Here Comes the Sun: Drei Plädoyers für die Zuversicht
Angesichts der drängenden Stapelkrisen – vom Klimawandel über geopolitische Spannungen bis hin zu sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheiten – ist ein Blick nach vorne wichtiger denn je. Das Jahr 2024 hat uns viel abverlangt und auch das kommende Jahr verspricht kaum Entspannung. Umso wichtiger, die Zuversicht nicht zu verlieren. Maren Urner, Ulrich Grober und Ulrich Schnabel haben sich im zur Neige gehenden Jahr bzw. bereits mit etwas Abstand Gedanken dazu gemacht. Sie einzeln oder gemeinsam in die Hand zu nehmen bietet wertvolle Impulse, um in diesen herausfordernden Zeiten Hoffnung zu schöpfen.
Während Schnabel aufzeigt, wie innere Freiheit und reflektierte Zuversicht uns handlungsfähig machen, fordert Urner, Emotionen als integralen Bestandteil kluger Entscheidungen anzuerkennen. Grober ergänzt diese Perspektiven durch die kraftvolle Bedeutung einer Sprache, die Vertrauen und Orientierung stiftet. Gemeinsam laden diese Werke dazu ein, trotz aller Widrigkeiten die Möglichkeiten des Miteinanders zu sehen – und Mut zu schöpfen, die Zukunft aktiv zu gestalten. Ein Plädoyer für den Glauben an das Machbare und die Kraft des konstruktiven Handelns in der Akzeptanz unserer Emotionen.
Radikal emotional
Dass das Private politisch ist, ist seit langem bekannt. Dass das Politische emotional ist und warum dies nicht schlecht ist, sondern gut, erläutert die Neurowissenschaftlerin Maren Urner in ihrem 2024 bei Droemer Knaur erschienenen Buch „Radikal emotional. Wie Gefühle Politik machen“.
Radikal Emotional fordert dazu auf, die gängige Trennung zwischen Emotionen und Rationalität zu überdenken. Werte und Überzeugungen – und damit auch unsere Entscheidungen – sind von Emotionen geprägt. Umso illusorischer ist die, vorwiegend von Männern geprägte, Vorstellung einer rein rationalen Politik, die Konflikte verstärkt statt reduziert.
Politik beschreibt Maren Urner als zutiefst persönlichen Prozess: ein Verhandeln von Werten, Ängsten und Hoffnungen, das unweigerlich von Gefühlen durchdrungen ist. Diese Dimension müsse nicht unterdrückt, sondern aktiv in den politischen Diskurs integriert werden, um nachhaltige und ehrliche Lösungen zu finden. Besonders eindrücklich verdeutlicht sie dies am Beispiel politischer Kommunikation. Während ein emotionsloser Stil, wie ihn Olaf Scholz kultiviert, oft als unnahbar empfunden werde, eröffne eine offenere und emotionale Herangehensweise, wie sie beispielsweise Annalena Baerbock zeige, zumindest Möglichkeiten zum Dialog.
Ein zentrales Thema des 288 Seiten starken Buches ist die Rolle von Angst, die laut Urner viele politische Debatten dominiert und langfristiges Denken blockiert. Angst, so zeigt sie, versperrt jene Hirnareale, die für strategische Planung und Weitsicht entscheidend sind. Dem stellt sie Neugier als entscheidende Ressource für Innovation und Lösungsorientierung gegenüber. Nur durch Neugier könne man neue Perspektiven einnehmen und den Mut aufbringen, über bestehende Strukturen hinauszudenken.
Urner geht jedoch noch einen Schritt weiter: Sie fordert nicht nur das Zulassen von Gefühlen, sondern eine Kultur der emotionalen Reife. Ehrliche Selbstreflexion und der bewusste Austausch über Emotionen seien unverzichtbar, um gegenseitiges Verständnis und eine konstruktive Kommunikation zu fördern. Mit der humorvollen Metapher des Menschen als „emotionaler Blob“ macht sie deutlich, wie sehr unser Denken und Handeln von Gefühlen beeinflusst wird, und plädiert dafür, diesen Umstand nicht nur anzuerkennen, sondern aktiv zu nutzen.
Neben ihren theoretischen Überlegungen bietet Urner auch praktische Ansätze, um Emotionen und Verstand besser zu integrieren. Sie zeigt, wie Emotionalität als Stärke genutzt werden kann, um neue Wege in der politischen Debatte und im gesellschaftlichen Miteinander zu eröffnen. Dabei bleibt sie stets nah an der Praxis und liefert konkrete Werkzeuge, die helfen können, den Alltag – ob privat oder politisch – konstruktiver zu gestalten.
Radikal Emotional ist ein fesselndes und kluges Buch, das nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch Mut macht, eine empathischere und ehrliche Debattenkultur zu entwickeln. Eine Politik, die Emotionen nicht verleugnet, sondern integriert, schafft nicht nur Raum für Innovation und Neugier, sondern auch für die Wiederentdeckung der Kraft der Solidarität und eines neuen Miteinanders.
Maren Urner, Radikal emotional. Wie Gefühle Politik machen, Droemer Knaur, München 2024 (ISBN: 978-3-426-44776-5)
Die Sprache der Zuversicht
„Ein interessantes Buch, welches noch interessanter wäre, wenn es nicht ganz so persönlich wäre“, formulierte ein Leser in einer Kritik zu dem von Ulrich Grober bereits 2022 beim Münchner oekom-Verlag erschienenen Buch „Die Sprache der Zuversicht“.
Im Sinne von Maren Urners Plädoyer hatte und hat Ulrich Grober ersichtlich keine Schwierigkeit damit, Emotionen zum Ausgangspunkt und Gegenstand seiner Überlegungen zu machen. „Die Erde ist der schönste Stern am Firmament. Und: Das Leben ist gut. Das sind die beiden Setzungen, die dieses Buch vornimmt. […] Es handelt von der orientierenden Kraft der Sprache“ formuliert Grober in der Einleitung seines Buches.
Wer bereit ist, sich mit dem passionierten Wanderer Grober auf den Weg zu machen, wird auf den sechs Kapitel-Stationen auf alte Bekannte treffen, über die nachzudenken und neu zu entdecken bisher der Blick gefehlt hat. Oder haben Sie sich schon einmal mehr als Sie für nötig hielten mit der Herkunft und Bedeutung des alltäglichen Ausrufes „wow“ Gedanken gemacht?! „Es hat eine schöne Leichtigkeit. Schon der Wortkörper ist purer Minimalismus. Eine Silbe, zwei Laute. […] WOW und OH WEH. Verzauberung einerseits, Bewältigung von Angst, Leid und Wehmut auf der anderen Seite. Zwischen beiden Polen spielt sich das Leben im 21. Jahrhundert ab. Wir werden dafür beide Worte dringend brauchen. Entscheidend ist eine Balance zwischen den beiden Stimmungen und Gefühlslagen zu finden und zu halten“ meint Grober und beschreibt damit auch seinen Zugang zu Zuversicht. Es ist die Fähigkeit, Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit zu entwickeln – die Überzeugung, dass das eigene Handeln auch im noch so kleinen bedeutsam ist, weil es etwas ausrichtet und sich die Größe im kollektiven Handeln der Vielen beweist.
Ulrich Grober, geboren 1949, bringt die Erfahrung einer Generation mit, die vielen seiner heutigen Leser:innen noch nicht zugänglich war. Dieser Umstand ist jedoch kein Nachteil. Anders als manche Altersgenossen vermeidet Grober, obwohl er über sich und selbst Erlebtes schreibt, nicht sich zu überhöhen, sondern den Ausgangspunkt seines Buches im Blick zu behalten: Nachhaltigkeit, Zuversicht und die dafür notwendige Sprache – Themen, die er mit einer ruhigen und klaren Herangehensweise vermittelt.
Besonders deutlich wird dies in Kapitel 3: Ikone Erde – Die Gaia-Perspektive. Grober verknüpft in besonderer Weise die legendäre „We choose to go tot he Moon“-Rede, die John F. Kennedy im September 1962 an der Rice-University Houston hielt, mit der „In today already walks tomorrow“-Rede, die Rachel Carson wenige Wochen zuvor am Scripps-College hielt und einer wunderbar sensiblen Beschreibung derjenigen Situation, in der der Astronaut Harrison Schmitt auf der Reise zur ersten Mondlandung die ikonischen „Blue marble“-Bilder der Erde fotografiert und sein Gespräch mit der Bodenstation über den „fragilen blauen Globus“ führt. Allein für diese sprachlichen Ausflüge lohnt sich das Buch. Es wird insbesondere in diesen Passagen dem selbstgesetzten Anspruch gerecht, Inspirationen und Impulse für eine bessere Welt durch eine Sprache der Zuversicht zu erzeugen. Wem angesichts der vielen Stapelkrisen und rhetorischen Schlägereien in den sozialen Netzwerken die Zuversicht verloren zu gehen droht, sollte dieses Buch zur Hand nehmen.
Ulrich Grober, Die Sprache der Zuversicht. Inspirationen und Impulse für eine bessere Welt, oekom Verlag, München 2022 (ISBN: 978-3-96238-368-8)
Zuversicht – Die Kraft der inneren Freiheit
Ulrich Schnabels Buch „Zuversicht – Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je“ erschien bereits 2018 und wurde 2023 beim Pantheon-Verlag, dessen Bücher eine besondere Haptik aufweisen, neu aufgelegt. Schnabel lädt ebenfalls zu ein, den Blick von der lähmenden Allgegenwart schlechter Nachrichten und Krisen hin zu einer aktiven, mutigen Lebenshaltung zu lenken. Mit feiner Balance zwischen wissenschaftlicher Fundierung, persönlichen Geschichten und praktischen Anregungen erkundet Schnabel, wie wir inmitten von Unsicherheit und Wandel eine Haltung der Zuversicht entwickeln können. Und er macht klar, dass sein Verständnis von Zuversicht weit entfernt sind von jenem „prolligen Vetter Optimismus, der mit fetten Fingern in die Zukunft weist, mit diesem ‚Ach-das-wird-schon‘“. Denn die Zuversicht „hat schmerzliche Kenntnis von der großen Zahl ihrer Widersacher“. (S. 20)
Zuversicht ist gerade keine naive Verleugnung von Problemen, sondern eine bewusste Entscheidung, trotz widriger Umstände handlungsfähig und offen für positive Möglichkeiten zu bleiben. Hierbei knüpft er an Erkenntnisse aus Psychologie, Neurobiologie und Philosophie an und illustriert sie mit lebendigen Beispielen.
Schnabels Überlegungen verbinden sich in diesem Sinne mit Maren Urners Ansatz in Radikal Emotional. Beide Autor:innen legen Wert darauf, die emotionale Dimension unseres Denkens und Handelns anzuerkennen. Während Urner betont, dass Emotionen integraler Bestandteil jeder Entscheidung sind und nur durch deren bewusste Einbeziehung konstruktive Lösungen möglich werden, zeigt Schnabel auf, wie eine zuversichtliche Haltung – gestützt durch emotionale Klarheit – zur Grundlage für kreative Handlungsfähigkeit wird. Beide Bücher fordern eine Neuausrichtung unserer Wahrnehmung: von Angst und Abwehr hin zu einem zugewandten und lösungsorientierten Denken, das von Gefühlen und Verstand gleichermaßen getragen wird.
Zwischen den sieben Kapiteln des Buches präsentiert Schnabel Persönlichkeiten und Lebensgeschichten, aus denen Zuversicht abgeleitet werden kann, da sie Brüche und Widersprüche überwunden haben. Und er gewährt Blicke auf das „Kreativlabor der Jugend“ aufgrund der „schöpferischen Seite der Unsicherheit“, die ohne, dass der ZEIT-Redakteur dies beabsichtigt hat, zugleich auch ein mit auf den Weg der Lesereise gegebener Rat ist. Danke dafür.
Das Schlusskapitel, in dem Schnabel ein "Erste-Hilfe-Programm für Fälle akuter Hoffnungslosigkeit" skizziert, erweist sich als besonders praxisnah. Es enthält konkrete Vorschläge, wie man Zuversicht im Alltag stärken kann – von achtsamen Pausen bis zur bewussten Entscheidung, den Fokus auf positive Aspekte zu lenken. Dieses Kapitel macht das Buch nicht nur lesenswert, sondern auch unmittelbar anwendbar.
Insgesamt ist Zuversicht ein Buch, das inspiriert, ohne zu belehren. Es lädt dazu ein, auf eine Weise aktiv zu werden, die von Hoffnung, Eigenverantwortung und einem Blick für das Mögliche geprägt ist. Schnabel gelingt es, sowohl zum Nachdenken als auch zum Handeln anzuregen und deshalb ist sein Buch eine wertvolle Begleitung in diesen Zeiten.
Ulrich Schnabel, Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je, Pantheon-Verlag München 2023 (ISBN: 978-3-570-55484-5)
Ich bin Sozialwissenschaftler und Vater. Knapp drei Jahrzehnte war ich tätig als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister und Chef der Staatskanzlei. Zuletzt erschien von mir im VSA-Verlag: "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird".
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog zu Gesellschaftspolitik, Kultur & Kunst, Parteien sowie jüdischem Leben.