Zwischen Antisemitismus und Hitlergegnerschaft von rechts: Der Künstler A. Paul Weber im Fokus
Das städtische Schlossmuseum Arnstadt zeigt gegenwärtig die Sonderausstellung „Zwischen Kritik und Ruhm“ der Werke des aus Arnstadt stammenden Künstlers A. Paul Weber. Der bereits reiche Bestand an Arbeiten Webers im Schlossmuseum erweiterte sich im April dieses Jahres durch eine Schenkung der Brüder Wulf, Heiner und Eckhard Bodenstein, wie das Museum mitteilt. Das Konvolut umfasst Lithografien, Zeichnungen und Gemälde.
„Dieser freudige Umstand ist Anlass, sich nach zwei Jahrzehnten wieder mit dem Künstler A. Paul Weber zu beschäftigen“, informiert das Museum über die Hintergründe der Sonderschau und ergänzt: „Allen Ehrungen zum Trotz gibt der Künstler A. Paul Weber bis heute Anlass zu heftig geführten Debatten über Werk und Wirkung. Kompromisslosigkeit und Unbestechlichkeit zählten lange zum Kanon seiner Tugenden. Doch vor allem mit Blick auf das Dritte Reich hat dieses Bild Risse bekommen und Weber ist keineswegs der Antifaschist, als der er lange gesehen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Weber für die Aufarbeitung der Vergangenheit und nahm eine kritische Position zur Remilitarisierung und Umweltzerstörung ein.“
Kunst und Kontroversen – A. Paul Weber im Fokus
Ist der Umstand, dass die antifaschistische Wahrnehmung Webers zurecht seit geraumer Zeit dekonstruiert wurde, inzwischen Konsens, wird über den offenbar den Nationalsozialismus überdauernden Antisemitismus Webers bzw. dessen Relativierung durch den Künstler weiterhin gestritten. Dass die Forschungslage zur Künstlerpersönlichkeit A. Paul Weber bisher überschaubar ist, macht die Sache nicht einfacher.
Dies zeigte sich auch bei der Veranstaltung des Kulturforums der Thüringer Sozialdemokratie anlässlich der Ausstellung, bei der ich gemeinsam mit Erik Stephan (Kurator und Direktor der Städtischen Museen Jena) und Dr. Paul Kaiser (Kunst- und Kulturwissenschaftler, Direktor des Dresdner Instituts für Kulturstudien) unter der Moderation von Ministerialdirigentin a.D. Elke Harjes-Ecker debattierte. Dass das Thema polarisiert und interessiert, spiegelt sich in der Berichterstattung von Thüringer Allgemeine, dem Südthüringer Freien Wort sowie dem Mitteldeutschen Rundfunk, dank des Rundfunkbeitrags ohne Bezahlschranke, deutlich.
Weder ist das Kulturerbe eine Einbahnstraße, noch sind Künstler:innen in einfache Schablonen von Gut und Böse, Richtig und Falsch zu fassen. Auf dem Panel wurde dies am Beispiel der Künstler Emil Nolde durch Erik Stephan und Willi Sitte durch Paul Kaiser exemplifiziert.
Ich verwies auf die in den Museen der Klassik Stiftung Weimar zu Ende gegangene Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“. Sie widmete sich exemplarisch den Brüchen und Widersprüchen der Künstler:innen des Bauhauses. Sie dekonstruierte den Mythos des antifaschistischen Bauhauses und war zugleich ein Beitrag zur Beantwortung der von Hannah Arendt im Zuge des Eichmann-Prozesses aufgeworfenen Frage nach der persönlichen Verantwortung in einer Diktatur (erstmals publiziert 2018 im Piper-Verlag)
Dass die Arnstädter Sonderschau der Werke A. Paul Webers, sich dieser Aufgabe und Herangehensweise zu wenig bis gar nicht stellt, thematisierte aus dem Publikum heraus Judith Rüber. Die Autorin der die Ausstellung kritisch begleitenden Flugschrift „Kämpfende Kunst – Das völkische und antisemitische Werk und Wirken A. Paul Webers“ ist seit vielen Jahren kultur- und kommunalpolitisch in Arnstadt engagiert. Zum Themenjahr „Neun Jahrhunderte jüdisches Leben“ trugen Judith Rüber und ihr Mann, der Fotograf Jan Kobel, durch intensive Recherchen über vergessene Spuren jüdischen Lebens ebenso verdienstvoll bei, wie durch ihr städtebauliches und denkmalpflegerisches Engagement, u.a. für den ehemaligen Milchof Arnstadt, wie die Jüdische Allgemeine 2022 in einem Porträt berichtete.
Dass Rüber und Kobels Engagement in Arnstadt vom Milieu der AfD-nahen Corona-Leugner geächtet wird, ist naheliegend und in einer Kommune dieser Größe, in der jede jeden kennt, belastend. Insoweit ist verständlich, dass Kritik und Gegenworte, auch sachlich vorgetragen, von einer persönlichen Ebene nicht frei sind, wie sich auf der Podiumsdebatte zeigte. Denn Rübers energisch vorgetragene Kritik, die sich auch und insbesondere gegen die Ausstellungskuratorin Doris Weilandt richtete, wurde von dieser, ersichtlich angefasst, erwidert.
Die Frage der Podiumsdebatte, wie man in der Kulturpolitik, in Wissenschaft und Museen mit den Werken ambivalenter Künstler:innen umgeht, die sich antisemitisch verhalten, dem Zeitgeist und Diktaturen „anbiedern“ und sogar ihnen dienen, ob und wie man sie ausstellt, ging freilich an der Kritik der Ausstellung von Rüber u.a. vorbei.
Wie auf dem Panel bestand auch bei den Kritikerinnen Übereinstimmung darin, Künstler wie A. Paul Weber auszustellen. Gerade wegen ihrer Ambivalenz als Künstlerpersönlichkeit, auch wegen ihrer gebrochenen Biografie, die sich im Werk widerspiegelt. Wer eine solche Ausstellung macht, muss sich jedoch – so die berechtigte Kritik – die Mühe machen, die Brüche offenzulegen, zu erläutern, aufzuklären. Dafür war in der Arnstädter Sonderschau in der begrenzten Zeit zwischen der Ausstellungsplanung im Zuge der Schenkung im April 2024 und der Ausstellungseröffnung im November des Jahres offenbar nicht genug Raum und möglicherweise auch nicht genug Bewusstsein. Umso wichtiger, im Begleitprogramm der Ausstellung, sich exakt dafür den Raum und die Zeit zu nehmen, Forschungsdesiderate zu benennen und die Besucher:innen der Ausstellung zu sensibilisieren. Ein mutiges Ausstellungsteam macht aus der Not eine Tugend und integriert die kritische Flugschrift zur Sonderschau in die Ausstellung selbst und nutzt die externe Expertise für die historisch-kulturelle Bildung. Dazu sollten die Kritikerinnen die Brücken freilich offenhalten und nicht kommunikativ verbrennen.
Eine fundierte Auseinandersetzung mit A. Paul Weber und dessen völkisch motivierten Kulturkampf der 1920er und 1930er Jahre ist im Kontext der aktuellen politischen Landschaft in Deutschland von großer Bedeutung. Webers Werke, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, spiegeln die Ideologien der völkisch-nationalrevolutionären Bewegung wider und enthalten antisemitische sowie völkische Stereotype.
Die Alternative für Deutschland (AfD) zeigt in Teilen eine Affinität zur Neuen Rechten, einer Strömung, die sich auf Denker wie Ernst Niekisch beruft und zu dessen Umfeld Weber gehörte, wie ich nachstehend zeigen werde. Die Neue Rechte versucht, nationalistische, sozialistische und ökologische Konzepte zu verbinden und grenzt sich bewusst vom historischen Nationalsozialismus ab, während sie dennoch autoritäre, elitistische und antidemokratische Tendenzen aufweist.
Durch die Analyse von Webers künstlerischem Schaffen und seiner ideologischen Hintergründe können Parallelen zu aktuellen politischen Bewegungen gezogen werden. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis der historischen Wurzeln und Kontinuitäten völkischer Ideologien in ihrem zeitgenössischen Gewand.
Brüche und Widersprüche im Zeitalter der Extreme
Andreas Paul Weber wurde 1893 in Arnstadt geboren, das er 1923 im Alter von 30 Jahren verlässt. Sein künstlerisches Werk umfasst eine Vielzahl von Zeichnungen und Lithografien, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen. Weber lebt nicht nur im Zeitalter der Extreme (Hobsbawm), sondern ist mit seinen Werken Protagonist der Extreme.
In den 1920er Jahren schloss sich Weber der völkisch-nationalrevolutionären Bewegung an. Seine Arbeiten huldigen offen antisemitischem Propagandismus. Ein Beispiel hierfür ist seine Titelillustration für Artur Dinters antisemitischen Bestseller „Sünde wider das Blut" von 1918, die einen „hässlichen Juden" mit den üblichen Klischees wie Brille und markanter Nase darstellt. Dinter führte die Völkische Liste an, von der sich die bürgerlich-konservative Minderheitskoalition unter dem rechtsliberalen Ministerpräsidenten Leutheußer, tolerieren ließ. Es war diese Regierung, die das Bauhaus 1925 aus Weimar nach Dessau vertrieb.
Ein weiteres Beispiel Webers Antisemitismus sind seine Illustrationen für Wilhelm Stapels Publikation „Literatenwäsche" aus dem Jahr 1930. Das antisemitische Machwerk erschien im Widerstands-Verlag von Ernst Niekisch. Stapel und Weber liquidierten in der „Literatenwäsche“ in Wort und Bild die bekanntesten und von der extremen Rechten verhassten Schriftsteller, Journalisten und Publizisten. Sie zeigt Schriftsteller wie Alfred Kerr leblos an einer Wäscheleine hängend oder Kurt Tucholsky als Laus. Prototypisch wird hier die antisemitische Metapher des Ungeziefers bedient. Und zugleich ist es eine Vorwegnahme der Vernichtung ihrer Werke, die später den Bücherverbrennungen zum Opfer fielen, sowie der Verfolgung und Vernichtung im System der Konzentrationslager.
Trotz dieser völkisch-kulturkämpferischen Gesinnung wird Weber in den 1930er Jahren im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Hintergrund ist sein gegen den 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialismus Hitlers gerichtetes Engagement im Umfeld des nationalrevolutionären Widerstandskreises um Ernst Niekisch. Weber schloss sich dem Kreis um Niekisch bereits Ende der 1920er Jahre an.
In der Betrachtung des Aufstiegs der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik gerät zu oft aus dem Blick, dass es sich - gerade in den Anfängen der Bewegung aber auch noch nach der Machtübernahme - keineswegs um eine ideologisch homogene Struktur handelte. Vielmehr konkurrierten unterschiedliche völkische Strömungen miteinander.
Völkisches Denken im Plural
An den Beispielen Dinter, Niekisch und Weber lassen sich exemplarisch unterschiedliche Spielarten völkisch-antisemitischer Haltungen identifizieren, die das zu einseitige Bild „des einen Nationalsozialismus" ebenso wie das häufig dichotomische Bild „des einen demokratischen Widerstands gegen Hitler" auffächern.
Beginnen wir bei Artur Dinter, der - wie bereits dargestellt - nach der Schicksalswahl zum III. Thüringer Landtag 1924 eine bedeutende Rolle spielte [vgl. Hoff 2024].
Dinter, geboren 1876, war ein völkisch-antisemitisch eingestellter Schriftsteller. Sein 1917 veröffentlichter Roman "Die Sünde wider das Blut" war ein zeitgenössischer Bestseller, für den Paul Weber wenigstens eine Zeichnung beisteuerte.
Nach dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich Dinter an der Gründung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes und gehörte bis zu dessen Verbot 1922 dem Vorstand an. Anschließend war er Mitbegründer der Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP). Er begrüßte uneingeschränkt den Hitlerputsch im Krisenjahr 1923 [vgl. Hoff 2023] und fädelte nach der Landtagswahl 1924 die Tolerierung des rechtsliberal-konservativen Minderheitsblocks durch sein Wahlbündnis "Völkisch-Sozialer Block" ein. Die von ihm aufgestellten Tolerierungsbedingungen waren klar: Jüdinnen und Juden waren sämtlichst aus öffentlichen Ämtern und Funktionen zu entfernen. Dem trugen die liberalen, konservativen und deutschnationalen Parteien im Thüringer Ordnungsbund Rechnung, wie ich in o.a. Text [vgl. Hoff 2024] ausführlich darlege.
Thüringen wird in Folge dieser Tolerierung durch die Völkischen zum Aufmarschgebiet der Rechtsextremisten und Nationalsozialisten unterschiedlichster Couleur, hier wird die NSDAP nach ihrem Verbot zuerst wieder zugelassen. Adolf Hitler ernannte ihn während seiner Haft in Landsberg am Lech zum Gauleiter der NSDAP in Thüringen. Zugleich wurde Dinter Herausgeber der in Weimar erscheinenden Zeitung "Der Nationalsozialist".
Drei Jahre später gründete Dinter die "Geistchristliche Religionsgemeinschaft", die später in "Deutsche Volkskirche" umbenannt wurde. Diese Bewegung propagierte eine "arisch-heldische Lehre Jesu" und strebte eine "Entjudung" des Christentums an, wobei das Alte Testament abgelehnt wurde.
Dinters religiöser Sonderweg führte zu Spannungen mit Adolf Hitler, der ihn am 30. September 1927 als Gauleiter absetzte. Nachfolger wird Fritz Sauckel, der die NSDAP 1929 erstmals in Deutschland in eine Landesregierung führen wird und unter dessen Verantwortung das Terrorsystem der NS-Zwangsarbeit durchgesetzt wird. Daran erinnert das in diesem Jahr im sogenannten, von Fritz Sauckel in Auftrag gegebene, Gauforum eröffnete „Museum Zwangsarbeit" in Trägerschaft der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
In der Folge seiner Degradierung griff Dinter in seiner Zeitschrift "Das Geistchristentum" sowohl Hitler direkt als auch die von ihm geführte NSDAP an, was am 11. Oktober 1928 zu seinem endgültigen Ausschluss aus der Partei führte. Dinter setzte seine Kritik an Hitler auch außerhalb der NSDAP fort und trat 1932 mit dem von ihm gegründeten "Dinterbund" als Wahlkonkurrent der NSDAP auf. Dem war kein Erfolg beschieden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bemühte sich Dinter im April 1933 um einen Wiedereintritt in die NSDAP, der ihm verwehrt wurde. Vielmehr überwachte die Gestapo Dinter und nahm ihn zeitweise fest. 1937 verbot Heinrich Himmler die "Deutsche Volkskirche". Zwei Jahre später schloss ihn die Reichsschrifttumskammer aus. Dies bedeutete faktisch ein Publikationsverbot, gegen dessen Verstoß er sich 1942 vor dem Sondergericht Freiburg zu verantworten hatte. Nach dem Krieg wurde er vom Entnazifizierungsgericht in Offenburg wegen seiner antisemitischen Schriften zu einer Geldstrafe von 1.000 Reichsmark verurteilt. Er verstarb 1948.
Auch Ernst Niekisch, geboren 1889, war Schriftsteller. Sein Weg führte ihn - nicht ungewöhnlich für die 1920er Jahre, wie sich neben vielen anderen auch am Beispiel Mussolinis zeigt - von der politischen Linken auf die Seite der extremen Rechten.
Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Niekisch zunächst in der Sozialdemokratie und war während der Münchner Räterepublik Vorsitzender des Zentralrats der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte in Bayern. Am 7. April 1919 proklamierte der Zentralrat unter seiner Führung die Bayerische Räterepublik und gehörte zum Flügel derjenigen, die sich für eine enge Einbindung der Kommunisten engagierten. In seinem Buch „Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen" skizziert Volker Weidermann das Umfeld Niekischs im Zusammenhang mit der Beschreibung der bayerischen Räterepublik. In der ausgesucht lesenswerten Publikation wird lebendig, wie diese Ereignisse zur Flucht der Regierung Hoffmann nach Bamberg führten und die Führung der Räterepublik zunächst von pazifistischen und anarchistischen Intellektuellen wie Ernst Toller, Erich Mühsam und Gustav Landauer geprägt war. Nach der Niederschlagung der Räterepublik wurde Niekisch wegen Beihilfe zum Hochverrat zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, die er vom 10. Februar 1920 bis zum 29. August 1921 in der Haftanstalt Niederschönenfeld verbüßte.
Mitte der zwanziger Jahre wandte sich Niekisch von der Sozialdemokratie und der politischen Linken insgesamt ab und nationalbolschewistischen respektive nationalrevolutionären Gedanken zu. Zu diesem Zweck gründet er 1926 die Zeitschrift "Widerstand – Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik", die bis 1934 erschien. In dieser Publikation propagierte er eine Synthese aus Nationalismus und Sozialismus und lehnte den Nationalsozialismus entschieden ab. Die Zeitschrift diente als Plattform für den nationalrevolutionären Diskurs und zog Intellektuelle an, die eine Alternative zum NS-Regime suchten. Darunter auch A. Paul Weber, der einschlägige Karikaturen und Zeichnungen zur Illustration beisteuerte.
In seinem Bemühen Nationalismus und Sozialismus zu vereinen, war Niekisch ein entschiedener Gegner des von Hitler u.a geprägten Nationalsozialismus. Seine Aktivitäten führten 1937 zu seiner Verhaftung durch die Gestapo. 1939 wurde er vom Volksgerichtshof zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung 1945 lebte Niekisch in der DDR. Er distanzierte sich jedoch später vom SED-Staat, den er 1963 verließ. Er starb 1967 in West-Berlin.
Niekisch ist ein prototypischer Vertreter der Hitlergegnerschaft von rechts. Seine Kritik an Adolf Hitler speiste sich gerade nicht aus einer demokratischen oder humanistischen Perspektive. Einerseits entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, prägten antisemitische Überzeugungen sein Denken und das seines Umfelds. In seiner Schrift "Hitler – ein deutsches Verhängnis" von 1932 warf er Hitler vor, sich dem "demokratischen Maschinerie" des Westens anzupassen und somit die "jüdische" Zivilisation zu fördern. Die Synthese von extremem Nationalismus und revolutionär-sozialistischen Elementen im Kreis um Niekisch führte zu ideologischen Überschneidungen mit antisemitischen Strömungen. Teile nationalbolschewistischer Gruppen standen zeitweise in ideologischer Nähe zum sogenannten linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser und Ernst Röhm, die ebenfalls antisemitische Positionen vertraten.
Weber wurde aufgrund seiner Zugehörigkeit zu Niekisch und dessen Kreis 1937 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Trotz Inhaftierung durfte Weber, anders als der politisch an den Rand gedrängte Dinter und der künstlerisch verfemte Nolde, während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus künstlerisch tätig und seine Werke ausstellen. Er wurde nach seiner Haftentlassung 1937 in die Reichskulturkammer aufgenommen, was für Künstler obligatorisch war, um weiterhin arbeiten zu dürfen. Ab 1939 war er für die von Johannes Böse geleitete „Griffelkunst-Vereinigung Hamburg“ tätig und schuf die Bilderzyklen „Britische Bilder“ und „Leviathan“, die im nationalsozialistischen Nibelungenverlag erschienen.
Geschichte die nicht vergeht
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Weber in seinen Werken kritisch mit Themen wie Nationalsozialismus, Politik und Umwelt auseinander. Die antifaschistische Konnotation dieser Arbeiten sind bislang zu wenig unter dem Gesichtspunkt einer kritischen Analyse fortwirkenden nationalrevolutionären und neurechten Gedankenguts betrachtet worden.
Ebensowenig ist bekannt, ob seine Entscheidung, in der Sowjetischen Besatzungszone, später in der DDR zu leben, aus der Hoffnung gespeist war, dass sich frühere nationalbolschewistische Überzeugungen in diesem Staat verwirklichen ließen. Dass der DDR-Antifaschismus die Ignoranz jüdischer Perspektiven und das bewusste Verschweigen jüdischer Widerständigkeit beinhaltete, zeigte ich an anderer Stelle.
Judith Rüber zitiert in der Flugschrift „Kämpfende Kunst“ aus einem Brief Webers aus dem Jahre 1977, in dem er sich relativierend zu seiner Beteiligung an der antisemitischen Schmähschrift „Literatenwäsche“ äußert: „In Berlin geht der Knatsch um den Tagesspiegel weiter… man zitiert jetzt und zeigt jetzt aus der Literatenwäsche meine Schandtaten – wenn die erst dahinter kommen -, dass ich als Jüngelchen mit Matrosenkrägelchen meinem Fürsten Günther zugejubelt habe, dann ist es wohl ganz aus.“
Mit dieser retrospektiven Relativierung und Verharmlosung kämpferischen Antisemitismus als lässliche Jugendsünde steht A. Paul Weber weder in der Bundesrepublik der späten 1970er Jahre allein, noch im Kreis der Künstler:innen seiner Generation. Worüber wir häufig noch zu wenig wissen, sind die nachfolgenden Wirkungen dieser Einstellungen auf künstlerisches Schaffen und Diskurse.
Am Beispiel des Kunsthistorikers und documenta-Mitbegründers Werner Haftmann exemplifizierte Julia Voss dies vor einiger Zeit im Rahmen der Forschung zur Ausstellung „documenta. Politik und Kunst“ am Berliner Deutschen Historischen Museum. Haftmann, der 1944 in Italien eine militärische Einheit zur Partisanenbekämpfung führte und Mitglied der NSDAP war, sprach über diese Verstrickungen nie. Anders als bei Weber waren sie deshalb weitgehend unbekannt. Voss schreibt deshalb: „Bei aller Kritik an den rechtskonservativen Beharrungskräften gab es auf Haftmanns Seite einen Vorbehalt, den er zeitlebens nicht thematisierte: Die Diffamierung der Moderne wollte er aufheben und umwerten, ohne über die eigenen Verstrickungen sprechen zu müssen.“ (Voss 2021: 70) Die Beiträge jüdischer Künstler:innen der klassischen Moderne wurden von Haftmann ebenso ignoriert, wie ihr Leid in der Shoa. Im Gegenzug ließ er, wie Voss ausführt, die von Mussolini geförderten italienischen Futuristen auf der documenta 1955 ins Lager des Antifaschismus wechseln und war wesentlich beteiligt an der Legendenbildung über das Malverbot und die innere Emigration Emil Noldes.
Institutionen wie dem A. Paul Weber-Museum in Ratzeburg und der A. Paul Weber-Gesellschaft kommen deshalb die bedeutsame erinnerungskulturelle Aufgabe zu, nicht nur nichts zu verschweigen, sondern im Sinne historisch-kultureller Bildung adäquat einzuordnen.
Ausstellungen wie diejenige im Arnstädter Schlossmuseum verdeutlichen die Relevanz einer lokalen, auch und gerade im ländlichen Raum verankerten Museumslandschaft, die so ausgestattet sein muss, dass sie nicht nur sammeln und bewahren, sondern insbesondere auch forschen und vermitteln kann. Zur Forschungs- und Vermittlungsarbeit gehört der gedankliche und politische Freiraum, auch unbequeme Themen aufzugreifen, das Andenken der „großen Söhne und Töchter“ der jeweiligen Gemeinde kritisch gegen den Strich zu bürsten.
Eine solche Auseinandersetzung fördert zugleich das Bewusstsein für die Gefahren, die von der Verbreitung völkischen Gedankenguts ausgehen, und stärkt die Resilienz der Gesellschaft gegenüber antidemokratischen Tendenzen. Angesichts der Tatsache, dass die AfD in einigen Bundesländern als -rechtsextremistisch eingestuft wird und Verbindungen zur Neuen Rechten aufweist, ist es umso wichtiger, die historischen Vorbilder und Ideengeber dieser Strömungen kritisch zu beleuchten. Dies trägt dazu bei, die Mechanismen und Strategien zu erkennen, mit denen völkische Ideologien in die Mitte der Gesellschaft getragen werden sollen, und ermöglicht es, ihnen effektiv entgegenzutreten.
Die Sonderausstellung „Zwischen Anfeindung und Ruhm“ ist von 16. November 2024 bis 18. Mai 2025 im Schlossmuseum Arnstadt zu sehen. Das Haus ist Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet.
Ich bin Sozialwissenschaftler und Vater. Knapp drei Jahrzehnte war ich tätig als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister und Chef der Staatskanzlei. Zuletzt erschien von mir im VSA-Verlag: "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird".
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog zu Gesellschaftspolitik, Kultur & Kunst, Parteien sowie jüdischem Leben.