»Grundfunk« statt Vielfalt. Wie die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk radikal schrumpfen will
Vom Bauhaus bis zur BBC: Die Angriffe auf Medienvielfalt durch die AfD stehen exemplarisch für die Strategie der Neuen Rechten, unabhängige Berichterstattung zu delegitimieren. Zugleich reiten auch Parteien der Mitte die populistische Welle der ÖRR-Kritik. Die Grenzen zwischen Reformforderungen und gefährlicher Demontage sind weich.
Es ist erst einige Wochen her da erregte die AfD in Sachsen-Anhalt bundesweit Aufsehen mit einem Antrag, der darauf abzielte, die Unabhängigkeit der Bauhaus-Stiftung Dessau in Frage zu stellen und die Erinnerung an das Bauhaus im Sinne des AfD-Kulturkampfs von rechts umzuschreiben.
In der zweiten Sitzung des noch neuen Thüringer Landtags forderte die AfD-Fraktion im Freistaat in Drucksache 8/66 die Kündigung der medienrechtlichen Staatsverträge und die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Jürgen Pohl, AfD-Bundestagsabgeordneter: "Noch zwölf, noch zwölf Monate, dann hat Thüringen gewählt und wir kündigen den Rundfunk-Staatsvertrag.
Gleichartige Anträge brachte die Thüringer AfD bereits mit den Drucksache 6/3106 im Jahre 2016 und vier Jahre später mit der Drucksache 7/6697 in den Landtag ein. Beide Anträge wurden jeweils abgelehnt.
Ausweislich ihres jüngsten Antrages fordert die gesichert rechtsextreme Partei, für deren Verbot sich mehr als einhundert Abgeordnete im Deutschen Bundestag in dieser Woche aussprachen, drei Dinge:
- das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem einer grundlegenden Reform im Sinne einer deutlichen Verschlankung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und einer grundsätzlichen Neuordnung zu unterziehen;
- dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seinen Grundauftrag konzentriert und dabei insbesondere die politische Neutralität und pluralistische Ausgewogenheit einhält;
- dass für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland ein neuer Rechtsrahmen zu schaffen ist.
In Abschnitt II des Antrages wird die Landesregierung erneut aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2024 alle medienrechtlichen Staatverträge kündigen, einschließlich des MDR-Staatsvertrages.
Björn Höcke (AfD), Landesvorsitzender Thüringen: "Was passiert denn, wenn der Höcke dann Ministerpräsident wird? Kündigt er denn die Medien-Staatsverträge? Ja, das macht der Höcke dann, ja!"
Globaler Trend der Neuen Rechten: Angriff auf unabhängige Medien
Seit Gründung der AfD gehört die vehemente Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Kernanliegen der sich immer weiter radikalisierenden rechtsextremen Partei.
Die Mobilisierung der AfD im Speziellen und der Neuen Rechten allgemein gegen unabhängige Medien ist Teil eines globalen Trends rechtspopulistischer und autoritärer Bewegungen, die Presse und Medien als „Feinde“ inszenieren. Ein zentrales Element dieser Strategie ist die systematische Diskreditierung und Diffamierung der Medien. Sie beschuldigen unabhängige Berichterstattung, voreingenommen zu sein und nutzen Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Volksverräter“, um die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und anderer Medien zu untergraben.
Ähnlich agieren Politiker wie Donald Trump in den USA, der den Begriff „Fake News“ populär machte, oder der inzwischen abgewählte Jair Bolsonaro in Brasilien, der kritische Medien als „Feinde der Nation“ bezeichnete. In Ungarn hat Viktor Orbán unabhängige Medien als „liberale Propaganda“ diskreditiert und eine mediale Monokultur geschaffen.
Daniel Haseloff, AfD Thüringen: "Wir haben genug von Indoktrination und dieser dauerhaften Propaganda."
Parallel zu dieser Diskreditierung bauen rechtspopulistische Parteien und Bewegungen eigene Mediennetzwerke auf, um ihre Narrative zu verbreiten und unabhängige Berichterstattung zu verdrängen. Die AfD in Deutschland stützt sich auf Plattformen wie den „Deutschland-Kurier“ oder YouTube-Kanäle wie „Digitaler Chronist“, die gezielt autoritär-populistische Inhalte verbreiten. In den USA sind Netzwerke wie „Breitbart“ oder „OANN“ zentrale Instrumente der Rechten, während Russland eine nahezu vollständig staatlich kontrollierte Medienlandschaft geschaffen hat, die regierungsfreundliche Propaganda verbreitet und Kritiker marginalisiert.
Ein weiteres zentrales Element der autoritären Rechten ist dort, wo sie Regierungsmacht erhielt, die Einschränkung der Pressefreiheit durch rechtliche Maßnahmen. In Ungarn hat die Regierung durch neue Mediengesetze die redaktionelle Unabhängigkeit de facto aufgehoben, während unabhängige Medien finanziell ausgehungert wurden. Auch in Polen strebte die ebenfalls inzwischen abgewählte PiS-Regierung eine „Repolonisierung der Medien“ an, um ausländische Eigentümer aus dem Markt zu drängen und die Kontrolle über nationale Medien zu stärken.
Neben diesen institutionellen Angriffen auf die Pressefreiheit werden auch Journalistinnen und Journalisten persönlich ins Visier genommen. In Brasilien wurden unter Bolsonaro kritische Medienschaffende, insbesondere Frauen, systematisch bedroht und diffamiert. Auf den Philippinen hat die Regierung von Rodrigo Duterte führende Journalistinnen wie Maria Ressa verfolgt und verklagt. In Deutschland sind Journalistinnen und Journalisten wiederholt bei AfD-Veranstaltungen bedroht worden. AfD-nahe Akteure haben teils Listen von Medienschaffenden veröffentlicht, um diese öffentlich bloßzustellen und einzuschüchtern.
Zitat Twitter/X: "Am besten schikanieren, was das Zeug hält!" – "Kennzeichnungspflicht aller #WDRlinge. (…) Ein Securitycheck mit ausziehen bis auf die Unterwäsche." – "Medienschergen (…) werden dann eine Sonderbehandlung bekommen!"
Zusätzlich setzen rechtspopulistische Bewegungen gezielt auf die Verbreitung von Desinformation. In Deutschland nutzen AfD-nahe Netzwerke Falschinformationen zu Themen wie Migration, Klimawandel oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um Misstrauen gegenüber etablierten Medien zu säen. In Russland werden durch staatlich gelenkte Kanäle wie RT Desinformationen verbreitet, die darauf abzielen, demokratische Systeme zu destabilisieren. In den USA haben rechtsextreme Netzwerke wie QAnon durch Verschwörungstheorien dazu beigetragen, das Vertrauen in unabhängige Berichterstattung zu zerstören.
Die Neue Rechte agiert dabei transnational und tauscht Strategien aus. Die AfD etwa hat enge Beziehungen zur ungarischen Regierung unter Viktor Orbán aufgebaut und übernimmt rhetorische und politische Ansätze von Fidesz. Steve Bannon, ehemaliger Berater von Donald Trump, hat mit seinem Projekt „The Movement“ versucht, rechtspopulistische Parteien in Europa strategisch zu unterstützen. Auch die Identitäre Bewegung, die europaweit tätig ist, nutzt soziale Medien zur Diffamierung etablierter Medien.
So gesehen ist die Drucksache 8/66 weder ein isoliertes Phänoment noch ein pittoresker regionaler Evergreen der Thüringer AfD, verurteilt stets abgelehnt zu werden. Die parlamentarische Initiative ist Teil einer Langfriststrategie und globalen Trends.
Die AfD in Deutschland verfolgt ähnliche Ziele und fordert die Kündigung der Medienstaatsverträge, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch einen politisch kontrollierten „Grundfunk“ zu ersetzen. Solche Eingriffe sind Teil einer umfassenden Strategie, unabhängige Medien durch staatlich gelenkte oder parteinahe Strukturen zu ersetzen. Ziel ist es, die Glaubwürdigkeit unabhängiger Berichterstattung zu zerstören, eigene Narrative zu verbreiten und autoritäre Systeme zu stärken.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: »Sturmgeschütz der Demokratie«
Nach 1945 lag den Alliierten in Westdeutschland daran, die Medienlandschaft als Gegenentwurf zu den gleichgeschalteten Propagandastrukturen des Dritten Reiches neu zu gestalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte ein „Sturmgeschütz der Demokratie“ werden – eine Institution, die durch ihre Staatsferne und Unabhängigkeit die öffentliche Meinungsbildung fördert, kritische Diskurse ermöglicht und als Kontrollinstanz gegenüber Machtpositionen fungiert.
Die britische BBC diente dabei als Vorbild für ein System, das Unabhängigkeit von staatlicher Einflussnahme gewährleistet und gleichzeitig journalistische Qualität und Pluralität sicherstellt. Die Rundfunkanstalten in der britischen Besatzungszone, darunter der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR), wurden so konzipiert, dass sie organisatorisch und finanziell unabhängig vom Staat agieren konnten. Dieses Prinzip wurde später im Grundgesetz durch die Rundfunkfreiheit in Artikel 5 verankert, die nicht nur die Freiheit der Berichterstattung, sondern auch die Verantwortung für eine vielfältige Meinungsbildung umfasst.
Ein zentraler Bestandteil dieser Neuordnung war das Konzept der Staatsferne, das sicherstellen sollte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk weder zur Propaganda missbraucht noch von parteipolitischen Interessen dominiert wird. Diese Verpflichtung auf Neutralität und Unabhängigkeit hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie die ARD, das ZDF oder Deutschlandradio über Jahrzehnte hinweg eine zentrale Rolle in der deutschen Medienlandschaft einnehmen konnten. Sie bieten Raum für umfassende und differenzierte Berichterstattung, die sich auch komplexen oder kontroversen Themen widmet und dabei ein breites Meinungsspektrum abbildet.
Die Verpflichtung zu einem hohen Qualitätsniveau zeigt sich in der Vielzahl von Formaten, die der Information, Bildung und Kulturförderung dienen. Von investigativen Magazinen wie „Monitor“ über kulturelle Sendungen bis hin zu Bildungsprogrammen leistet der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen unverzichtbaren Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Auch die Fehlerkultur ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Glaubwürdigkeit. Durch öffentliche Korrekturen, den Umgang mit Kritik und institutionalisierte Kontrollorgane wie Rundfunkräte wird Transparenz geschaffen, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien stärkt.
In einer Zeit, in der die Glaubwürdigkeit von Medien weltweit durch Desinformation und polarisierende Kampagnen herausgefordert wird, ist die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als „Sturmgeschütz der Demokratie“ wichtiger denn je. Er bietet einen Gegenpol zu einer zunehmend fragmentierten und algorithmengesteuerten Medienlandschaft, in der populistische und autoritäre Akteure gezielt Vertrauen in unabhängige Berichterstattung untergraben.
Die ursprünglichen ethischen und rechtlichen Ansprüche der Alliierten nach 1945 haben somit nicht an Relevanz verloren. Sie sind vielmehr ein notwendiger Schutzmechanismus, um den demokratischen Diskurs zu sichern und die Gesellschaft vor den Gefahren der Meinungsmanipulation zu bewahren. Durch die Förderung von Vielfalt und kritischem Denken trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin zur Stabilität und Resilienz demokratischer Gesellschaften bei. Sein Erhalt und seine Weiterentwicklung sind daher nicht nur medienpolitische, sondern auch demokratische Kernaufgaben.
Wie Union, FDP und BSW die populistische Welle der ÖRR-Kritik reiten
Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur von rechtspopulistischer Seite, sondern auch innerhalb der Union (CDU/CSU) und der FDP verstärkt. Dabei sind die Argumente vielschichtig und reichen von wirtschaftlichen und strukturellen bis hin zu inhaltlichen und politischen Aspekten. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die Kritik nicht homogen ist, aber in einigen Punkten Parallelen zur Argumentation der AfD aufweist.
Innerhalb der CDU hat sich die Kritik am ÖRR vor allem seit den 2010er-Jahren verschärft, wobei wirtschaftliche und programmatische Aspekte im Fokus standen. In einigen Landesverbänden, insbesondere in den mitteldeutschen Ländern, wurde wiederholt der Umfang des Rundfunksystems infrage gestellt und eine Beschränkung auf einen „Kernauftrag“ gefordert. Die Grenze zum „Grundfunk“, den die AfD fordert, verschwimmt in der politischen Debatte dabei in Teilen.
Insbesondere die CSU setzt sich für eine stärkere Konzentration des ÖRR auf regionale Inhalte und ein begrenztes Angebot ein, während internationale und digitale Inhalte in den Hintergrund treten sollten. Dieser Ansatz ähnelt der Forderung der AfD nach einem kleineren, regional fokussierten „Grundfunk“, wobei die CSU ihre Position stärker auf finanzielle und strukturelle Aspekte stützte.
Der Vorwurf der „politischen Einseitigkeit“ oder des „Elfenbeinturm-Journalismus“ gehört zum Standardrepertoire der Konservativen. So bemängelten CDU-Politiker eine angebliche Bevorzugung progressiver oder grüner Positionen in der Berichterstattung, etwa in Debatten über den Klimawandel oder soziale Gerechtigkeit. Diese Kritik wurde häufig von konservativen Flügeln der Partei getragen, etwa dem Berliner Kreis, der den ÖRR als zu links und moralistisch einstuft.
Seitens der FDP wird der ÖRR vor allem aus marktwirtschaftlicher Perspektive kritisiert. Die Partei argumentiert, dass der ÖRR in Zeiten digitaler Medienangebote zu groß sei und in Konkurrenz zu privaten Anbietern trete. Besonders die Ausweitung der Online-Angebote von ARD und ZDF hält die FDP für wettbewerbsverzerrend.
Obwohl sich CDU, CSU und FDP in der Zielrichtung ihrer Kritik oft von der AfD abgrenzen, gibt es Überschneidungen in der Argumentation. Dazu gehören:
- Kritik an der Beitragsfinanzierung: Die Forderung nach einer Reduktion des Rundfunkbeitrags wird sowohl von der AfD als auch von Teilen der Union und der FDP erhoben, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Während die AfD dies mit ideologischen Argumenten verbindet, konzentrieren sich CDU und FDP auf wirtschaftliche Aspekte.
- Vorwurf der politischen Einseitigkeit: Der Vorwurf, der ÖRR sei zu „links“ oder moralisch einseitig, findet sich sowohl in konservativen CDU-Kreisen als auch in der AfD. Während die CDU jedoch selten die Neutralität des gesamten Systems infrage stellt, nutzt die AfD diesen Vorwurf als Grundlage für die Forderung nach Abschaffung oder radikaler Umgestaltung.
- Infragestellung der bestehenden Strukturen: Forderungen nach einer Neuausrichtung des ÖRR hin zu mehr Regionalität und weniger Unterhaltung überschneiden sich in Teilen mit dem von der AfD propagierten „Grundfunk“. Der Unterschied liegt in der Absicht: Während Union und FDP die Effizienz und Relevanz erhöhen wollen, zielt die AfD darauf ab, den ÖRR zu schwächen oder zu ersetzen.
Die Kritik an der Struktur und Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat in den vergangenen Jahren nicht nur an Intensität, sondern auch an Breite gewonnen. Obwohl sich die Argumentationen von CDU, CSU, FDP und AfD in Zielen und Motiven unterscheiden, gibt es in den Punkten Beitragskritik, Vorwurf der Einseitigkeit und Forderungen nach Reformen Überschneidungen. Diese Gemeinsamkeiten bergen die Gefahr, dass legitime Diskussionen über die Zukunft des ÖRR in Richtung einer generellen Schwächung des Systems instrumentalisiert werden könnten, was letztlich demokratische und gesellschaftliche Stabilität gefährden würde.
Selbiges gilt für die Positionen des erst in diesem Jahr gegründeten aber politisch gegenwärtig nicht mehr wegzudenkenden Bündnis Sahra Wagenknecht. Die straff zentralistisch geführte Partei, die wahlweise als einzig leninistische Partei beschrieben wird oder als politisches Franchise-Unternehmen, übt ebenfalls deutliche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, stellt ihn aber genauso wie Union und FDP nicht grundsätzlich in Frage.
Das BSW wirft dem ÖRR vor, einen "Meinungs-Einheitsbrei" zu produzieren und den "Meinungskorridor unzulässig einzuengen". Wagenknecht kritisiert, dass der ÖRR seiner Aufgabe, zur Meinungsbildung beizutragen, nicht ausreichend nachkomme und spricht sich für ein Verbot von Gendersprache im ÖRR aus. Die Partei lehnt eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ab und fordert stattdessen eine "Programm- und Ausgabenreform". Die sozialkonservative Partei setzt sich darüber hinaus für bessere Arbeitsbedingungen und feste Anstellungsverhältnisse für Journalisten im ÖRR ein und unterscheidet sich darin sowohl von der AfD als auch Union und FDP. Im Widerspruch zu den Liberalen sieht das BSW den ÖRR als potenzielles "Korrektiv zu den globalen Big-Tech-Monopolen" und den privaten Medienkonzernen. Als populistische Partei reitet und verstärkt die Partei jedoch die Welle der ÖRR-Kritik. Aus Überzeugung ebenso wie aus taktischen Erwägungen.
Notwendiger Trend: Demokratische Stärken stärken
Die bestehende Rundfunkordnung garantiert Meinungs- und Medienvielfalt und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der demokratischen Grundordnung. Wie jedes System hat auch die Rundfunkordnung Schwächen. Sie zu benennen und an ihrer Überwindung zu arbeiten hat möglicherweise zu spät beginnen und dauert auch bereits zu lange. Gleichwohl sind mit der Umsetzung des dritten Medienänderungsstaatsvertrages bereits wichtige Reformen auf den Weg gebracht worden, die den Auftrag und die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkretisierten.
Dabei wurde ein ausgewogenes Programm aus Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung in der Eigenverantwortung der Anstalten festgeschrieben. Gleichzeitig wurde die Stellung der Gremien gestärkt und die Entwicklung des Rundfunkbeitrags in den Fokus gerückt. Diese Reformen präzisierten den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Ziel, ein qualitativ wertvolles Gesamtangebot bereitzustellen, das als gesellschaftlicher Anker dient. Auch der Funktionsauftrag wurde thematisch und inhaltlich spezifiziert, wobei Kultur, Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zentrale Bestandteile eines öffentlich-rechtlichen Profils darstellen.
Die Anpassung des dualen Rundfunksystems an nationale und internationale Wettbewerbsanforderungen sowie die Einführung des Nachhaltigkeitsgedankens für beide Seiten des Systems zeigen, wie flexibel sich der Rundfunk auf aktuelle Herausforderungen einstellt. Gleichzeitig wurde die Flexibilisierung der Programm- und Telemedienangebote vorangetrieben, um die Beitragsstabilität zu fördern, und die Orientierungshilfefunktion des Rundfunks betont, die Medienkompetenz vermitteln soll. Barrierefreiheit und die Wahrnehmbarkeit öffentlich-rechtlicher Angebote wurden ebenfalls gestärkt. Diese Maßnahmen waren ein erster wichtiger Schritt zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weitere Veränderungen sind jedoch bereits in Planung. Auf der Jahreskonferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Oktober 2024 wurden zusätzliche Reformen beschlossen, die den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks qualitativ stärken und quantitativ begrenzen sollen. Spartenfernsehprogramme und Hörfunkangebote sollen reduziert, der Etat für Sportrechte begrenzt und die Zusammenarbeit zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern intensiviert werden.
Mit dem Reformstaatsvertrag soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk zukunftssicher, effizient und interaktiver aufgestellt werden. Der Vertrag sieht unter anderem Regelungen zur Begrenzung der Programmzahl, zur Presseähnlichkeit und zur Kooperation der Sender vor. Zusätzlich wird ein Systemwechsel zu einem neuen Finanzierungsmodell angestrebt, dessen rechtliche Grundlagen derzeit von der Rundfunkkommission geprüft werden. Diese Reformen stehen im scharfen Kontrast zu den Forderungen der AfD, die eine Kündigung aller medienrechtlichen Staatsverträge und eine grundlegende Neugestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anstrebt. Die AfD verfolgt dabei nicht das Ziel einer Reform, sondern die vollständige Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner bestehenden Form. Sie spricht dem System die Legitimierung ab und verkennt dabei, dass die medienrechtlichen Staatsverträge kontinuierlich an gesellschaftliche und technische Entwicklungen angepasst wurden.
Die Forderung, dass Thüringen die medienrechtlichen Staatsverträge einseitig kündigen und mit den anderen Bundesländern Verhandlungen über eine grundlegende Neugestaltung aufnehmen solle, wäre ein wahnwitziger Alleingang. Deshalb lehnten auch die Fraktionen von CDU, BSW, LINKE und SPD den Antrag ab. Die Länder arbeiten bei der Umsetzung des Reformstaatsvertrages konstruktiv und verantwortungsbewusst zusammen und achten den vom Bundesverfassungsgericht definierten Spielraum.
Eine stabile Demokratie braucht starke, unabhängige Qualitätsmedien. Unabhängiger Journalismus wird nicht ohne Grund in autokratischen Staaten und von Populisten diffamiert oder abgeschafft. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllt eine essenzielle Funktion für den demokratischen Diskurs. Als solcher muss er geschützt und weiterentwickelt werden, wie dies in anderem Rahmen aber großem demokratischen Konsens für das Bundesverfassungsgericht gegenwärtig auch geschieht.
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Die hervorgehobenen Zitate sind entnommen aus dem Monitor-Beitrag vom 23.11.2023 »Pressefreiheit im Visier: Wie die AfD kritischen Journalismus bekämpft«
Ich bin Vater, Politiker und Sozialwissenschaftler. Herausgeber von "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird" (VSA-Verlag 2023).
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog und andere Publikationen.