwoch, dem 29. Januar die Mehrheit, scheiterte am Freitag das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz an dem abweichenden Stimmverhalten eines guten Dutzend von liberalen CDU-Abgeordneten, die fast alle nicht mehr für den nächsten Bundestag kandidieren, sowie von 26 Abgeordneten der FDP, die der Fraktions- und Parteiführung in dieser Frage nicht zu folgen bereit waren.

Die Debatte über die Verbotsanträge verlief entlang der bekannten Linien, die ich hier auf dem Blog „Nachdenken im Handgemenge“ im Beitrag „Die Debatte über ein AfD-Verbot durch Handeln beenden“ bereits beschrieben hatte. Die einen argumentieren, dass das mögliche Scheitern eines nicht ausreichend konsistenten Verbotsantrags der AfD nützen könne, während die anderen damit argumentieren, dass ausreichend Anhaltspunkte vorliegen, um einen solchen konsistenten Antrag zu formulieren.

Der Unionsabgeordnete Marco Wanderwitz, einer der Initiatoren des Verbotsantrags in der Drucksache 20/13750 verwies in seinem Redebeitrag auf die 12-seitige  „Rechtswissenschaftliche Stellungnahme zu einem Parteiverbotsverfahren gegen die AfD“ von 17 Staatsrechtlern an den Deutschen Bundestag. "Die AfD ist danach nachgerade der prototypische Fall einer Partei, durch die die spezifischen Mechanismen der grundgesetzlichen wehrhaften Demokratie aktiviert werden sollten", schreiben die Wissenschaftler:innen. „Mildere Mittel wie den Antrag auf ein Verbot nur einzelner Landesverbände oder einen Ausschluss von der Parteienfinanzierung halten die Wissenschaftler:innen allenfalls als subsidiäre Hilfskonstrukte zu einem Verbotsantrag für sinnvoll“ fasst Pia Lorenz für beck-aktuell zusammen. Wanderwitz erinnerte zusätzlich an den von mehr als 600 Jurist:innen unterzeichneten Offenen Brief, initiiert vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), mit dem die Abgeordneten aufgefordert werden, sich für das Verbot der AfD einzusetzen.

„Sie sind Verfassungsfeinde, Sie sind Feinde unserer Demokratie, Sie sind Menschenfeinde“ (Marco Wanderwitz, CDU/CSU)

Wer sich selbst ein Bild von der AfD machen will, kann seit Kurzem auf das bislang unveröffentlichte Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die AfD aus dem Februar 2021 zugreifen, auf dessen Grundlage die Partei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde. Das Portal netzpolitik.org leakte das umfangreiche Dokument, aus der Überzeugung:

„Die Verfassungsschutz-Analyse ist ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte. Es gehört in die Öffentlichkeit und nicht in einen Panzerschrank neben dem Schredder.“ (Netzpolitik.org)

Die Zahl der Publikationen über die AfD füllt inzwischen ganze Regale. Dass die Quantität der Veröffentlichungen nicht in eine neue Qualität des Umgangs mit den Rechtsextremen umschlägt, sondern stattdessen die Brandmauer Stück für Stück abgetragen wird, ändert nichts an der Notwendigkeit der Aufklärung über die Gefahren, die von der AfD und ihren Netzwerken ausgehen. Fünf Publikationen, die im vergangenen Jahr erschienen sind, werden nachstehend in einer Sammelrezension besprochen.

 

Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat und wie wir sie stoppen

Philipp Ruch plädiert für ein AfD-Verbot. Er ist Gründer und künstlerischer Leiter des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS), das mit spektakulären Aktionen – etwa vor dem Wohnhaus Björn Höckes – Aufsehen erregte.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte er beim Ludwig-Verlag München ein Buch, das die AfD als existenzielle Bedrohung für die Demokratie analysiert. Es versteht sich als populärwissenschaftliche Übersetzung der Beweissammlung für ein mögliches AfD-Verbot, die das ZPS unter www.afd-verbot.de dokumentiert hat.

Ruch hat umfassend recherchiert und präsentiert zahlreiche Quellen, um die Gefährlichkeit der AfD zu belegen. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung enthält das Buch auch spekulative Elemente, etwa in Kapitel 3 („Deutschland 2029: Neues aus dem Bürgerkrieg“), wo Ruch ein düsteres Zukunftsszenario entwirft. Tanjev Schultz fragt in der Süddeutschen Zeitung berechtigt: „soll dieses viel zu konkret ausgeschmückte und viel zu genüßlich vorgetragene Szenario wachrütteln? Soll es witzig sein?“ Weder noch würde Ruch antworten und darauf beharren, dass er nicht weniger als künftige Realität beschreibt in seiner etwas mehr als 220 Seiten starken Publikation, die Schultz als „Wutbuch“ bezeichnet.

Überzeugend wiederum kritisiert Philipp Ruch jene, die eine Beteiligung der AfD an Landesregierungen befürworten, um sie „zu entzaubern“. Sein Plädoyer für ein Parteiverbot der AfD, bei der er sich positiv auf das Verbot der neonationalsozialistischen „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) 1952 bezieht, blendet er den Zusammenhang zum späteren KPD-Verbot und der sich darin ausdrückenden asymmetrischen Vergangenheitsbewältigung völlig aus. So leicht sollte man es sich nicht machen.

Sprachlich und stilistisch ist das Buch jedoch eine Herausforderung – nicht nur für jene, die Ruchs Argumentation grundsätzlich teilen, sondern auch für Leser:innen, die eine analytisch stringente Auseinandersetzung erwarten. Seine Vorliebe für pointierte Wortschöpfungen („pseudogermanische Blue-Man-Group“, „Bundeswildschwein“, „Elder Mephistopheles“) zieht sich durch das gesamte Buch. Formulierungen wie „Die Richter [in Karlsruhe] werden die pseudogermanische Blue-Man-Group das Fürchten lehren“ sind keine Ausnahme, sondern prägen den Text.

Auch seine Entscheidung, alle Funktionsbezeichnungen von AfD-Politiker:innen in Anführungszeichen zu setzen („Vorsitzende“, „Abgeordnete“), mag als symbolische Distanzierung gemeint sein, erschwert jedoch an vielen Stellen die Nachvollziehbarkeit. Darüber hinaus bleibt an vielen Stellen unklar, wen konkret er nun meint, wenn ausschließlich in Anführungszeichen gesetzte Funktionsbezeichnungen aber keine Namen Verwendung finden.

Ruch argumentiert mit historischen Analogien, die nicht immer überzeugen. Er verweist auf die Ermordung von Walther Rathenau und Matthias Erzberger sowie auf den frühen Tod Friedrich Eberts und stellt die kontrafaktische Frage, ob der Aufstieg Hitlers hätte verhindert werden können, wenn diese Männer länger gelebt hätten. Doch solche Alternativszenarien bleiben spekulativ und neigen dazu, historische Entwicklungen auf Einzelentscheidungen oder Persönlichkeiten zu reduzieren, statt strukturelle Faktoren zu analysieren.

Ein Beispiel für diese Verkürzung ist seine Darstellung des Gesetzes zum Schutze der Republik von 1922, das gegen rechtsextreme Gruppierungen gerichtet war. Ruch lobt dessen Wiederinkraftsetzung 1930 durch das Kabinett Brüning, geht aber nicht auf die begrenzte Wirksamkeit des Gesetzes ein. Er übersieht zudem die tief verwurzelte Feindseligkeit weiter Teile der Justiz, Beamtenschaft und des Militärs gegenüber der Weimarer Republik. Diese Institutionen sympathisierten oft mit der politischen Rechten und zeigten bei Vergehen von Links eine ganz andere Härte als bei rechtsextremer Gewalt. Die Kritische Justiz (Heft 2/2023) weist darauf hin, dass republikfeindliche Hetze von rechts häufig geduldet wurde, während kommunistische Bestrebungen als existenzielle Bedrohung behandelt wurden.

Ruchs These, eine Handvoll Politiker hätte durch entschlossenes Handeln den Gang der Geschichte aufhalten können, blendet solche strukturellen Realitäten aus.

Auch Ruchs Vergleich mit dem österreichischen Verbotsgesetz von 1947 greift zu kurz. Er hebt hervor, dass rechtsextreme Parteien in Österreich ohne aufwendige Verfahren verboten werden können, und suggeriert, dass dies als Schutzwall gegen autoritären Populismus wirke. Doch die politische Realität widerspricht dieser Annahme: Die FPÖ, Schwesterpartei der AfD, ist eine zentrale Macht in Österreichs Politik. Mit Herbert Kickl als Parteichef könnte sie sogar den Kanzler stellen – die erste offen rechtsextreme Regierungsspitze seit Engelbert Dollfuß 1933/34. Das österreichische Verbotsgesetz hat diesen Aufstieg nicht verhindert.

Ruchs Buch liefert eine detaillierte Dokumentation öffentlich zugänglicher Quellen zur AfD und hält fest: Niemand kann später behaupten, er oder sie habe nichts gewusst. Doch analytische Verkürzungen, spekulative Argumentationen und ein sprachlicher Stil, der mehr auf Zuspitzung als auf Klarheit setzt, schmälern die argumentative Stringenz.

Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat und wie wir sie stoppen, Ludwig Verlag München, 2024 (ISBN: 978-3-453-28175-2)

 

Michael Kraske/Dirk Laabs: Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD

Auch die beiden Journalisten Michael Kraske und Dirk Laabs plädieren eindeutig für ein Verbot der AfD. Mit ihrem beim C.H.Beck-Verlag 2024 erschienen Buch liegt eine sorgfältig recherchierte Dokumentation vor, die – sollte es zu einem Verbotsverfahren der AfD kommen – als Quellenbasis dienen kann.

Auf 350 Seiten und in drei Abschnitten gehen die beiden Autoren, die für frühere publizistische Arbeiten u.a. zur Radikalisierung in Deutschland mehrfach ausgezeichnet wurden, auf die konkreten Wirkungen der AfD-Einflussnahme ein. Sei es, wie die AfD „Seite an Seite mit Reichsbürgern, Neonazis und Demokratiefeinden“ marschiert, den digitalen Raum mit „Fake News und TikTok-Hits“ beherrscht oder wie die AfD die Kommunalpolitik zur „Kampfzone“ erklärt und zu beherrschen versucht.

Wer einmal zusammenzählt, wie groß die Zahl der Abgeordneten der AfD im Deutschen Bundestag und den Landtagen ist, in denen die Rechtsextremisten vertreten sind und diese Zahl mit der Summe der ihnen aus Staatsmitteln zur Verfügung stehenden Mitarbeitenden in den Fraktionen und den einzelnen Abgeordnetenbüros und Wahlkreisbüros multipliziert, kommt auf eine höhere vierstellige Zahl von Rechtsextremist:innen, die auf diese Weise finanziert werden. Diese wiederum nehmen in unterschiedlicher Weise, ob als Internet-Trolle, in Vereinen und Kommunen engagierte Personen Einfluss auf die Tagespolitik. Im Kapitel „Cashflow Parlament“ beschreiben Kraske/Laabs „Wie Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten die rechte Szene finanzieren“.

In den Kapiteln „Terrorverdächtige und extremistische Netzwerke – Die ultrarechten Kader der AfD“ sowie „Wenn die Wut unkontrollierbar wird – gewalttätige AfD-Mitglieder und Politiker“ malen sie das Bild einer Partei, die nicht nur in ihrer Sprache, sondern ihrer gesamten Struktur das Gegenteil des von ihr nach außen gezeichneten Bildes einer wertkonservativen Partei ist, sondern ein Sammelbecken für Gewaltphantasien, die sich nach Umsetzung sehnen. Vor diesem Hintergrund erst eröffnet sich die besondere Bedrohungsrelevanz des Infiltrierens von Staat, Justiz, Polizei und Bundeswehr durch AfD-Kader und -Mitglieder, auf die Kraske/Laabs im letzten Kapitel des ersten Buchabschnittes eingehen.

Der zweite Abschnitt diskutiert das Pro- und Contra eines AfD-Verbots, während im dritten Abschnitt „Demokratische Lösungen“ skizziert werden. Diese sind gut und richtig, auch wenn sie über erwartbare und eher allgemeingehaltene Vorschläge nicht hinausgehen.

In der Summe ist das Buch eine gut recherchierte und journalistisch ansprechend geschriebene Dokumentation, die insbesondere von denjenigen gelesen werden sollte, die der Auffassung sind, dass eine Partei, die gegenwärtig in Umfragen von einem Fünftel der bundesdeutschen Bevölkerung gewählt werden würde, nicht ignoriert oder verboten werden dürfe. Kraske und Laabs erläutern nachdrücklich die Gefahr, die von dieser Partei für unsere Demokratie und unser Gemeinwesen ausgeht.

Michael Kraske / Dirk Laabs: Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD, Verlag C.H.Beck, München, 2024 (ISBN: 978-3-406-82311-4)

 

Matthias Quent / Fabian Virchow (Hrsg.): Rechtsextrem, das neue Normal? Die AfD zwischen Verbot und Machtübernahme

Neben dem politischen Aktionskünstler Rucht, den Journalisten Kraske und Laabs legten im vergangenen Jahr auch die beiden Wissenschaftler Matthias Quent und Fabian Virchow einen Sammelband zum Rechtsextremismus, autoritären Populismus und der AfD vor.

Quent war Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, das mit seiner Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“, Forschungsprojekte wie z.B. „Radikalisierung auf Gaming-Plattformen und Messenger-Diensten“ aber auch durch die Antisemitismus-Dokumentationsstelle RIAS eine über die Grenzen Thüringens hinaus unverzichtbare Demokratiearbeit leistet. Seit 2021 hält Quent eine Professur für Soziologie für die Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sein Mitherausgeber Fabian Virchow ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Theorien der Gesellschaft und politischen Handelns an der Hochschule Düsseldorf. Zudem leitet er den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA).

Der Sammelband versammelt Beiträge von Expert:innen aus Wissenschaft, Medien, Zivilgesellschaft und Politik und überzeugt durch einen breit eingestellten Fokus, der über die AfD hinausreicht.

Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre, dem grundlegende Forschungsarbeiten für eine Soziologie der Arbeitswelt zu verdanken sind und der sich mit seinem Team seit vielen Jahren dem Bewusstsein der Industriearbeiter:innen widmet, legt ein Kondensat dieser Erkenntnisse im Beitrag „‘Stolz, Arbeiter:in zu sein!‘: Vom Aufbegehren der Vergessenen“ vor.

Der an der Universität Kassel und dem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) tätige Wissenschaftler Wolfgang Schroeder vergleicht die beiden Parteien des bundesdeutschen autoritären Populismus miteinander. Angesichts der jungen Geschichte des BSW bis zum Sommer des vergangenen Jahres kann es sich bei der Betrachtung dieser Partei im Aufsatz „Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht: Die verlorene Mitte – Aufstieg der Extreme?“ nur um eine vorläufige Bilanz handeln. Beide Parteien jedoch miteinander zu vergleichen, und zwar nicht als Gegensatz, sondern Geschwister, ist wiederum naheliegend und sollte fortgeführt werden.

Von Österreich war in dieser Sammelrezension bereits am Beispiel der verkürzten Sichtweise Philipp Ruchts die Rede. Der österreichische Publizist Robert Misik, der fünf Jahre zuvor im Suhrkamp-Verlag mit „Die falschen Freunde der einfachen Leute“ bereits ein Standardwerk vorgelegt hat, beschreibt in seinem Beitrag die FPÖ als „Role Model der europäischen extremen Rechten“ und ihre Radikalisierung.

Weitere 14 Aufsätze des Sammelbandes widmen sich der AfD aus unterschiedlichen Perspektiven, wie beispielsweise ihrem Verhältnis zum Antisemitismus (Jannis Niedick und Marc Grimm), ihrer Rolle als politischem Arm des Rechtsterrorismus (Matthias Quent), der Frage, ob sie eine Protestpartei sei (Kai Arzheimer) und wer die Partei warum wählt (Beate Küpper und Andreas Zick) bzw. der „AfD im Aufwind und das Verstummen der Mitte“ (Jana Faus). Liane Bednarz analysiert „Die Rechtsradikalisierung im Bürgertum“. Johannes Hilje betrachtet „Die AfD als digitale Protestpartei“, Pia Lamberty die „Verschwörungserzählungen und die AfD“.

Weitsichtig beschreibt die Journalistin Ann-Katrin Müller, wie die CDU die Gefahr der AfD für sich selbst nicht erkennt. Man hätte sich gewünscht, dass Friedrich Merz und all diejenigen Abgeordneten von CDU und CSU, die jüngst mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache machten. Einer der es nicht tat, Marco Wanderwitz begründet seine Position im Beitrag „Die AfD verbieten? Ja, ja und ja!“.

In der Folge „Reparaturbonus für defekte Debatten“ meines Podcast „Kunst der Freiheit“ analysierte die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach das Dilemma der nichterfolgreichen Strategien im Umgang mit der AfD. Denn bislang führten weder die Brandmauer bzw. der Cordon Sanitaire noch die Integration der Rechtspopulisten in Regierungsverantwortung dazu, dass ihr Einfluss abnahm oder sie entzaubert wurden.  Im Sammelband beschreibt Anna-Sophie Heinze den schwierigen Umgang mit der AfD inner- und außerhalb der Parlamente. Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner – der ebenfalls bereits Gast in einer Folge von „Kunst der Freiheit“ war – beschreibt in seinem Mut machenden und zur Wiederholung anregenden Beitrag „#NordhausenZusammen: Wie ein zivilgesellschaftliches Bündnis einen AfD-Oberbürgermeister verhinderte“.

Claus Leggewie unterbreitet in seinem Beitrag „Wo bleiben die Demokraten?“ zehn konkrete Vorschläge:

  1. Weitere investigative Recherchen zu Netzwerken, Finanzierung, Treffen und Mitarbeiter:innen
  2. Professionalisierung des Widerstands, Crowdfunding
  3. Pro-bono-Plakatierung entlarvender AfD-Forderungen
  4. Störmanöver in den sozialen Medien der AfD
  5. Besuche in Bürgersprechstunden von AfD-Abgeordneten
  6. Unterstützung regionaler Initiativen (Manpower, Ideen, Logistik)
  7. Mobilisierung zur Europawahl, vor allem der 16- bis 18-jährigen Neuwähler:innen
  8. Intensivierung der „Brandmauer“-Debatte in der CDU/CSU
  9. Themenwechsel z.B. im überfraktionen „Klima-Caucus“ in Bundes- und Landtagen
  10. Mehr Demokratie: gut funktionierende Bürger:innenräte auf kommunaler Ebene.

Es liegt in der Natur eines solchen Sammelbandes, ist aber auch die einzige Schwäche dieses Buches, das diese Vorschläge undiskutiert bleiben, obwohl die Diskussion dieser Vorschläge und die Prüfung auf Evidenz, Vor- und Nachteile z.B. durch die Autor:innen der weiteren Beiträge zu spannenden Ergebnissen und möglicherweise wirkungsvolleren Vorschlägen geführt hätte.

Dies gilt in gleicher Weise für die von Judith Rahner und Simone Rafael unterbreiteten Überlegungen im Beitrag „Die blaue Welle brechen – was können wir tun gegen AfD und rechtsextreme Ideen?“. Beide Autorinnen betrachten hierbei die Sektoren: Kommune, Politik, Verwaltung, demokratische Zivilgesellschaft, Medien und soziale Medien, Unternehmen und Einzelhandel, Schulen und politische Bildung sowie unser eigenes Agieren im Alltag. Der Beitrag ist ein unmissverständliches Plädoyer gegen Appeasement und Zugeständnisse an die AfD und ihre Netzwerke.

„Rechtsextrem, das neue Normal?“ bietet eine fundierte und umfassende Analyse der AfD und ihrer Bedrohung für die Demokratie. Es dient als wertvolles Werkzeug für alle, die sich aktiv gegen rechtsextreme Tendenzen engagieren und die demokratische Ordnung schützen möchten.

Matthias Quent / Fabian Virchow (Hrsg.): Rechtsextrem, das neue Normal? Die AfD zwischen Verbot und Machtübernahme, Piper Verlag, München 2024 (ISBN: 978-3-492-07317-2)

 

Florian Spissinger: Die Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative, Praktiken und Räume zum Wohlfühlen

Mit seiner Dissertation Die Gefühlsgemeinschaft der AfD legt der Politikwissenschaftler Florian Spissinger beim Verlag Barbara Budrich eine tiefgehende Analyse der affektiven Dynamiken innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD) vor. Zwischen 2018 und 2021, während seiner Zeit als Promotionsstipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, widmete er sich der Frage: Wie gelingt es der AfD, dass sich deren Unterstützerinnen bei einer für viele Menschen abstoßenden Partei wohlfühlen?

Seine ethnografische Forschung führte ihn zu Vortragsveranstaltungen, Stammtischen und Wahlkampfständen der AfD. Dort beobachtete er, wie die Partei eine emotionale Gemeinschaft formt, die nicht nur durch Angst und Ablehnung, sondern auch durch positive Gefühle wie Stolz, Zusammenhalt und Selbstaufwertung stabilisiert wird. Im Interview mit dem Verlag Barbara Budrich führt Spissinger aus: „Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die AfD-Gemeinschaft moralisch entlastende, attraktive und ermächtigende Gefühlspositionen bereitstellt: Wer mitmacht, kann sich beispielsweise als Hoffnungsträger*in Deutschlands, als Zukunftsgestalter*in, als kritische Aufklärer*in, als Freiheitskämpfer*in, als wahre Naturschützer*in und dergleichen mehr fühlen. Solche (verdrehten) Rollen und Gefühlspositionen gehen damit einher, die politische Welt auf eine bestimmte Weise zu deuten und zu erleben. Ein Beispiel: Wer Kritik an der AfD als Ausdruck einer ‚linken Meinungsdiktatur‘ einordnet, muss diese inhaltlich nicht ernst nehmen und kann sich zugleich selbst im ‚demokratischen Widerstand‘ fühlen.“

Kritische Einwände prallen an dieser neurechten Gefühlsgemeinschaft weitgehend ab, da die Ablehnung von Zuwanderung und Klimaschutz in diesen Kreisen als gut und clever empfunden wird.

Spissingers Analyse, die dankenswerterweise als Open Access zur Verfügung steht und dadurch als pdf-Datei frei zugänglich ist, gliedert sich in drei zentrale Abschnitte:

  1. Zuwanderung und Klimaschutz: Die neurechte Gefühlswelt zwischen nationalem Niedergang und Widerstand
    Hier zeigt der Autor, wie die AfD Bedrohungsnarrative konstruiert, um Angst und Empörung zu erzeugen. Diese Gefühle werden als Basis für ein gemeinsames Wir-Gefühl genutzt.
  2. Die neurechte Gefühlswelt einer antitotalitären Aufklärungsgemeinschaft
    Spissinger beschreibt, wie die AfD ihre Anhänger:innen davon überzeugt, dass sie sich gegen eine vermeintlich totalitäre Meinungsdiktatur behaupten müssen. Die Partei inszeniert sich als Bastion der Freiheit, während der politische Mainstream als unterdrückend dargestellt wird.
  3. Rechte Gefühlspolitik jenseits von „negativen“ Emotionen und rhetorischer Verführung
    In diesem Abschnitt beleuchtet Spissinger die positiven emotionalen Angebote der AfD: Die Partei vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit, Stolz und Selbstermächtigung, das für viele Anhänger*innen attraktiver ist als rein destruktive Ressentiments.

Für diese präzise und methodisch überzeugende Untersuchung wurde Spissinger 2023 mit dem Dissertationspreis des Verlags Barbara Budrich ausgezeichnet. Zudem wurde seine Arbeit für den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung in der Kategorie Sozialwissenschaften nominiert.

Sein Buch liefert nicht nur wertvolle Erkenntnisse über die emotionale Architektur der AfD, sondern regt auch dazu an, die Rolle von Emotionen in der politischen Mobilisierung generell neu zu betrachten. Die Gefühlsgemeinschaft der AfD ist eine fundierte und relevante Analyse für alle, die verstehen wollen, warum sich Menschen trotz – oder gerade wegen – der radikalen Positionen in der AfD emotional beheimatet fühlen.

Florian Spissinger: Die Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative, Praktiken und Räume zum Wohlfühlen, Verlag Barbara Budrich, Opladen, 2024 (ISBN: 978-3-8474-3063-6)

 

Sabrina Schenk: Populismus und Protest: Demokratische Öffentlichkeiten und Medienbildung in Zeiten von Rechtsextremismus und Digitalisierung

Der Sammelband von Sabrina Schenk, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften an der TU Braunschweig, ebenfalls beim Verlag Barbara Budrich herausgegeben, bietet eine tiefgehende Analyse der Wechselwirkungen zwischen Populismus, Protestbewegungen und den Transformationsprozessen durch Digitalisierung. Dabei werden insbesondere die veränderten Aufmerksamkeitsökonomien und Affektpolitiken betrachtet, von denen rechtspopulistische Akteur*innen profitieren.

Die Beiträge gehen auf eine Arbeitsgruppe zurück, die auf einem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) initiiert wurde, um diese Phänomene aus pädagogischer Perspektive zu beleuchten. Der Sammelband richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Studierende der Erziehungswissenschaft, Medienpädagogik und Politischen Bildung sowie an Praktikerinnen, die sich mit den Themen Digitalisierung, Demokratie und Rechtsextremismus auseinandersetzen.

In ihrer Einleitung skizziert Schenk die gegenwärtigen Problemlagen der Demokratie, darunter Politikverdrossenheit, Postfaktizität und fragmentierte Öffentlichkeiten. Sie identifiziert drei zentrale Ebenen der Problembeschreibung: die Legitimitätsprobleme demokratischer Beteiligung, die Infragestellung rationaler Deliberation durch emotionale Politikstile und die Unordnung, die durch digitale Öffentlichkeiten entsteht.

Diese Überlegungen werden in neun Beiträgen klug und informativ aufgefächert:  

  1. Alfred Schäfer, Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Systematische Pädagogik an der Universität Hamburg, untersucht in “Das Öffentliche als politisch-pädagogischer Zwischenraum“ das Paradox der Repräsentation und diskutiert das Öffentliche als Raum, in dem sich der Souverän und seine politische Repräsentation vermitteln.
  2. Anke Engemann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bremen, und Christiane Thompson, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildungstheorie und Bildungsforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, analysieren im Beitrag mit dem Eyecatcher-Titel „Selbst der dümmste, durch die Bildungsinflation an die Universität geschwemmte Student könnte das“: Zur Pädagogisierung und Politisierung der Universität in rechtspopulistischen Online-Medien“ die Darstellung von Universitäten in rechtspopulistischen Online-Medien und thematisiert die Politisierung und Pädagogisierung der Hochschulen.
  3. Ralf Mayer und Julia Sperschneider, beide sind wissenschaftliche Mitarbeiter:in am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen, diskutieren in „Die Emotionalität des Ausdrucks: Empörung – und der Streit um Urteile, Gründe und legitime Positionen des Sprechens“ die Rolle von Empörung im öffentlichen Diskurs und hinterfragen die Legitimität von Urteilen und Sprechpositionen.
  4. Britta Hoffarth, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, setzt sich im Beitrag „Populismus, Emotionalisierung und die Tugend der Kritik“ mit der Verbindung von populistischer Rhetorik und Emotionalisierung auseinander und plädiert für eine reflexive Kritik.
  5. Tino Heim: In Populistische Protestartikulation und intellektuelle Reaktionen: Zum Zusammenhang von postfaktischer Politik, Expertokratie und positivistischer Wissenschaft analysiert Heim die Spannungen zwischen populistischen Bewegungen und wissenschaftlichen Expertisen und diskutiert die Auswirkungen postfaktischer Politik.
  6. Valentin Dander, Privatdozent am Institut für Soziologie der Technischen Universität Dresden, hinterfragt in „Medienbildung und der digitale Faschismus: Normative Anfragen an medienpädagogische Kernkonzepte“ die Grundlagen der Medienpädagogik im Kontext digitaler Technologien und fordert eine kritische Reflexion angesichts digitaler Propaganda.
  7. Juliane Ahlborn, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Dan Verständig, : Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Universität Magdeburg, untersuchen in „Programmierter Protest? Ausdrucksformen des Widerstands im digitalen Zeitalter“ neue Formen des Protests im digitalen Zeitalter und analysieren die Verbindung von programmierten und spontanen Elementen.
  8. Harald Gapski, Leiter des Bereichs Forschung am Grimme-Institut beleuchtet in „Algorithmische Sozialtechnologien als neue Bildungsherausforderungen: Eine systemtheoretische Betrachtung zu Big Data Analytics und Social Scoring“ die Auswirkungen von Big Data und algorithmischen Entscheidungsprozessen auf Bildungsprozesse und diskutiert die Herausforderungen durch Social Scoring.
  9. Estella Ferraro, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main reflektiert in: „Zum Verhältnis von Daten, Agency und Selbst: Schokolade ist sehr viel mehr als Schokolade“ über die Beziehung zwischen digitalen Datenpraktiken und dem Selbstverständnis des Individuums und diskutiert die Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung.

Der Sammelband, der ebenfalls als Open Access zur Verfügung steht und dadurch als pdf-Datei frei zugänglich ist,  überzeugt durch seine interdisziplinäre Herangehensweise und die Vielfalt der Perspektiven. Er bietet fundierte Analysen zu den komplexen Wechselwirkungen von Populismus, Protest und Digitalisierung und leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der aktuellen Herausforderungen für demokratische Öffentlichkeiten und die Medienbildung.

Sabrina Schenk (Hrsg.): Populismus und Protest. Demokratische Öffentlichkeiten und Medienbildung in Zeiten von Rechtsextremismus und Digitalisierung, Verlag Barbara Budrich, Opladen, 2024 (ISBN: 978-3-8474-3033-9)

 

 

Über mich
Foto von Benjamin Hoff

Ich bin Sozialwissenschaftler und Vater. Knapp drei Jahrzehnte war ich tätig als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister und Chef der Staatskanzlei. Zuletzt erschien von mir im VSA-Verlag: "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird".

Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog zu Gesellschaftspolitik, Kultur & Kunst, Parteien sowie jüdischem Leben.

Buchcover
Neue Wege gehen
Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Buchcover
Über die Praxis linken Regierens
Die rot-rot-grüne Thüringen-Koalition
Sozialismus.de Supplement zu Heft 4/ 2023
Rückhaltlose Aufklärung?
NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungs­ausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl
Erschienen im VSA-Verlag.