Bezaubernd altmodisch
Wer den Rektor der Musikhochschule „Franz Liszt“ in Weimar trifft, wird angesichts seines Esprits und ironisch-charmanter Klugheit kaum glauben, dass Christoph Stölzl inzwischen 75 Jahre und damit vielleicht nicht der dienstälteste aber sicherlich der nominal älteste Hochschulleiter Deutschlands ist. Die Bezugnahme auf Stölzls Alter ist kein schlecht gewählter Einstieg sondern vielmehr die Ursache für das Erscheinen des hier beschriebenen Bändchens. Denn die Satzungsregularien der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. mit Sitz in Hamburg sehen vor, dass wer das 75. Lebensjahr überschreitet, aus dem Kuratorium auszuscheiden habe. Zum Abschied und Dank für die langjährige Tätigkeit Stölzls in der Stiftung, publizierte diese den „Versuch über das Gespräch“.
Kenner der kritisch-historischen Debatte über die Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und die Verstrickungen des Namenspatrons in den Nationalsozialismus mögen gegebenenfalls die Stirn runzeln. Doch wer auf dem Webauftritt der Stiftung die sehr transparente Dokumentation der Stiftungsgeschichte einschließlich des von Hans Mommsen und anderen verfassten Historikerkommissions-Gutachtens zur Kenntnis genommen hat, würde sich wünschen, dass Behörden, Unternehmen und andere Stiftungen in dieser Weise ihre eigene Geschichte kritisch reflektieren und dafür nicht erst, wie die Toepfer-Stiftung, externe Anstöße benötigen.
Das von Johanna Benz ebenso liebe- wie humorvoll illustrierte Bändchen im Umfang von 61 Seiten gehört zu den Jackentaschen-Büchlein, die lesefreudige Menschen gern bei sich tragen. Im Regal findet es seinen Platz neben der gleichsam nostalgischen Rückschau und Erzählung über Bernhard Schlinck „Der letzte Zeitungsleser“ (Michael Angele).
Stölzls Beobachtungen des Gesprächs interessieren sich nicht für den alltäglichen „Gesprächs-Gesang“, sondern für das „öffentliche, im weitesten Sinne politische Gespräch, um das Ringen der Meinungen miteinander, das den Mehrheitsbeschlüssen der Demokratie vorausgeht“. Sein normativer Anspruch dabei ist nicht mehr und nicht weniger als die Bereitschaft zum friedlichen Gespräch aller mit allen, das Stölzl - gestützt auf das Grundgesetz - als Ursprung aller politischen Meinungsbildung versteht.
Wiewohl Stölzl, der sowohl als Direktor des seinerzeit nicht unumstrittenen Deutschen Historischen Museums und vormaliger Wissenschafts- und Kultursenator Berlins die Facetten des politischen Diskurses kennt und ihre Finessen beherrscht, Kulturpessimismus als untauglichen Wegweiser versteht, kommt die Frage, wie es besser werden soll, am Ende doch zu kurz. Dies ist zwar bedauerlich aber macht die Rückschau auf den Wandel öffentlich-rechtlicher Medienanstalten, die Funktion der Demoskopie oder unseres medialen Konsumverhaltens nicht weniger interessant. Im Gegenteil - viele Betrachtungen sind bezaubernd altmodisch und haben zugleich nicht an Aktualität und Relevanz eingebüßt.
Das Herz dieser Anthologie lässt Stölzl auf S. 39ff schlagen. Er beschreibt zunächst „die Auflösung einer gemeinsinnigen Gesellschaft in gesprächsverweigernde Lager, in egoistisch atomisierte Sender und Empfänger, die sich Achtung und Sympathie aufkündigen und die Gemeinschaft der Demokraten verweigern“ um alsdann auf anderthalb Seiten Hannah Arendts zu zitieren. Der Auszug aus„Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede über Lessing“. Denn diese „60 Jahre vor unserer aktuellen Krise des demokratischen Konsensus“ geschriebenen Worte dem Autor sind „wie ein Sturmwind, der unsere Befangenheits-Wolken wegscheucht und den Blick freigibt auf die geistige Situation der Zeit“.
Der „Versuch“ endet mit der Beschreibung zweier Begegnungen Christophs Stölzls mit dem Architekten I.M. Pei. Das Berliner DHM verdankt ihm seinen modernen Anbau. Ihn für dieses Vorhaben zu gewinnen, ohne finanzielle oder städtebauliche Rückendeckung zu besitzen, war Ziel der ersten Begegnung in New York. Der zweiten Begegnung nach dem symbolischen Spatenstich im Herbst 1998 mit Helmut Kohl verdankt die Anthologie eine Erkenntnis des damals noch amtierenden Kanzlers: „Man dürfe nicht glauben, dass man kurzfristig etwas bekäme, auch wenn man viel dafür anbiete. Das Geheimnis des politischen Erfolgs sei, dass er durch langjährige zunächst uneigennützige Sympathiebildung vorbereitet werde. Man säe, ohne zu wissen, ob man einmal auch ernten werde“. Im zunehmend Trumpistischen Politikbetrieb, nicht allein auf der Bühne der Berliner Republik, ist auch diese Weisheit so altmodisch wie tagesaktuell.
Christoph Stölzl, Versuch über das Gespräch, herausgegeben von der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., Hamburg 2018
Ich bin Vater, Politiker und Sozialwissenschaftler. Herausgeber von "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird" (VSA-Verlag 2023).
Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog und andere Publikationen.